- US-Konsumenten: Verbrauchtes Vertrauen - Cosa, 24.09.2001, 22:14
US-Konsumenten: Verbrauchtes Vertrauen
Hier ein Artikel schon mal zur Einstimmung für die morgigen Einzelhandelsumsätze und das Verbrauchervertrauen des Conference Boards
<font size="4">US-Konsumenten: Verbrauchtes Vertrauen </font>
Von Kerstin Friemel, Julia Giese und Helene Laube
Seit den Terroranschlägen geben US-Konsumenten weniger Geld aus - und würgen die Konjunktur damit endgültig ab.
Die feine New Yorker 5th Avenue ist leer gefegt. Beim exklusiven Juwelier Cartier steht nur eine verlorene Kundin im Laden."Ich wollte nur mal ein wenig gucken", sagt sie fast entschuldigend. In den Schaufenstern sind die sonst ausgestellten funkelnden Diamanten einem schlichten silbernen Rahmen gewichen."Cartier bewundert den Geist von New York", steht darin, daneben ein Wimpel der US-Fahne. Im nahen Disney Store, wo Handpuppen, Kostüme und T-Shirts so gut
wie unberührt bleiben, prangt ein Walt-Disney-Zitat vor rotem Hintergrund:"Morgen wird es besser werden, solange Amerika seine Ideale von Freiheit und einem besseren Leben erhält."
Danach sieht es zurzeit nicht aus. Nach den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington sind die Amerikaner zunehmend verunsichert. Zu den Todesanzeigen in den Zeitungen gesellen sich jetzt weitere Hiobsbotschaften: Rund 50 Unternehmen, darunter der Autobauer Ford, der Filmhersteller Eastman Kodak und der Mischkonzern General Electric, haben Gewinnwarnungen
ausgesprochen. Allein die Luftfahrtindustrie kündigte seit dem 11. September an, mehr als 80.000 Stellen zu streichen - eine fatale Situation für die US-Wirtschaft.
Greenspans Warnung
Stützten zuvor zumindest die Verbraucher mit ihrem privaten Konsum die Wirtschaft, fließt jetzt kaum noch Geld. Die US-Fahnen, die weißen Lilien und Poster der Betroffenheit ("Wir trauern vereint"), die in fast allen chaufenstern die Dekoration ersetzen, würgen die letzte verbliebene Kauflust ab."Konsumentenausgaben und Produktion", warnte US-Notenbankpräsident Alan Greenspan am Donnerstag in Washington,"haben sich nach den Terroraktionen deutlich abgeschwächt". Die wirtschaftliche Tätigkeit sei"quasi zum Erliegen
gekommen". Schlittert die US-Konjunktur, wie von Ã-konomen befürchtet, endgültig in die Rezession, hätte dies fatale Konsequenzen auch für Europa; vor allem Exportnationen wie Deutschland würden weniger absetzen können.
Um das westliche Wirtschaftssystem zu treffen, hätten sich die Terroristen keinen günstigeren Zeitpunkt auswählen können. Denn das US-Verbrauchervertrauen war schon vor den Anschlägen getrübt. Jan Hatzius, Volkswirt bei Goldman Sachs in New York, macht dafür vor allem die insgesamt schwache Finanzlage der privaten Haushalte verantwortlich. Sie hatten nur wenig Ersparnisse auf die hohe Kante gelegt - und verloren seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres
zudem 3000 Mrd. $, die sie in Aktien angelegt hatten. Nach Berechnungen von Morgan Stanley mindert dies das Kaufkraftwachstum in diesem Jahr um 1,25 Prozent. Zudem sind die Schulden der US-Haushalte derzeit auf Rekordniveau."Die US-Bürger sind nicht in der Lage, mit solchen Schocks fertig zu werden", sagt
Hatzius.
Das Verbrauchervertrauen sackt inzwischen weiter ab: Analysten von Lehman Brothers gehen davon aus, dass der Index, der am Morgen veröffentlicht wird, weiter sinken wird: von 114,3 Punkten im August auf 111 Punkte im September.
"Die Konsumenten sind betäubt, fassungslos, und es wird einige Wochen dauern, bis sie wieder zur Normalität übergehen", sagt Britt Beemer, Chef der Marktforschungsagentur America’s Research Group, die am vergangenen Wochenende rund 5000 Konsumenten und 65 nationale Einzelhändler befragt hat.
Beemer schätzt, dass der Umsatz am vergangenen Wochenende in New York um die Hälfte eingebrochen ist, in Atlanta und Los Angeles sollen es 30 bis 50 Prozent gewesen sein. Auch in kleineren Städten seien die Verkäufe um 20 Prozent zurückgegangen - trotz der viel beschworenen, patriotischen"Jetzt erst recht"-Haltung.
Menschen blieben aus Angst im Haus
Die Verbraucher saßen vor den Fernsehern, wagten sich - aus Angst vor weiteren Anschläge - nicht in Einkaufszentren oder Restaurants, stornierten Flüge. Hotels in San Francisco, wo der Tourismus im vergangenen Jahr 7,6 Mrd. $ erwirtschaftete, waren in der vergangenen Woche gerade noch zu 20 bis 30 Prozent belegt, im Vorjahr waren es noch 80 Prozent. In den Vergnügungsparks in
Kalifornien und Florida sind Besucher ebenfalls selten geworden.
Viele Konsumenten würden jetzt aus Furcht vor dem Krieg ihr Geld auf die Bank bringen, statt es auszugeben, schätzt Chris Pissarides, Professor an der London School of Economics.
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel rechnet damit, dass der US-Konsum im dritten und vierten Quartal unter die prognostizierten Werte sinkt. Noch pessimistischer ist das US-Wirtschaftsforschungsunternehmen ISI Group. Es schätzt, dass die Wirtschaft im letzten Quartal des Jahres um"viel mehr als zwei Prozent" schrumpfen könne.
Starke Einbußen sind bereits jetzt zu verzeichnen. Allein Ford geht davon aus, dass es im September bis zu 120.000 Fahrzeuge weniger als ursprünglich geplant baut. Autohändler berichten von Verlusten zwischen 20 und 40 Prozent in der letzten Woche. Firmen wie General Motors werben bereits mit zinslosen Finanzierungslösungen beim Neuwagenkauf unter dem Motto"Keep America Rolling".
Die US-Warenhäuser, die sich seit Jahren in einer Konsolidierungsphase befinden, bereiten sich ebenfalls auf schwache Monate vor. Federated Department Stores, der Mutterkonzern von Kaufhausketten wie Macy’s and Bloomingdale’s, meldete, dass der Umsatz in der Woche vom 11. September 65 Mio. $ weniger als geplant betragen habe."Hier herrscht viel Unsicherheit", sagt Konzernsprecherin Carol Sanger. Entlassungen sind bislang nicht geplant - auch wenn die Verkäuferinnen hinter den überladenen Kosmetik-, Schmuck- und Sonnenbrillentheken in den Kaufhäusern in San Francisco zurzeit untätig herumstehen.
Angst vor Weihnachten
Für den Einzelhandel könnte der Einbruch kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Der Monat September gilt in der Branche als Beginn der Weihnachtssaison. Kurt Barnard, Präsident des Retail Trend Report, schätzt, dass die Weihnachtsumsätze, denen bislang ein moderater Anstieg um 2,5 bis 3 Prozent prophezeit wurde, nunmehr gar geringer als im Vorjahr ausfallen könnten.
Helle Aufregung herrscht in der Branche, seit CVS, die zweitgrößte Drogeriekette der USA, am Freitag eine Gewinnwarnung ausgab."Es macht sich eine richtige Panik breit, dass das Weihnachtsgeschäft wegbrechen könnte", sagt eine New Yorker Einzelhandelsanalystin."Wenn schon Firmen Probleme bekommen, die alltägliche Haushaltswaren verkaufen, sieht es für den Rest erst recht schwarz
aus."
Viele Geschäfte hätten bereits Waren für den Dezember bestellt, so dass es nun kein Zurück mehr gebe. Ihnen droht nun das Aus. Das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers sieht"die schwächste Weihnachtssaison seit der Rezession vor zehn Jahren" auf Amerika zukommen.
Schon jetzt kalkulieren Unternehmen mit der nachlassenden Konsum- und Reisefreude der Verbraucher; sie wird die Produktion weiter drücken. Mitarbeiter müssten entlassen werden, wenn nicht alle Kapazitäten ausgelastet sind.
Schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt
Die Arbeitslosen können weniger konsumieren - ein Teufelskreis."Die Quote der Erwerbslosen in den USA könnte auf bis zu sechs Prozent hochschnellen", befürchtet Martin Hüfner, Chefvolkswirt der HypoVereinsbank. Die Arbeitslosenquote war im August mit 4,9 Prozent auf den höchsten Stand seit vier Jahren geklettert. Sehr kurze oder nicht existierende Kündigungsfristen machen es Unternehmern leicht, Angestellte auf die Straße zu setzen.
Richard Berner, Volkswirt bei Morgan Stanley, sieht eine weitere Gefahr im Rückgang der Unternehmensgewinne. Um Überschüsse zu erwirtschaften, seien Firmen möglicherweise gezwungen, Gehaltsboni radikal zu kürzen."Diese zuvor kauffreudige Bevölkerungsschicht verarmt", sagt eine Expertin."Eine ganze Käuferschicht bricht weg."
Weniger Steuern, mehr Kredite
Die Strategen in Washington und New York haben eilends reagiert. Die US-Notenbank senkte am vergangenen Montag außer der Reihe die Zinsen; und auch die Bush-Regierung kündigte an, die Verbraucher mit Steuererleichterungen und die Fluglinien mit Finanzspritzen zu entlasten. Die Nachfrage soll angekurbelt werden: Billigere Kredite könnten Unternehmen dazu bringen, mehr zu investieren.
Konsumenten wird zugleich die Anschaffung größerer Güter erleichtert.
Kommt es allerdings zu weiteren Terrorattacken oder einer Eskalation im Mittleren Osten, könnten wohl auch monetäre und fiskalische Instrumente nicht mehr viel ausrichten. Die Entwicklung der Weltwirtschaft würde zunehmend vom Ã-lpreis abhängen. Schnellt er in die Höhe, wird dies der Wirtschaft einen weiteren Dämpfer verpassen. Verbraucher hätten - auf Grund höherer Benzin- und Heizölpreise - weniger Geld zur Verfügung. Auch die Industrieproduktion würde sich verteuern.
Die Amerikaner zeigen derweil Patriotismus - und halten sich dennoch beim Geldausgeben zurück."Wenn ich nicht müsste, würde ich im Moment gar nichts kaufen", sagt Joohee Kahng, die in wenigen Wochen heiratet und mit zwei schweren Tüten die 5th Avenue entlanghastet:"Mir ist nicht danach zumute."
© 2001 Financial Times Deutschland
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