- Der New-Economy-Wahnsinn (gesundheitlich/menschlich betrachtet) - Frank1, 03.08.2000, 08:59
Der New-Economy-Wahnsinn (gesundheitlich/menschlich betrachtet)
Wenn ich den Artikel der Zeitschrift FACTS (CH) weiter unten lese, wird mir fast ein bisschen schlecht:
<font size='5'>Wenn Überflieger abtauchen</font>
Die New Economy gebiert nicht nur blutjunge Neureiche, sondern auch blutjunge Ausgebrannte. Oder kollabierende Jungmanager.
Er habe von Anfang an gewusst, dass es die Hölle werden würde, blickt Peter Ohnemus, Gründer der Zuger Software-Firma Fantastic, zurück. Nur, ein bisschen angenehmer habe er sich die Hölle schon vorgestellt.
Als Chef von Fantastic machte er sich vor dreieinhalb Jahren daran, für seine Firma 100 Millionen Dollar aufzutreiben. 250 Tage im Jahr war er im Ausland unterwegs; «Montag San Francisco, Mittwoch Zürich, Donnerstag Tokio» - bei jedem Städtenamen haut Ohnemus mit der Faust auf das Pult. Gleichzeitig baute er innert 18 Monaten 14 Fantastic-Niederlassungen auf, stellte 200 Mitarbeiter ein. Die Tage im Büro waren nicht weniger strapaziös. 200 bis 300 E-Mails pro Tag, 40 Voice-Mails und unzählige Sitzungen. Ohnemus gestikuliert wild: «Der Stress ist unmenschlich.»
Diese Erkenntnis hat er teuer bezahlt. Vor vier Monaten ist er zusammengebrochen. Kreislaufkollaps - im zarten Alter von 35.
Ohnemus steht exemplarisch für die Unternehmergeneration der New Economy. Diese gebiert nicht nur blutjunge Neureiche, sondern auch blutjunge Ausgebrannte. Die Schlagzeilen über 25-jährige Instant-Millionäre schüren die Sehnsucht nach dem schnellen Geld und spornen zu Unmenschlichem an. Denn geschenkt gibts im IT-Monopoly nichts. 90-Stunden-Wochen sind normal, krank sein gibts nicht, Ferien schon gar nicht. «Ein Internet-Jahr dauert drei Monate», sagt Michael Kägi, Chef der Erlenbacher SMS-Firma Minick, «da nimmt sich keiner vier Wochen Ferien pro Jahr.» Er hat sich nicht nur Ferien abgewöhnt, sondern dem beruflichen Erfolg auch Hobbys und Sport geopfert - und Schlaf: Der 29-Jährige kommt mit 15 bis 20 Stunden Schlaf pro Woche über die Runden. Kein Grund zum Klönen. «Das ist eher Kitzel als Qual», sagt Kägi.
Gründer so genannter Start-ups geraten nicht nur wegen ihres persönlichen Ehrgeizes unter massiven Erfolgsdruck. Dampf machen auch die Geldgeber. «Venture Capital muss man irgendwann zurückzahlen», sagt Ohnemus. Irgendwann ist in der New Economy eine kurze Zeit: «Spätestens nach zwei Jahren machen sie Druck.»
Von der Investment-Bank Goldman Sachs zur Ikone der New Economy hochgejubelt, setzte der Jungunternehmer alles daran, diesem Nimbus zu entsprechen, und rutschte in die Rolle des nimmermüden Alleskönners. «In einer so genannten Hot Company ist man extrem ausgestellt», sagt Ohnemus, «gehts einem bei einer Präsentation nicht gut, werden die Analysten sofort nervös und geben Verkaufsempfehlungen raus.» Einmal an der Börse kotiert, werden Start-ups zu Spielbällen renditehungriger Investoren und verkaufsorientierter Analysten. Die Aktienkurse schwanken eher mit der allgemeinen Stimmungs- und Erwartungslage als mit unternehmerischen Realitäten. Ohnemus kann ein Lied davon singen. Vor wenigen Monaten noch als Börsenüberflieger gehätschelt, hat die Finanzwelt nun ein Fantastic-Bashing lanciert. Der Börsenkurs ist allein vergangene Woche um 18 Prozent eingebrochen.
Die Jagd nach Wohlwollen bei Investoren und Analysten machte den Jungunternehmer blind. Selbst als er nicht mehr schlafen kann, kaum mehr essen mag, unter Angstzuständen leidet und «keine Lust auf gar nichts» mehr hat, mimt er den Leistungsfreudigen. «Als ich im Spital landete, sagte man mir, meine Lebenserwartung sei kleiner als 40.» Und als er im Spital landete, hatte die jüngere seiner beiden Töchter aus Protest auf die ewige Abwesenheit längst aufgehört, mit ihm zu reden, die Ehe war, wen wunderts, ernsthaft in Gefahr.
Auch Marina Speck, Finanzchefin von Fantastic, kennt den Wahnsinn plötzlichen Erfolgs. Gleich wie Peter Ohnemus und ganz im Gegensatz dazu, wie in der Wirtschaft sonst mit solchen Themen umgegangen wird, redet sie offen darüber. «Das Privatleben leidet extrem», sagt die 41-Jährige, «mein Mann sieht mich nie, meine Freunde schon gar nicht.»
Eigentlich war für diesen Frühsommer eine Kapitalerhöhung geplant. Aber Anfang Mai entschied die Finanzexpertin, die Firma brauche das Geld nun doch nicht. Damit hatte sie auf einen Schlag viel Arbeit vom Tisch und konnte etwas zurücklehnen - das erste Mal seit drei Jahren.
Und was passiert? Sie kündigt.
«Nach zwei, drei Jahren solchen Lebens hat man den Bezug zur Realität verloren», sagt sie. Aufgeschreckt von Ohnemus' Zusammenbruch gesteht sie sich endlich ihre Schlafstörungen, den chronisch viel zu tiefen Blutdruck mit entsprechenden Kreislaufbeschwerden ein und zieht die Bremse.
«Es war viel intensiver, als ich es mir vorgestellt hatte», sagt sie. Als sie letztes Jahr mit Fantastic das Intitial Public Offering, den Börsengang, durchziehen musste, ging das nur dank 100-Stunden-Wochen. Immer wieder habe sie sich heimlich gewünscht, ihr Partner möge allein in die Ferien fahren, damit sie Tag und Nacht im Büro sein könnte - ohne schlechtes Gewissen. Persönliche Erinnerungen fürs Jahr 1999 hat sie sonst kaum. Sie weiss nicht zu sagen, wie der Sommer war, und hat kaum etwas davon mitbekommen, dass sie und ihr Mann in der Zwischenzeit ein Haus gebaut und bezogen haben. «Einzelne Räume habe ich monatelang nicht betreten.»
Marina Speck wird im Oktober das Dossier Fantastic für immer aus der Hand geben. Nicht so Ohnemus. Seinen Chefposten hat er zwar offiziell dem ehemaligen Post-Chef Reto Braun übergeben. Tatsächlich sitzt er aber wieder am Drücker. Loslassen kann und will er nicht, denn von seinem Zusammenbruch mal abgesehen, zählt er die letzten dreieinhalb Jahre zu den besten seiner beruflichen Laufbahn. Vom Leben ernüchtert, will er es künftig vernünftiger, sprich mehr im Bereich des Menschenmöglichen, angehen. «Nicht wieder in den alten Trott hineinzukommen, ist aber verdammt schwierig», sagt Ohnemus. Es ist unüberhörbar, dass er mit einem Fuss bereits wieder auf alten Pfaden steht. Prompt schiebt er denn auch sein frisch gedrucktes Visitenkärtchen über den Tisch - Peter Ohnemus, Vice Chairman, steht da unmissverständlich.
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