- Afghanistans Weg in die Katastrophe - Tofir, 08.10.2001, 20:45
Afghanistans Weg in die Katastrophe
Afghanistans Weg in die Katastrophe
1. Historische und politische Hintergründe
Seit 1978 ist Afghanistan verstärkt ein Spielball ausländischer Interessen. Damals hatten die Kommunisten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) nach ihrem Putsch das Land in den Bürgerkrieg gestürzt und die sowjetische Armee ein Jahr später zur Hilfe geholt, als eine Volksbewegung das kommunistische Putschregime fast schon zu Fall gebracht hatte.
Die Invasion der sowjetischen Armee löste die größte Fluchtbewegung nach dem II. Weltkrieg aus: über fünf Millionen Afghanen flohen, das Land wurde verwüstet. Zwar trotzte das afghanische Volk den Sowjets, doch mit den Waffenlieferungen aus den USA und den benachbarten islamischen Bruderstaaten an ausgewählte Gruppierungen, nötigte man den Afghanen einen extremen Islamismus auf, der in der Geschichte ohne Beispiel war.
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 gelang es den afghanischen Gruppierungen nicht, das Land zu einen. Die islamistischen Kriegsherren und ihre Milizen bekriegten sich sogar heftiger als zu Zeiten der sowjetischen Besatzung und zerstörten auch die noch verbliebenen intakten Städte wie z. B. Kabul.
In dem Auf- und Ab des Bürgerkrieges haben die Akteure gewechselt. Zunächst bildeten sich vier Zentren heraus, die zugleich ein Spiegelbild der Interessenlage der regionalen Mächte Pakistan, Saudi-Arabien, Iran, Rußland, Indien und Usbekistan waren. Im Laufe der Jahre reduzierten sich die Machtzonen auf zwei - die Nordallianz mit Ahmad Shah Masud und die Taliban mit Mullah ´Omar.
Die Einflussnahme der Regionalmächte verhindert bislang, eine Alternative zum Krieg zu entwickeln. Die Einmischungen von außen verstetigen den Krieg. Friedensaussichten sind nicht in Sicht. Zu alledem steuert Afghanistan - bedingt durch Krieg und Dürre - auf eine humanitäre Katastrophe hin, die vergleichbar ist mit der Katastrophe in der Sahelzone Mitte der 70er Jahre.
2. Die Zweiteilung Afghanistans
Nach dem Abzug der Sowjets 1989 kristallisierten sich zwei Machtzentren heraus:
a) Der Nordosten mit dem Zentrum Panshir, Badakshan und Takhar, wird durch den Ex-Präsidenten Afghanistans Rabbani (jami`at-e islami) kontrolliert. Dessen militärischer Führer Ahmad Shah Mas`ud (shura-ye nezar, Tadschike) hat sich im Kampf gegen die sowjetischen Truppen einen legendären Ruf erworben hat und gilt als gewiefter Taktiker und Pragmatiker. Unterstützung kommt aus dem Iran, Indien, Tadschikistan und Rußland.
b) Das Gebiet der Taliban mit dem überwiegende Teil des Landes und allen großen Zentren Afghanistans (Kandahar, Herat, Jalalabad, Mazar-e Sharif und Kabul). Die Taliban, einer Söldnertruppe von Pakistans Gnaden, stehen unter Führung von Mullah ´Omar (Abdali-Paschtune). Seit 1994 begannen sie mit ihrem Eroberungsfeldzug, der mit der Eroberung von Takhar im Herbst 2000 sein vorläufiges Ende fand. Mullah ´Omar, der als Sprecher der Taliban fungiert, führte die Scharia (sharia) in den eroberten Gebieten ein und setzt diese mit gnadenloser Härte durch. Ursprünglich, so zumindest die Absicht der USA, sollten die Taliban den ehemaligen König Zaher Schah oder einen seiner Angehörigen zur Macht in Afghanistan verhelfen und dem Land den Frieden bringen, um die geplanten Großinvestitionen auf dem Energiesektor (...da liegt wohl letztendlich der Hase im Pfeffer...tofir) zu ermöglichen.
Vergleicht man die militärische Stärke der Kriegsparteien, so ist Ahmad Schah Mas`ud der"starke Mann" der Nordallianz, zwar in der Unterzahl, hat aber engagierte Mitkämpfer und vor allem ein bergiges Terrain für sich. Er hat es durch Geschick und Intrigen geschafft, sich regional als die Alternative zu den Taliban zu präsentieren. Die Taliban, sind zahlenmäßig zwar in der Überzahl, können aber nur durch die permanente Unterstützung regulärer Einheiten der pakistanischen Armee und umfangreiche Materialhilfe durch letztere ihr militärisches Potential nutzen. Wie zahlreich pakistanische und arabische Freischärler in den Reihen der Taliban sind, sah man u.a. bei der Eroberung Kabuls, Mazar und von Takhar.
3. Die Nordallianz
3.1. Organisationen der Nordallianz
Die Nationale islamische Einheitsfront zur Befreiung Afghanistans (jebheh-e mottahed-e islami nejat-e afghanistan, im folgenden Nordallianz genannt) ist ein militärisches Zweckbündnis. Ihr Operationsgebiet ist der Norden, Teile des Zentralmassivs und des Nordostens Afghanistans. Das heterogene Bündnis aus 7 Parteien, welches sich ethnisch und religiös differenziert, wird im wesentlichen von den Minderheiten des Landes getragen.
Lange Zeit führte die jonbesch-e melli-ye islami afghanistan (Nationale islamische Bewegung Afghanistans) des General Dostum, einem Usbeken, die politischen Geschäfte. Durch interne Machtkämpfe wurde diese Position verspielt. Seit April 2001 ist Dostum wieder - nach einem freiwilligen zweijährigen Exil in Usbekistan und der Türkei - nach Afghanistan zurückgekehrt. Konkurrenzlos und Königsmacher ist seitdem Ahmad Schah Masud, ein Tadschike aus dem Panschir. Er steht der shura-ye nezar vor und ist zugleich militärischer Chef der jami`at-e islami (Islamische Gemeinschaft) die von (Ex-) Präsident Rabbani (Tadschike) geführt wird. Mit im Bündnis ist die wahdat islami afghanistan (Islamische Einheit Afghanistans), die sich als Einheitspartei der Minderheit der Hazara versteht. Die Hazara, die in überwiegen Schiiten sind, werden von Khalili und Akbari geführt. Mit Ayatollah Scheich Asef Mohseini (harakat-e enqelabi afghanistan) ist eine weitere schiitische Fraktion im Bündnis. Die Ismailiten (mit General Seyyid Jaffar Naderi), die Badakhshan beiderseits der Grenzen Afghanistans und Tadschikistans besiedeln, gehören wie die Hazara zu einer religiösen Minderheit. Eine weitere religiöse Minderheit - die Wahabbiten - sind in der jebheh-ye islami afghanistan organisiert, der Abdolrahb-Rasul Sayyaf (Paschtune) vorsitzt. Mit der hezb-e islami afghanistan unter Vorsitz von Hekmatyar (Paschtune), stieß der einstige Widersacher Masuds und Günstling Pakistans sowie der USA, erst nach seiner Niederlage gegen die Taliban zum Bündnis der Nordallianz. Hekmatyar hofft aber durch eine erfolgreiche Vermittlung von Osman bin Laden Zugang zu den Taliban zu bekommen. Von Bedeutung innerhalb der Nordallianz sind aber nur Masud, Khalili und Sayyaf. Welche Bedeutung der Ex-General Dostum und der ehemalige Gouverneur von Herat, Isma´il Khan erlangen können, bleibt abzuwarten.
Der starke Mann der Nordallianz, Masud, der erst kürzlich vom Europäischen Parlament eingeladen war, gilt als gewiefter Taktiker und Stratege. Sein Verhältnis zu Pakistan ist seit seiner frühen Flucht in den 70er Jahren gespannt. Während der sowjetischen Besetzung Afghanistans bekam er Unterstützung aus Pakistan, konnte jedoch deutlich mehr Zuwendungen aus Saudi-Arabien bekommen. Die jetzigen Hauptunterstützer sind Iran, Indien und Rußland. Die Hälfte seiner Kriegskasse wird von Sayyaf beigesteuert. Sayyaf, der ähnliche islamistische Positionen wie Rabbani vertritt, versucht diesem in islamistischen Kreisen den Rang abzulaufen. Im Gegensatz zu Masud besitzt er demagogische Fähigkeiten. Das Zusammenspiel von Sayyaf und Masud bringt vor allem Masud Vorteile. Es bindet einerseits die Islamisten ein, die in der jami`at zahlreich vertreten sind, und unterminiert die Bedeutung Rabbanis. Zum anderen erhöht es den ökonomischen und politischen Handlungsspielraum Masuds gegenüber Iran und Rußland. Seine wesentlichen Gegenspieler wie Hekmatyar, Dostum, Rasul Pahlawan und Ismael Khan aus Herat haben an Bedeutung verloren. Masud gelang es auch, aus den anderen Gruppierungen die wichtigsten Feldkommandanten zu gewinnen und an sich zu binden. Beispielhaft sind dafür Anwari von der harakat-e islami (Mohsein), Qasemi von wahdat (Akbari) und Urfani (Khalili). Zabayun, der Vertreter Hekmatyars in Afghanistan und Homayoun Jarir, Hekmatyars Vertreter bei den Zypern-Gesprächen, arbeiten ebenfalls eng mit Masud zusammen und lassen durchaus Widersprüche zu Hekmatyars Positionen erkennen. Mit Haji Qadir, den ehemaligen Gouverneur und Geschäftsmann von Jalalabad, hat Masud einen wichtigen Vertreter aus der Khales-Fraktion eingebunden. Haji Qadir war in der Vergangenheit während seiner Gouverneurszeit in Jalalabad mehr durch seine geschäftlichen Aktionen aufgefallen, als durch politische Leistungen. Sein Sohn konnte zusammen mit Ismael Khan aus dem Gefängnis der Taliban in Kandahar fliehen. Der militärische Einfluss von Haji Qadir in Ostafghanistan, wird durch die Aktivitäten von Kommandant Hazrat-e `Ali eingeschränkt, der Masuds wichtigster Verbündeter in Konar ist.
Neben den persönlichen Rivalitäten treten politische, ethnische und religiöse Unterschiede immer wieder zu Tage. In der Nordallianz sind verschiedene politische Richtungen: radikale Islamisten und Anti-Demokraten, gemäßigte Islamisten, Sufi-Führer, die Feldkommandanten des Jihads, unpolitische Intellektuelle, die im wesentlichen für die Kriegführung notwendig sind, und Kader der Partscham-Fraktion der ehemaligen kommunistischen Partei.
An religiösen Richtungen sind Sunniten, Schiiten, Wahabbiten und Ismailiten zu nennen, die sich gegenseitig durchaus schon der Häresie beschuldigt haben.
Ethnisch gesehen, sind die Tadschiken die stärkste Unterstützergruppe, danach die Usbeken, Hazara, Turkmenen und Paschtunen.
3.2. Verbündete der Nordallianz
Die wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Taliban sind Iran, Indien und Rußland, wobei in Iran zwischen 1992-94 ein Paradigmawechsel stattgefunden hat: weg vom religiösen Standpunkt hin zu einem regionalen, kulturellen - Khorasan, die alte iranische Ostprovinz.
Sowohl Iran als auch Rußland sind bemüht, die Nordallianz unter dem Kommando von Masud zu einigen. Die militärischen Niederlagen von Dostum, Malik und auch der wahdat, lassen dieses Ziel möglich erscheinen. Der neueste Versuch der iranischen Regierung, Vertreter der ehemaligen Khalq-Fraktion in Iran zu sammeln und sie mit der Nordallianz, die ja eher die Partscham-Fraktion inkorporiert hat, zusammen zu bringen, bietet allerdings neuen Zündstoff. Die Überlegung die dahinter steckt, ist zwar vom strategisch-taktischen Gesichtspunkt vernünftig, ob sie aber politisch umsetzbar ist, bleibt fragwürdig. Die Khalq-Fraktion ist durch die Aktivitäten von Amin und Taraki bei weiten Teilen der Bevölkerung desavouiert, stellt aber auch heute noch die stärkste organisierte Kraft unter den Paschtunen dar. Sollte der Zusammenschluss gelingen, so könnte die Nordallianz einen entscheidenden Einfluss in der größten Bevölkerungsgruppe Afghanistans erlangen und zu einer tatsächlichen Bedrohung der Taliban werden. Ziel der genannten Staaten ist es, die Taliban aus dem Norden Afghanistans zu vertreiben. Ein Grund ist die Angst vor einer Destabilisierung der zentralasiatischen Staaten.
4. Die Taliban
4.1. Zielstellungen und Herkunft der Taliban
Mit dem Auftauchen der Taliban im November 1994 im südafghanischen Kandahar erhielt der afghanische Bürgerkrieg eine neue Dimension. Sie traten in einer Phase in Erscheinung, in der die jihadi-Gruppierungen in Kabul an der Macht waren und sich zunehmend in interne Fraktionskämpfe verstrickten. Es herrschte ein allgemeiner Zustand der Rechtlosigkeit und Unsicherheit; Plünderungen und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Die Taliban traten mit dem Anspruch an, Recht und Ordnung wieder herzustellen, die Straßen zu sichern und dem Land den lang ersehnten Frieden zu bringen. Zu Beginn gaben sie sich den Anschein eine originäre Bewegung engagierter, überparteilicher"Religionsstudenten" zu sein und nicht, wie die anderen islamistischen Parteien, fremdgesteuert. In den ländlichen, paschtunischen Gebieten des südlichen und mittleren Afghanistans hatten sie mit ihren Wertevorstellungen zunächst wenig Akzeptanzprobleme. Die anfänglich positive Stimmung schlug jedoch wegen der Radikalität ihrer Maßnahmen rasch um, je weiter die Taliban nach Norden vorrückten.
In den eroberten Gebieten führten sie die Scharia ein und setzten diese mit aller Härte durch. Durch eine exzessive Auslegung des Korans wurden die afghanischen Frauen sukzessive aus dem öffentlichen Leben verdrängt, obwohl in einer Gesellschaft viele Familien kein männliches Oberhaupt mehr haben. Ausgangssperren, Berufs- und Ausbildungsverbot für Frauen und Mädchen erzeugte großen Widerstand. Die medizinische Versorgung von Frauen ist nahezu am Nullpunkt angelangt. Bereits Alphabetisierungskurse geraten zur subversiven Tätigkeit. Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, mit einer der höchsten Kindersterblichkeitsraten weltweit.
Die Herkunft, der aus dem"Nichts" entsprungenen"Religionskrieger" war zunächst auch Experten verborgen geblieben. Die mystischen Ursprünge der inzwischen dominierenden militärischen Kraft in Afghanistan sind weitgehend aufgeklärt und Teil der pakistanischen Machtpolitik in Afghanistan. Durch die Ereignisse in Algerien und nach dem Anschlag auf das World Trade Center war die pakistanische Regierung unter internationalen Druck geraten. Besonders die USA und Ägypten warfen Pakistan die Unterstützung islamistischer Extremisten vor. In das Zielfeuer der internationalen Kritik war vor allem die von Pakistan hofierte afghanische Marionette, Hekmatyar, geraten. Innerhalb kürzester Zeit wurde deshalb eine Truppe aus Ex-DVPA-Mitgliedern (Khalq-Fraktion) und ehemaligen Widerstandskämpfern aufgestellt - die Taliban. Sie stammten überwiegend aus den ländlichen Gebieten des Südostens Afghanistans. Teile von ihnen wurden aus den Flüchtlingslagern in den paschtunischen und belutschischen Gebieten Pakistans rekrutiert, wo sie z. T. in religiösen Schulen (madrassa), die internatsmäßig organisiert sind, aufgewachsen waren. Von diesen Schulen existieren ca. 1400 in den"tribal areas" Pakistans. Etwa die Hälfte dieser Schulen werden von der jama`at-e `ulama (JUI) kontrolliert. Zum Lehrplan der madrassa gehörte vor dem Hintergrund der sowjetischen Besatzung Afghanistans eine militärische Grundausbildung. Einige der Absolventen wurden auch an hochentwickeltem und schwerem Gerät ausgebildet. General Nasrullah Babar, der Innenminister der Regierung Benazir Bhutto erklärte 1994 öffentlich, dass die Existenz der Taliban einem Zusammenspiel des pakistanischen Innenministeriums und der JUI zu verdanken ist. Die JUI war bis zum Sturz der Regierung Bhutto ihr politischer Bündnispartner. Mauwlawi Fazl ur-Rahman von der JUI Pakistan und gleichzeitig Chef der Außenbeziehungen des pakistanischen Parlaments übernahm die Schirmherrschaft für den religiösen Part der Taliban. General Nasrullah Babar, der Innenminister Pakistans, organisierte den militärischen Teil. Die militärische Ausbildung war zunächst den Grenztruppen zugeordnet, die dem Innenministerium unterstanden, bis der Geheimdienst ISI (Inter Service Intelligence) die weitere Organisation übernahm. In den Flüchtlingslagern wurden zudem Offiziere und Soldaten der ehemaligen afghanischen Armee rekrutiert;. zumeist ehemalige Khalk-Anhänger, deren prominentester Führer General Tanai ist. Die militärische Ausbildung fand in den Lagern bei Chaman statt. Der überwiegende Teil der Taliban sind in Pakistan ausgebildete Jugendliche und junge Männer, die im Krieg herangewachsen sind. Sie sind 15 bis 30 Jahre alt. Viele von ihnen sind Waisenkinder. Die Mehrzahl von ihnen sind Analphabeten, die lediglich über ein rudimentäres religiöses Basiswissen verfügen. Der pakistanische militärische Geheimdienst ISI (Inter Service Intelligence), der seit der Besetzung der Sowjets die Federführung der Kriegführung in Afghanistan innehatte und als Ziehvater der islamistisch-fundamentalistischen Widerstandsgruppen gilt, war am Aufbau der Taliban überwiegend unbeteiligt. Das Rüstzeug für die Studentenmilizen entstand außerhalb des Netzwerks des ISI. Zunächst waren die ISI-Mitglieder von der Konkurrenz aus dem Innenministerium nicht begeistert und hatten starke Bedenken in deren Fähigkeit sich zu behaupten. Hamid Gul, der Chef des ISI, stellte jedoch erneut die Weichen und führte die vom ISI geführten Mudschahedingruppen peu à peu den Taliban zu. Zu diesem Zeitpunkt standen ca. 7500 lokale afghanische Kommandeure auf der Gehaltsliste Pakistans.
Zum politischen Konzept der Taliban gehörte es zunächst, Zaher Schah in Afghanistan wieder einzusetzen. USA, England unterstützen dies, um den extremen Islamismus in seiner afghanischen Variante zu schwächen. Damit waren die Taliban vor allem in den paschtunischen Gebieten im Süden erfolgreich, dort wo der Schah noch über Anhänger verfügte. Weite Gebiete fielen Taliban kampflos zu. Der Vormarsch der Taliban kam nur dort ins Stocken, wo sie Truppen Dostams oder Mas`uds gegenüberstanden. Für alle Beobachter überraschend war der Angriff auf Jalalabad und der Durchmarsch auf Kabul. Bemerkenswert war die Brutalität mit der die Talibanmilizionäre in den neu eroberten Gebieten vorgingen und auch vor Emissionären nicht Halt machten, sondern diese kaltblütig ermordeten, wie sich das am Beispiel der Abgesandten der schura-ye Nangahar (Jalalabad) zeigte.
Bei weiteren Eroberungen, z. B. von Kabul, Mazar-e Sharif und Takhar wurden neue chemische Waffen und reguläre pakistanische Soldaten eingesetzt. Unmittelbar nach der Einnahme Kabuls hängten die Taliban den Ex-Präsidenten Najibullah ohne jeden Prozess. Zugleich wurde eine neue Regierung ausgerufen, die nur von Pakistan anerkannt wurde. Der US-Botschafter in Pakistan empfing offiziell Vertreter der Taliban, die UNO schickte den Deutschen Beauftragten Holl nach Kabul. Zunächst äußerten alle die Zuversicht, dass die Taliban den Frieden nach Kabul zurückgebracht hätte. Die USA und andere Länder wollten die Botschaften in Kabul rasch wieder besetzen. Der Optimismus der ersten Tage wich erst dann der nüchternen Erkenntnis, als die Taliban keineswegs daran dachten demokratische Verhältnisse einzuführen oder gar Zahir Schah nach Afghanistan als Vermittler zurückkommen zu lassen. Die USA, die das Treiben der Taliban bislang unterstützt hatten, gingen vorsichtig auf Distanz, auch auf Grund der massiven Proteste von Frauenverbänden in den USA.
Auf dem weiteren Weg nach Norden, vor Kodaman, fügte ein Volksaufstand den Taliban ihre erste große Niederlage zu und Masud gelang es den Angriff der Taliban am strategisch wichtigen Salang-Tunnel abzuwehren. Für diese erste große Niederlage rächten sich die Taliban bitter: in einem zweiten Angriff wurde die Hälfte Shomalis eingenommen. Etwa 30.000 Frauen, Kinder und alte Männer wurden in ein Flüchtlingslager in der Wüste vor Jalalabad verschleppt, in dem nicht ein Grashalm oder Baum wuchs. Dort vegetierten sie unter unmenschlichen Bedingungen. Erst durch massive Proteste durch lokale Mohmand Gruppen, wurde das Lager teilweise aufgelöst. Überlebende dieser Katastrophe finden sich heute noch zu Tausenden auf dem völlig überfüllten Gelände der ehemaligen sowjetischen Botschaft in Kabul. Eine Rückkehr ist ihnen bis heute nicht gestattet. Das ehemalige fruchtbare Gebiet Shomalis, wurde systematisch verwüstet: Rebstöcke wurden ausgerissen, die berühmten Obstplantagen abgeholzt, die Bewässerungssysteme zerstört. Eine Rückkehr der Vertriebenen sollte für immer ausgeschlossen werden.
Offensichtlich verfolgen die Taliban das Ziel, ganz Afghanistan mit militärischen Mitteln unter ihre Kontrolle zu bringen.
4.2. Die Verbündeten der Taliban
Für Pakistan gab es zwei Prämissen, die eine Unterstützung der Taliban bedingten:
1. Afghanistan ist strategisches Hinterland für einen potentiellen Waffengang mit Indien (Kaschmir). Deshalb war Pakistan daran interessiert, die Frage nach dem Bestand der Durand-Linie, die die Grenzen zwischen Pakistan und Afghanistan im Südosten festlegt, durch eine genehme Regierung in Kabul von vornherein zu vermeiden. Die Militärs sahen in Afghanistan zudem eine notwendige"strategische Tiefe", um bei militärischen Auseinandersetzungen mit Indien bestehen zu können.
2. Innenminister Babars Interesse war es, neue Verkehrswege in die ressourcenreichen zentralasiatischen Länder zu erschließen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan stellten sich als ein Hindernis dar, da auf dem Landweg nur der Zugang über Afghanistan möglich ist. Die Taliban waren aufgefordert, die militärischen Hindernisse und lokalen Zollschranken (Einnahmequellen der lokalen Kommandanten) aus dem Weg zu räumen. Gleichzeitig startete Babar eine Initiative zu Gründung einer afghanischen Handels- und Entwicklungsgesellschaft, die der Forderung nach Eröffnung eines Landkorridors zu den Erdgas- und Ã-lquellen Zentralasiens Nachdruck verleihen sollte. Mit dem Erfolg der Taliban wurde die logistische und technische Unterstützung ausgeweitet. Pakistans Telecom installierte ein Telefonnetz in Kandahar und integrierte es in das pakistanische. Kandahar war damit unter der gleichen Vorwahl zu erreichen wie Quetta, Kabul unter der Nummer Peshawars, Herat unter der von Islamabad usw.. Machbarkeitsstudien für die notwendigen Straßenreparaturen - und bauten sowie die Elektrifizierung wurden vom pakistanischen Department für öffentliche Angelegenheiten durchgeführt. Der Aufbau eines internen Funknetzes für die Talibankommandeure wurde von den pakistanischen Grenztruppen vorangetrieben. PIA und die pakistanische Luftwaffe entsandten Techniker um den Flughafen Kandahar instand zusetzen und die MiG-Kampfflugzeuge sowie die Hubschrauber in Betrieb zu nehmen sowie zu warten.
Nach Eroberung von Herat im Jahre 1995 intensivierte die pakistanische Regierung die Hilfen an die Taliban. Im Januar 1996 fuhr eine Delegation der Afghanischen Handels- und Entwicklungsgesellschaft von Quetta aus über die Ringstraße nach Turkmenistan. Mitglieder der Delegation stammten aus dem Ministerium für zivile Luftfahrt, der Telecom, PIA, dem Transport- und Eisenbahnministeriums, Radio Pakistan und der National Bank. Diese Ministerien wurden angewiesen, die Taliban aus ihren Mitteln zu unterstützen.
Nach dem Fall von Kabul verkündete Pakistan den Bau einer strategisch wichtigen Straße, die Chaman mit Kandahar verbinden und ca. 100 km lang werden sollte (geschätzte Kosten: ca. 2,5Mio U$). Zusätzliche Unterstützung kam aus den Reihen der Schmuggler, die von Quetta und Chaman aus operierten und hochgradig frustriert waren, weil die kleinen warlords um Kandahar sie am grenzüberschreitenden Schmuggel zwischen Pakistan, Afghanistan, Iran und Zentralasien hinderten. Diese Quetta-Mafia bestand zumeist aus Pakistani, aber auch aus einigen afghanischen Paschtunen, die aus den gleichen Stammesverbänden wie die Führung der Taliban stammt und mit diesen verwandt und verschwägert bzw. durch geschäftliche Interessen verbunden war. Die Quetta-Mafia finanzierte die Taliban in der Vorbereitungsphase der Eroberung von Herat 1995 mit täglich über 150 000 $ pro Tag.
Mit dem Erfolg, wuchs auch der Einfluss der Taliban auf die pakistanische Regierung. Durch die Partizipation der JUI an der Regierung Bhutto war es ihnen möglich, enge Verbindung zwischen der Armee, dem Innenministerium und dem ISI herzustellen. Fazl ur-Rahman wurde zudem Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für ausländische Angelegenheiten. Saudi Arabien wurde sein bevorzugtes Ziel. Nach der Visite von Prinz Turki al-Faisal Saud, dem Chef des Saudi Arabischen Geheimdienstes, wurde Riad größter Unterstützer der Taliban. Die Taliban organisierten für arabische Prinzen erstmalig Falkenjagden um Kandahar und bauten so kontinuierlich Kontakte zu den Golfstaaten auf.
Der pakistanische Innenminister Babar verhandelte auch im Namen der Afghanen den Deal mit der Verlegung einer Erdgaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan. Dies war auch im Interesse der USA, die immer noch bedacht waren, Iran international zu isolieren und deshalb die Passage durch Iran zu verhindern suchte. Doch zunächst mussten die Taliban die möglichen Transitwege für die Pipeline freikämpfen. Mit Hilfe regulärer pakistanischer Soldaten, dem Aufbau einer modernen Kommunikationsstruktur für die Kommandeure und eine strikte zentrale Militärführung in den Händen des pakistanischen Militärs gelang ihnen die Durchsetzung der Ziele. Im August 1998 konnten die Taliban die Hochburg der Nordallianz, Mazar-e Sharif erobern und im Herbst 2000 fiel Takhar, das militärische Hauptquartier der Nordallianz in ihre Hände.
Um eine Fraternisierung mit der lokalen Bevölkerung zu verhindern, werden die eingesetzten Kommandeure oder zivilen Verwalter alle 3 bis 6 Monate ausgetauscht; ebenso die kämpfenden Einheiten.
Erste Ansätze von Seiten der USA auf Distanz zu gehen, ist die Tatsache, dass das Projekt Pipelinebau von UNOCAL stillgelegt wurde, nachdem die US-Botschaften in Kenia und Tansania von al-qaida-Aktivisten in die Luft gesprengt wurden und sich Verbindungen zu dem von den Taliban beherbergten Osman bin-Laden ergaben. Allerdings trug auch der Druck Indiens dazu bei, das aufgrund des Kaschmir-Konfliktes eine Weiterführung der Pipeline nach Indien strikt abgelehnt hatte. Damit rechnete sich das Projekt für Pakistan nicht mehr. Die darauffolgende Bombardierung afghanischer Ausbildungsstätten offenbarten die tiefe Verstrickung Pakistans in den internationalen Terrorismus. In einem der bombardierten Camps befanden sich pakistanische Staatsangehörige die von der harakat ul-ansar ausgebildet wurden. 18 Tote und ca. 20 Vermisste gab die radikale Gruppe an, waren bei dem Anschlag zu beklagen. Diese Gruppe erlangte auch in Deutschland traurige Berühmtheit, als sie eine Reisegruppe in Kaschmir verschleppte, in der sich auch zwei Deutsche befanden und diese getötet wurden. Die pakistanische Regierung behauptete zunächst von dem Raketenangriff nicht informiert gewesen zu sein, musste aber nach einem Kommunique der pakistanischen Streitkräfte zugeben, dass ein hoher amerikanischer Offizier die Armeeführung zuvor informiert hatte. Obwohl die Information unmittelbar vor dem Abschuss der amerikanischen Tomahawk-Raketen erfolgte, langte die Zeit um Osman bin-Laden von dem Besuch in Zhawara abzuhalten, wo er erwartet wurde. Die pakistanische Regierung trat die Flucht nach vorne an und verkündete, dass die Scharia nun auch in Pakistan Gesetz werden solle und verschärfte zudem noch das Blasphemiegesetz. Zudem forderte die pakistanische Regierung die Anerkennung der Taliban als legitime afghanische Regierung. Die Flucht nach vorne nützte der Regierung Nawaz Sharif nichts mehr. Durch einen Militärputsch wurde diese aus dem Amt gejagt. Der jetzige starke Mann Pakistans, General Musharref hält an der Unterstützung der Taliban fest. Der Anschlag auf das Versorgungsschiff"Cole" im Yemen 2000, ließ das Verhältnis USA/Pakistan und Afghanistan weiter abkühlen.
5. Regionale Interessenmächte
Die internationale Reaktion auf die offensichtliche Unterstützung der Taliban durch die pakistanische Regierung brachte Pakistan alles andere als Erleichterung. Schon seit der Zündung einer eigenen Atombombe stand Pakistan enorm unter außenpolitischen Druck. Iran, das noch verhalten die"islamische Bombe" begrüßte und Pakistan im Falle eines Boykotts durch die USA mit Rohöllieferungen u.a. helfen wollte, steht nun entschlossen auf der Seite der pakistanischen Gegner. Durch den Krieg in Afghanistan bestand bereits seit der Etablierung der islamistischen bzw. fundamentalistischen Gruppen eine gewisse Spannung zwischen beiden Ländern. Dies hing einerseits damit zusammen, dass bei allen politischen Verhandlungen über eine zukünftige politische Lösung die Hazara, immerhin die drittstärkste Ethnie in Afghanistan nicht beteiligt werden sollten. Zum anderen versuchte Saudi Arabien und die USA, Iran an einer aktiven Afghanistanpolitik zu hindern um dessen Einfluss in Afghanistan auf ein Minimum zu reduzieren. Eine effiziente Politik Irans blieb aufgrund der Partialinteressen der Hazara ineffektiv. Sie waren in erster Linie Hazara und dann Afghanen und dann erst Schiiten, die sich zumindest zu Beginn vor allem an Khomeini Widersacher Ayatollah Khui orientierten. Durch die Kämpfe mit den Sowjets und den durch Pakistan unterstützten Parteien wurde die autochthone Hazarabewegung zerschlagen und durch Iran abhängige Hazara-Vertreter ersetzt. Dennoch blieben die Hazara, zu deren Schutzherr sich Iran erkoren hat, innerlich zerstritten.
Wahdat, die Einheitspartei von Irans Gnaden, behauptete sich mehrmals gegen die anrückenden Taliban. Es war auch vor allem ihr Verdienst, die Attacke gegen Mazar nach dem Überlaufen von Dostams General Malik abgewehrt zu haben. Dafür musste die schiitische Zivilbevölkerung auf dem Rückzug der geschlagenen Talibanmilizionäre bitter büßen. Massaker waren die Folge und die Zufahrtswege in das Zentralmassiv, das Hazarajat, wurden gesperrt. Das Zentralmassiv liegt wie eine Insel in Afghanistan. Schwer zugänglich, hat es keine Grenze zu einem Nachbarland. Von Norden aus war eine Versorgung aufgrund der andauernden Fraktionskämpfe innerhalb der Nordallianz und der schlechten Infrastruktur nicht möglich. Transportflugzeuge durften von Pakistan aus nur selten starten. Iranische oder andere Maschinen wurden beim Landeanflug beschossen. Wie viele Menschen verhungert sind weiß niemand zu sagen; Schätzungen liegen bei 15.000. Auch nach der Eroberung von Mazar und Bamian musste vor allem die schiitische Bevölkerung leiden. Seit der Rückeroberung von Mazar gelten über 10.000 Schiiten als verschwunden, darunter auch Usbeken, Tadschiken, vorwiegend aber Hazara. Zudem werden in den eroberten Gebieten zunehmend Paschtunen angesiedelt und bekommen das Land der Besiegten zugeteilt.
Iran war über das Vorgehen der Taliban gegenüber der schiitischen Bevölkerung bereits durch die Eroberung Kabuls gewarnt. Mazari, der damalige Chef der wahdat versuchte mit den Taliban ein Bündnis gegen die Regierung Rabbani zu schmieden, weil diese zugelassen hatte, dass der Wahabite Sayyaf die Hazara aus Kabul vertreiben wollte. Obwohl er die Talibanmilizionäre in seine Stellungen einsickern ließ, nahmen diese ihn mit anderen Mitgliedern des Zentralkomitees gefangen und ermordeten ihn auf dem Weg nach Kandahar am 11.03.1995.
Nach der Eroberung Kabuls, waren die schiitischen Hazara Verhaftungswellen ausgesetzt. Auch schiitische Feiertage durften nicht mehr zelebriert werden. Proteste Irans fruchteten nicht. Nachdem die Talibanmilizionäre beim Sturm auf Mazar auch die iranische Botschaft in Mazar geplündert hatten und 11 Diplomaten verschleppten und ermordeten, zudem noch einen Journalisten und 35 LKW-Fahrer in ihrem Gewahrsam halten, scheint Irans Geduld am Ende zu sein. Ultimativ forderte die iranische Regierung Pakistan auf, die Freilassung der iranischen Geiseln zu veranlassen. Iran würde die pakistanische Regierung für eventuelle körperliche Schäden zur Verantwortung ziehen. Um diese für Iran ungewöhnlich offene Drohung an Pakistans Adresse Nachdruck zu verleihen, wurden Militärmanöver entlang der afghanischen Grenze angekündigt und mit ca. 70.000 Revolutionsgardisten abgehalten.
Die Regierung in Teheran verkündet seitdem, dass sie keineswegs daran denkt, die von den Taliban ausgerufene Regierung anzuerkennen. Zugleich schloss sich die türkische Regierung mit Teheran kurz und beide versuchen zwischen den beiden Usbeken, Malik und Dostam, zu moderieren. Aber auch die Zentralasiatischen Staaten wie Tadschikistan, Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan und Rußland trafen sich, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen die"islamische Bedrohung" zu beraten. Rußland stellte Masud zugleich Kampf- und Transporthubschrauber zur Verfügung.
Indien, bislang eher Zaungast im Spiel um Afghanistan, wendete sich verstärkt Masud im Schulterschluss mit Rußland zu. Da nach der Bombardierung der Lager in Afghanistan es offensichtlich war, dass Pakistan die Kaschmir-Kämpfer der harakat-ul-ansar militärisch in Afghanistan ausbildet (was immer vermutet wurde, jedoch nie bewiesen werden konnte) ist Indien gefordert. Durch die Eskalierung im Kaschmir-Konflikt, der letztendlich die Militärs in Pakistan zurück an die Macht brachte, verstärkte Indien seine Anstrengungen in Afghanistan zugunsten Masuds.
Auch China, bislang immer treuer Verbündeter von Pakistan ging auf Distanz. China ist beunruhigt durch Attentate der muslimischen Uiguren in der Provinz Sinkiang, die an Pakistan grenzt. Sie verdächtigt pakistanische Gruppen der direkten Unterstützung der aus Pakistan und Afghanistan operierenden Gruppen. Nachdem Uiguren in Ausbildungslagern in Afghanistan gesichtet wurden, rückte Peking von seinen Prämissen ab, sich nicht in die inneren Verhältnisse anderer Staaten einzumischen und ließ sogar die Sanktionen gegen Afghanistan Ende 2000 im Weltsicherheitsrat passieren.
Zieht man ein Resümee aus der afghanisch-pakistanischen Politik der letzten Jahre, so muss konstatiert werden, dass die anvisierten Ziele"strategische Tiefe" und die Monopolisierung des Handels mit Zentralasien, auf der ganzen Linie verfehlt worden sind. Pakistan ist heute mehr denn je international isoliert. Eine Situation, die jeder pakistanische Politiker befürchtet hatte. Selbst die ehemaligen engsten Verbündeten wie Iran und China gehen auf Distanz. Die Türkei, immer auf gute Beziehungen zu Pakistan bedacht, vereinbarte umfangreiche Abkommen mit Indien. Die zentralasiatischen Staaten sehen Pakistan als Drahtzieher der Verhältnisse in Afghanistan an und fürchten selber Opfer einer"Talibanisierung" zu werden. Pakistanische Geschäftsleute und Studenten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in diesen Ländern gern gesehen und willkommen waren, werden inzwischen zur Ausreise genötigt, da man in ihnen die Wegbereiter der Islamisten sieht. Kritische pakistanische Stimmen fürchten zudem, dass das Engagement der pakistanischen Regierung zugunsten der Taliban sich umkehren könnte. Eine paschtunisch dominierte Regierung in Kabul, mit einem panislamistischen Anspruch birgt die Gefahr, dass sich eine erneute Diskussion um die Durand-Linie (die heutige Staatsgrenze zwischen Pakistan und Afghanistan), die das paschtunische Siedlungsgebiet durchschneidet und von Afghanistan nie anerkannt wurde, ergeben wird.
Zudem wird der Ruf von radikalen Islamisten in Pakistan nach einer"Talibanisierung" pakistanischer Verhältnisse immer lauter, wie das Treffen von 1,5 Mio. Anhängern erst kürzlich in Peschawar zeigte. Zum anderen ist eine rapide Veränderung in der Beurteilung Pakistans unter den Afghanen eingetreten: Pakistan wird von den meisten Afghanen inzwischen als dritte Macht wahrgenommen, die versucht Afghanistan mittels der Taliban zu usurpieren. Der Stellenwert von Pakistani gleicht inzwischen dem der sowjetischen Soldaten während der Besatzung.
6. Schlussbemerkungen
Die Taliban ist genau wie seine Vorgänger, die islamistisch-fundamentalistischen Peschawar-Gruppen eine artifiziell Organisation, die über wenig Akzeptanz in der Bevölkerung verfügt. Das gleiche gilt aber auch für die Opponenten der Taliban, die Nordallianz. Diese sind die Reste einer den Afghanen aufgestülpten Bewegung, die zum Ziele hatte, den autochthonen Widerstand zu vernichten. Beide Bewegungen hatten außer dem eigenen Machterhalt kein politisches Konzept. Programm war der jeweilige Führer.
Die Struktur der Taliban ist nicht anders. Konzept, Planung und Umsetzung stammen aus den jeweiligen zuständigen pakistanischen Ministerien; eine eigenständige Politik lässt sich nicht erkennen. Die enge Auslegung des Islams steht im Widerspruch mit der allgemein verbreiteten Religiosität der Afghanen und mit dem Gesetzeskodex der Paschtunen, dem paschtunwali. Die anfängliche Akzeptanz wich der Angst vor einer willkürlich operierenden Soldateska. Die Gegensätze werden in den großen Städten Afghanistans, oder in den Regionen mit überwiegend anderen ethnischen oder religiösen Minderheiten noch krasser empfunden. Es gibt keine Rechtssicherheit. Der Wunsch nach Frieden wurde nicht verwirklicht. Staatliche Institutionen existieren nur rudimentär und sind nicht konstruktiv wirksam. Die offensichtliche Abhängigkeit der Taliban von Pakistan und den arabischen Glaubensfanatikern erzeugte eine breite Anti-Taliban Stimmung. Sie wird verstärkt durch die katastrophalen Verhältnisse, bedingt durch den Krieg und der seit drei Jahren anhaltenden Dürre, der schlimmsten seit Menschengedenken in Afghanistan. Die Menschen verlieren die Hoffnung, zumindest der nachfolgenden Generation ein besseres Leben zu ermöglichen und sind am Ende ihrer Kraft.
In weiten Teilen Afghanistans gibt es seit Jahrzehnten keine Schulen mehr. Die Menschen haben ihre Viehherden verloren und die lokalen Märkte sind dem Krieg zum Opfer gefallen, so dass fast alle Produkte aus dem Ausland eingeführt werden müssen. Die geistige Elite befindet sich bis auf rudimentäre Reste im Ausland. Eine Tendenz, die von den Taliban bewusst bestärkt wird.
Wie isoliert die Taliban auch international innerhalb der islamischen Gemeinschaft stehen, zeigte sich deutlich während der Zerstörung der Buddhastatuen in Bamian. Keine islamische Koryphäe hat diese Entscheidung, die ja religiös legitimiert wurde, gutgeheißen. Die Gesandten der al-Ahram aus Kairo gingen sogar so weit in ihrer Beurteilung, dass sie Mullah ´Omar vorwarfen (Emir der Gläubigen), den Koran und seine Interpretationen nicht verstanden zu haben.
Der Wille Pakistans, mit militärischen Mitteln Afghanistan eine schwache afghanische Regierung aufzuoktroyieren und so Afghanistan zu befrieden, wird scheitern und dem Land noch für lange Zeit kriegerische Auseinandersetzungen bescheren. Ruhe, die benötigt wird um die Schäden des Krieges zu beseitigen, ist nur durch einen politischen Konsens herbeizuführen. Sollte Pakistan jedoch weiterhin auf die militärische Karte setzen und sich wider Erwarten mit einer paschtunisch dominierten Regierung durchsetzen, wird der Krieg in einen Guerillakrieg übergehen, mit einer breiten Akzeptanz der Unterstützerstaaten der Nordallianz. Iran, Indien und die GUS-Staaten werden keinen"wahhabitischen Staat" in direkter Nachbarschaft dulden. Die Hoffnung Pakistans, an den Märkten Zentralasiens zu partizipieren, wird Illusion bleiben.
Ein Schwenk der pakistanischen Politik kann nur durch gemeinsamen Druck erreicht werden. Die USA sind dabei in erster Linie gefragt. Doch auch Europa, allen voran Frankreich, England und Deutschland, sollte nicht abseits stehen. Die einseitige Unterstützung von Masud durch Frankreich ist dabei nicht förderlich.
Sowohl die Taliban, als auch die Nordallianz verfügen über keinen nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung. Für die Afghanen ist es inzwischen egal unter wessen Kuratel sie leiden. Statt an einer militärischen Lösung zu arbeiten, sollten politische Lösungen bevorzugt werden. Es ist ein genügend großes Potential von Afghanen vorhanden, die zwar bewaffnet sind, aber sich nicht mehr an den interfraktionellen Kämpfe beteiligen, da sie diese als destruktiv empfinden. Ein Zitat eines paschtunischen Bauer aus Kabul im Oktober 2000 soll dies Stimmung illustrieren"Solche dummen Menschen wie Mullah `Omar hat Afghanistan schon hundertmal gesehen, er wird nicht bleiben. Wir folgen nicht Mullah `Omar sondern Gott."
Keine der kriegführenden Parteien hat bislang ein glaubwürdiges Konzept für einen möglichen Frieden vorgelegt. Auch die anderen im Westen bekannten Initiativen wie der Rom-, Zypern- oder Bonn/Frankfurter-Prozess bieten bislang keine Alternativen an. Dabei gibt es in Afghanistan durchaus Persönlichkeiten und Gruppierungen, die an Alternativen und Auswegen aus dem gegenwärtigen Dilemma arbeiten. Aufklärung und Schulen sind allemal die besseren Waffen als eine Kalaschnikow.
Dr. Michael Pohly, Institut für Iranistik der Freien Universität Berlin
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