- Themenfremd: Noch einmal was zum Quellenstreit und Illig - Theo Stuss, 13.10.2001, 18:31
Themenfremd: Noch einmal was zum Quellenstreit und Illig
Ich erlaube mir hier einen Brief an einen Freund zum Thema ins Netz zu stellen:
Lieber J., Donauwörth, den 13.10.2001
zu unserer Diskussion von gestern, wir wüssten effektiv nichts über die Vergangenheit. Also, da sind einige Dinge, die kann ich so nicht stehen lassen.
Zu erst einmal ruht ein Gesamtgeschichtsbild nicht auf den Quellen (Urkunden, Handschriften, Bauten etc. ) wie auf einem Fundament, so daß man das gesamte Bild zum Einsturz bringen könnte, indem man eine Quelle als nicht sicher erweist. Hingegen gilt: verstreute Spuren ergeben ein Ganzes. Da können auch Fälschungen ihren Platz haben, wenn ich mir überlege, warum und wieso diese Fälschung in der Welt ist und welches Motiv der Fälscher hatte. Alles hat seinen Informationswert. Bei der Kriminalpolizei ist es nicht anders.
Diese Quellen sind also Indizien, die sich hinterher zu einem widerspruchslosen Gesamtbild zusammenfügen müssen. Hier setzt ja genau die kritische Arbeit des Historikers ein. Das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Teile und es gibt nichts ohne zureichenden Grund. Eine im Nachhinein gefälschte Urkunde zur Gründung des Hamburger Hafens weist hin auf den länger existierenden Brauch, daß der Hafen betrieben wurde und wahrscheinlich nicht ohne genehmigende, oder stillschweigende Übereinkunft.
Die „konstantinische Schenkung“ weist trotzdem auf die Tatsache hin, daß seit dem Weggang Konstantins nach Byzanz die Päpste auch politische Macht über Rom selbst und Latium innehatten, - wenn auch nicht sofort über ganz Mittelitalien-, sei es, daß sie ihnen zuwuchs, sei es, weil es ein mündliches, oder stillschweigendes Abkommen gab. Nach der Reichsteilung residierten die westlichen Kaiser in Ravenna, oder Mailand und überließen Rom dem Papst. Ich weiß nicht, ob Romulus Augustulus nicht am Ende in Rom weilte, was eigentlich nebensächlich ist, da ja am Schluß kein Ort mehr übrig blieb, wo er sich hätte aufhalten können.
Die schriftliche Fälschung der „apostolischen Konstitutionen“ scheint zumindest ein Spiegelbild der Verhältnisse des 4.Jhr. zu sein und es wäre Nachforschungen wert, ob es nicht denkbar wäre, daß einige postulierte Verfügungen, die den Aposteln zugeschrieben wurden, nicht doch auf damaligen Überlieferungen beruhten, so daß das eine und andere tatsächlich durch die Apostel so festgelegt war. Auch hier setzt wieder die kritische Arbeit ein, weil man ja alles Punkt für Punkt durchgehen muß.
Wenn wir einmal in die Naturwissenschaften schauen, dann wird Dir auffallen, daß niemand jemals auch nur ein Elektron gesehen hat. Wir messen die Wirkungen und schreiben sie einem Subjekt zu, das zureichender Grund und Ursache für diese Wirkungen sein kann und eindeutiger Träger von Eigenschaften ist. Dann geben wir diesem postulierten Subjekt einen Namen, denn die Eigenschaften können ja nicht in der Luft hängen. Keiner, der thomistisch vorgebildet, oder bei Verstand ist, hat damit Schwierigkeiten, nur der Nominalist. Gerade die strenge Gleichheit und Kontinuität der Eigenschaften von Mikroteilchen erweist die Universalienlehre des Mittelalters als richtig.
Auf die Geschichtswissenschaft übertragen, bedeutet das, daß unser Ist-Zustand ja irgendwo herkommen muß, klimatisch, religiös, astronomisch, wirtschaftlich, architektonisch, genetische und sprachliche Spuren usw.
Dr. Illig, Dr. Paul C. Martin und Konsorten hüten sich sehr wohl das bestehende Gesamtbild, das sie einreißen und das Loch, welches sie zwischen dem Jahr 614 bis zum 911 künstlich schaffen, durch ein neues Modell, das alle Randbedingungen abdeckt, zu ersetzen. Sie genügen sich in der Rolle von Sophisten, die sich gleich mit Diogenes in die Tonne legen könnten. Hier ein interessantes Zitat von Dr. Paul C. Martin:
„Also ich bedanke mich zunächst sehr. Ich bin auf Punktschuss spezialisiert und habe keinerlei zusammenhängende Geschichtsbilder (außer den bekannten mainstreamigen natürlich). Mir ist auch ganz wurscht, ob und wer existiert hat. Ich finde es nur unsachlich und unsauber, Leute wie KdG (Karl den Großen) aufzutischen und zu datieren, und an diesem Phantom bis ins Aschgraue festzuhalten, obwohl da nun wirklich nichts stimmt und nichts zusammenpasst.
Da muss man dann gestehen, sorry, die Figur ist nicht zu halten und wir haben jetzt ein Loch und wissen nicht wie wir es füllen können.
Mir geht's da wie bei der Evolutionsdebatte. Ich bin der Meinung, Darwin ist nicht zu halten, bin aber auch kein Kreationist, der Kreationismus ist nach meiner Meinung ebenfalls nicht zu halten. Ich sage dann eben: Ich weiß es nicht. Und fertig.“
Und fertig! Ja, das ist alles. Die unangenehme Arbeit zu zeigen, wie es den nun wirklich war, wollen sie gar nicht bewältigen. Geht ja auch gar nicht, denn erst einmal haben sie sich ja aller Quellen beraubt, weil ja alles gefälscht oder erlogen ist und es ist ja auch tatsächlich unmöglich zu erklären, wie es 614 aufhört und 911 weitergeht. Irgendein Merowinger wird adhoc durch Konrad I. ersetzt und dann ist schon Heinrich der Vogler deutscher König.
Mohammed hat es also nie gegeben? Wann wurde Jerusalem erobert und von wem? Wann verschwanden die westgotischen Könige von der Bildfläche, wenn die Araber nicht nach Spanien gekommen sind? Wann wurden die Deutschen zu Christen? Gab es keinen Wikingersturm? Was ist mit dem Ikonoklasmus? Was ist mit China, daß genau während dieser „Phantomepoche“ seine Macht beinahe bis an das Kaspische Meer ausdehnte. Warum sind deutsche Klöster nach keltischen Personen benannt? Woher der Name Lothringen kommt, nämlich von Lothars Mittelreich, bleibt ebenso schleierhaft wie das Verschwinden dieses Reiches. Die Gräber Hassans, Husseins und Alis, auf die sich die Schiiten berufen, werden also sinnloserweise von den heutigen Schiiten besucht, weil sie alle Phantome waren? Warum gibt es die Schia und warum die Sunna? Ein Photianisches Schisma kann nicht nachgewiesen werden, weil es also keinen Streit zwischen Ostkirche und Westkirche um das „Filioque“ gab.
Bezeichnenderweise sind es genau die christologischen Streitigkeiten mit ihren Spätfolgen, die einen durchgehenden Geschichtsfluß hinterlassen. Es haben sich während Illigs Phantomzeit ja nicht nur barbarische Halbtrottel um Throne gestritten, sondern es wurden in dieser Zeit auch geistige Kämpfe ausgetragen, die ihre Spuren bis heute hinterlassen haben und Menschen einen, oder trennen.
Ganz abgesehen davon, daß Illig die Argumente der Astronomie sowieso nicht widerlegen kann.
Mir ist es daher unbegreiflich, wie Du sagen kannst, Illig hätte gute Argumente. Für mich liegt das auf derselben Linie, wie die Leugnung der Mondlandung.
Was bezeichnenderweise religionslose Skeptiker in der Geschichtswissenschaft anrichten, findet sein Gegenstück in der Stümperei von irgendwelchen Frömmlern, wenn es um Physik und Naturwissenschaften geht. Da will man uns ja weismachen, die Relativitätstheorie und Quantenphysik beruhe auf Betrügerei.
Alle wollen im Moment überall Verschwörungen aufdecken Am Ende glaubt niemand niemandem mehr. Wem soll damit gedient sein, denn auch den Kritikern brauche ich keinen Glauben zu schenken. Warum sollten die es besser wissen? Eine gesunde Kritikfähigkeit beruht immer auf Abwägen und zurückhaltendem Urteil und Plausibilität.
Viele Grüße,
Dein Th..o.
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