- Chaos Computer Club: »So fängt man keine Terroristen« - Theo Stuss, 03.10.2001, 19:44
Chaos Computer Club: »So fängt man keine Terroristen«
Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club zur Überwachung des Internets
Nach den Anschlägen in den USA soll das Internet stärker überwacht werden. Doch bei der Jagd nach Terroristen macht das wenig Sinn, sagt Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. Von einer Kontrolle wären vor allem Normalbürger betroffen. Im Interview mit heute.online warnt der Sprecher der Hacker-Vereinigung davor, die Freiheit des Internets den Geheimdiensten zu opfern.
heute.online: In Teilen der Hackerszene wird dazu aufgerufen, Webseiten islamistischer Organisationen zu zerstören. Hat sich der CCC dieser Aufforderung angeschlossen?
Andy Müller-Maguhn: Nein, denn es kann nicht Aufgabe von Internet-Benutzern sein, zu bestimmen, was illegal oder verfassungsfeindlich ist. Das ist Aufgabe der Juristen. Generell scheint es mir in der jetzigen Situation eines kriegsähnlichen Spannungsfeldes sehr wichtig, das Internet als Kommunikationsnetz zu erhalten.
Mit dem Attackieren und Zerstören von Webseiten oder Servern greift man in der Regel ja nicht die Terroristen selbst an, sondern Kommunikationsstrukturen, die verhindern können, das weitere Angriffe geschehen. Gerade zwischen islamischen Organisationen und dem Rest der Welt scheint es mir ein akutes Kommunikationsbedürfnis zu geben, um jetzt nicht pauschal alle Angehörigen einer Religion als potenzielle Terroristen abzustempeln.
heute.online: Das Internet steht unter Verdacht, Terroristen bei der Vorbereitung von Terroranschlägen zu dienen. Bundesregierung und EU planen, das Netz künftig stärker zu überwachen. Auf was müssen sich Internet-Nutzer gefasst machen?
Andy Müller-Maguhn: Auch wenn die Nutzung des Internets zur Organisation von Terroranschlägen nicht einmal von den Ermittlern unterstellt wurde, so scheinen in der Tat einige Politiker und Geheimdienstler die jetzige Situation nach dem Terror für längst geplante Überwachungsgesetze nutzen zu wollen. Bereits in der vorher geplanten Cybercrime-Convention des Europäischen Rates war vorgesehen, Internet-Service-Providern vorzuschreiben, Daten langfristig zu speichern.
Nach den nationalen Umsetzungen dieses Dokuments ist davon auszugehen, dass künftig auch die Nutzungsgewohnheiten von Internet-Nutzern zur Rasterfahndung abgeglichen werden. Vom Prinzip her würde das bedeuten, dass bereits jemand, der sich für islamische Webseiten interessiert, zum Verdächtigen wird.
heute.online: »Datenschutz ist Täterschutz«, sagen Politiker und Geheimdienstler, die das Internet stärker kontrollieren wollen. In welchem Verhältnis steht ihrer Ansicht nach der Nutzen einer stärkeren Überwachung des Internets zu den Nachteilen?
Andy Müller-Maguhn: Man gewinnt ein bisschen den Eindruck, dass dem Internet mit seinen Möglichkeiten derzeit pauschal die Schuld an allem Bösen in der Welt zugewiesen wird. Offenbar sehen Politiker und Geheimdienstler keine andere Möglichkeit, ihre Versäumnisse in anderen Bereichen zu kaschieren. Eine generelle Überwachung der elektronischen Kommunikationsstrukturen trifft immer diejenigen, die Opfer und nicht Täter sind. Jemand der wirklich etwas zu verbergen hat, hat dazu auch entsprechende Instrumente.
Natürlich waren die Terroranschläge nicht das, was wir in einer demokratischen Gesellschaft als Ausdrucksform akzeptieren. Aber ob wir deswegen Grundrechte wie das Recht auf Brief und Fernmeldegeheimnis und so etwas wie eine informationelle Selbstbestimmung einschränken sollten, scheint mir doch höchst fragwürdig.
heute.online: Die Forderungen nach einer stärkeren Überwachung des Internets werden mit der Annahme begründet, dass Verbrechen wie das in den USA rechtzeitig erkannt und verhindert werden könnten, wenn die Fahnder freien Zugriff auf den Datentausch im Internet hätten. Teilen sie diese Ansicht?
Andy Müller-Maguhn: Schon jetzt wissen doch alle, die wirklich etwas zu verbergen haben, dass es keine gute Idee ist, Informationen über das Internet zu übermitteln. Allenfalls in einer verschlüsselten Form, das heißt in harmlosen Text oder Bildinformationen versteckt, wird derartige Kommunikation betrieben.
Das heißt auch, dass eine zunehmende Überwachung des Internets nicht diejenigen erfasst, die tatsächlich Terroranschläge planen, sondern diejenigen, die sich relativ offen austauschen. Im Kern greifen diese Maßnahmen also in die Privatsphäre von Normalbürgern ein, aber wirkliche Verbrecher wird man so nicht fangen.
Allenfalls Kriminelle, die derartig dumm sind, sich unverschlüsselt offen über das Telefon beziehungsweise Internet zu organisieren, wird man auf diese Weise detektieren können. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man so Terroristen fängt. Auch wenn die Anschläge unmenschlich und brutal waren, so erfolgte die logistische Planung ja offenbar doch mit einer gewissen Intelligenz.
heute.online: Das Internet ist längst kein Raum der Anonymität mehr. In welchen Ausmaß wird es schon heute überwacht?
Andy Müller-Maguhn: Vor allem die interkontinentalen und transnationalen Leitungen unterliegen in der Regel bereits der pauschalen Überwachung des amerikanischen Geheimdienstes NSA, Betreiber des sogenannten Echelon-Systems. Das heißt, dass dort alle über das Netz übermittelten Nachrichten zur späteren Durchforstung nach Stichworten und Suchbegriffen gespeichert werden. Die Geheimdienste haben also im sogenannten »Bedarfsfall« pauschalen Zugriff darauf.
heute.online: Datenschützer sehen die Errungenschaften einer jungen Internet-Demokratie in Frage gestellt. Kann man bei der Netzgemeinde wirklich schon von einer demokratischen Organisation sprechen?
Andy Müller-Maguhn: Das Internet ist zumindest ein Kommunikationsfreiraum, in dem sehr unterschiedliche Meinungen, Auffassungen, Lebenskonzepte und Religionen in vergleichsweise sehr friedlicher Art und Weise koexistieren und miteinander kommunizieren.
Jetzt überall Terroristen auszumachen und damit Überwachungen zu rechtfertigen, zerstört auch ein bisschen das Selbstverständnis, mit dem im globalen Netz versucht wird, die anderen Menschen und Ihre Motivationen zu verstehen.
heute.online: Welche Alternativen zur Überwachung sehen Sie?
Andy Müller-Maguhn: Bei den amerikanischen Geheimdiensten wird derzeit diskutiert, ob man in den letzten 15 Jahren nicht zuviel Geld für Abhörgeräte und Abhörstrukturen wie Echelon ausgegeben hat, und viel zu wenig Geld in Menschen investiert hat, die fremde Kulturkreise, ihre Probleme und ihr Aggressionspotential verstehen. Solche Überlegungen gehen meines Erachtens in die richtige Richtung.
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