- POLITISCHE Ã-KONOMIE DES TERRORS - Rebell, 19.10.2001, 18:37
POLITISCHE Ã-KONOMIE DES TERRORS
Interessanter Artikel von Robert Kurz
http://www.giga.or.at/others/krisis/
POLITISCHE Ã-KONOMIE DES TERRORS
Der globale Krisenprozess und die Weltmachtfrage
So wild wie die Börsenkurse schwanken die Meinungen darüber, welche Auswirkungen der Terrorschlag in den USA auf die Weltwirtschaft haben könnte. Die ökonomischen Kurzzeitdenker und Pragmatiker eines business as usual hoffen nach schnell absolvierter Trauerarbeit allen Ernstes auf einen hübschen Aufschwung durch Investitionen in Sicherheitstechnologie,"Wiederaufbau" in Manhattan und Rüstungskonjunktur. Bin Laden hätte somit die Weltwirtschaft gerettet und müßte irgendeinen Nobelpreis bekommen (der damit dem Gewerbe seines Stifters endlich einmal voll und ganz entsprechen würde). Umgekehrt befürchten die Konjunkturpessimisten und Elegiker der schon seit 15 Monaten absaufenden Finanzmärkte, daß die geschockten US-Verbraucher plötzlich aus Verzweiflung zu sparen beginnen, statt die Waren der Welt in sich hineinzustopfen, um die planetarische Mühle am Laufen zu halten. In diesem Fall würde die flackernde Kerze der Weltkonjunktur ausgeblasen und der bärtige Herr hätte den ganzen wunderbaren Kapitalismus ruiniert, so die vorsorgliche Legende.
Beides ist natürlich Unsinn. Tatsächlich befindet sich das warenproduzierende Weltsystem ganz unabhängig von seinen umherschleichenden Wahnsinnigen und deren Taten in einer prekären Situation. Kapitalistische Wirtschaft ist eben nicht zu 90 Prozent Psychologie, sondern umgekehrt zu 90 Prozent objektivierter Prozeß. In dieser Hinsicht ist die globale Realakkumulation längst an ihre absolute innere Grenze gestoßen. Die strukturelle Überakkumulation mußte notwendig die Finanzblasen der 90er Jahre hervortreiben, in deren Zentrum die Verschuldung der US-Ã-konomie steht. Diese Blasenkonjunktur ist inzwischen erschöpft, wie der Zusammenbruch der so genannten New Economy und der schleichende Verfall der Standardwerte deutlich gemacht haben. In welchem Gemütszustand auch immer sich die völlig überschuldeten US-Verbraucher und Unternehmen befinden mögen, sie werden das Geld weder ausgeben noch sparen können, das sie nicht mehr haben.
Früher oder später muß die Konsequenz einer globalen Depression hervortreten und die Grenzen des Systems auch an der Marktoberfläche erscheinen lassen, was natürlich die Ideologen und Funktionseliten nicht wahrhaben wollen. Mit der beispiellosen Maßnahme von nicht weniger als sieben Zinssenkungen innerhalb von acht Monaten versuchte die US-Notenbank (Fed) den Kursverfall aufzuhalten und die von"fiktivem Kapital" getriebene Konjunktur zu retten. Der durchschlagende Erfolg dieses Börsenkeynesianismus ist ausgeblieben.
Angesichts des erreichten Grades der Krisenreife können nahezu beliebige Negativ-Ereignisse den finanzkapitalistischen GAU auslösen. Zu 10 Prozent ist die kapitalistische Wirtschaft eben auch Psychologie. Insofern war der Kamikaze-Angriff in seiner gewissermaßen metaphysischen Dimension als Akt von starker Symbolik durchaus geeignet, zwar nicht zur Ursache, aber zum Anlaß für den großen Crash zu werden: Zuletzt mußte die Wall Street in der Weltwirtschaftskrise für mehr als 3 Tage dicht machen. Mr. Greenspan hat die achte Zinssenkung in Folge als"monetäre Seelenmassage" (Neue Zürcher Zeitung) verordnet, die EZB und nahezu alle wichtigen Notenbanken folgten diesem Schritt. Patriotische Rituale gegen einen unsichtbaren Feind, der kaum fürchterlicher ist als die vielbeschworene"unsichtbare Hand" der blinden Systemlogik, sollen ebenso zur Beruhigung beitragen wie die üblichen Appelle zur Besonnenheit an die finanziell längst ausgebombten Kleinanleger.
Dennoch ist das Kursniveau weltweit rapide abgesunken. Es heißt, die Panik sei vermieden worden. Aber das bedeutet nur, daß in dieser Situation 8 Prozent Kursverlust an einem Tag fast schon als Erfolg gelten. Die angekündigten Rückkäufe eigener Aktien durch namhafte Konzerne wie Microsoft und Hewlett Packard können die Kurse nur um den Preis weiterer Verschuldung vorübergehend stützen. Unmittelbar am stärksten betroffen sind die Airlines, deren Papiere durchweg 50 Prozent verloren. Aber auch dieser Absturz samt den folgenden Massenentlassungen war schon seit Monaten programmiert. Wenn sich die Rauchschwaden der Katastrophe verzogen haben, wird ökonomisch nichts anderes sichtbar werden als dieselbe Krisentendenz wie vorher, nur um einige Grade verschärft.
Die mögliche Eigenschaft des Kamikaze-Angriffs als Auslöser eines nicht mehr aufzuhaltenden Finanzbebens bleibt aber in einer anderen, weiter gehenden Hinsicht aktuell. Das Moment einer Initialzündung kann nämlich nicht nur unmittelbar auf der Ebene der Aktienmärkte wirksam werden, sondern auch vermittelt auf der Ebene der Devisenmärkte.
Zu den Paradoxien der Globalisierung gehört es, daß die molekulare Auflösung der Betriebswirtschaft in transnationale Strukturen (Outsourcing, Kapitalexport als Funktion der Rationalisierung etc.) gebunden bleibt an den nationalen Geldnamen der Währung. Die reale Metaphysik des Geldes ist nicht anders darstellbar als in nationalen Geldformen; eine unmittelbare Weltwährung kann es ebensowenig geben wie einen Weltstaat, es sei denn, die Rückkehr zum Goldstandard wäre möglich. In dieser"archaischen" Form ist das Weltsystem aber auf dem erreichten Stand der Produktivkräfte monetär nicht mehr zu reproduzieren. Es bedarf also einer national gebundenen Leitwährung als finanzkapitalistisches Transaktions-, als Welthandels- und Reservemedium, in dem sich alle anderen Währungen relativ zueinander darstellen können.
Zweifellos bildet der Dollar nach wie vor die globale Leitwährung, weil dieser Status an die Weltmacht-Position gebunden ist und deshalb weder vom Yen noch vom Euro übernommen werden kann. Daß die fortschreitende Globalisierung den nationalökonomisch-nationalstaatlichen Rahmen aufsprengt, wird besonders durch den reihenweisen Kollaps der Währungen peripherer Länder deutlich, die entweder ganz"dollarisiert" oder deren Währungshohheit durch passive Bindung an den Dollar liquidiert wird. Die Globalisierung, die als Funktion des inneren systemischen Krisenprozesses auch der äußeren Form nach an die Grenzen des Systems heranführt, ist in kapitalistischer Gestalt überhaupt nur durchhaltbar, solange der Dollar hält.
Die Weltmachtposition der USA hat jedoch längst keine ökonomischen Grundlagen mehr, sondern nur noch militärische. Der Ausgangspunkt dieses Niedergangs aufgrund des horrenden Weltmachtkonsums war schon die Preisgabe der Goldkonvertibilität des Dollar durch Präsident Nixon 1973. Seither besteht das"Gold" der US-Währung in der Potenz der US-Militärmaschine. In der 3. industriellen Revolution werden die USA von der inneren Krise der Akkumulation ebenso aufgezehrt wie die übrige Welt. Entgegen allen Legenden um die New Economy, die sich inzwischen in Rauch aufgelöst haben, liegt die reale Produktivität der US-Ã-konomie unter der europäischen und japanischen. Den Beweis liefert die historisch beispiellose Außenverschuldung.
Die Rolle der Vormacht ist damit noch stärker an das militärische Machtmonopol gebunden. Es war der Rüstungskeynesianismus der Reagan-Ära, der die Voraussetzung für die finanzkapitalistische Blasen- und Verschuldungskonjunktur der 90er Jahre schuf, und auch diese war nicht denkbar ohne die Führungsrolle in den Weltordnungskriegen am Golf und in Ex-Jugoslawien. Parallel zum globalistischen Krisenprozeß einer Ã-konomisierung der Politik haben wir es also auf der Ebene der Geldform umgekehrt mit einer Politisierung oder quasi Militarisierung der Leitwährung zu tun. Nur deshalb strömt das Geldkapital der Welt weiter in die USA und ermöglicht diesen die Aufnahme und Verknusperung der globalen Warenüberschüsse, weil die Militärmaschine der letzten Weltmacht als Weltpolizist agieren kann und die USA als"Hafen der Sicherheit" in einer destabilisierten Krisenwelt gelten.
Man kann also ermessen, welchen Schlag der Kamikaze-Angriff diesem weltökonomisch notwendigen Nimbus versetzt hat. Schon in den ersten Reaktionen schoß der Goldpreis ebenso wie Yen und Euro im Verhältnis zum Dollar kurzzeitig nach oben; zur Verzweiflung der Japaner, die nur noch am Strohhalm ihres Exportüberschusses hängen. Natürlich ist auch der Dollar längst reif für den Absturz. Umso stärker wird jetzt der Druck, um jeden Preis den status quo ante wiederherzustellen. Deshalb hat ein Militärschlag auch eine unmittelbare und sogar entscheidende ökonomische Dimension.
Das Dumme ist nur, daß die Sache zweischneidig ist und damit ein hohes Risiko enthält. Bomben die USA nicht, bleibt der Makel mangelnder Zugriffsgewalt als Weltpolizist, der bei sich zuhause Schläge einstecken muß. Eine bloße Auslieferung von bin Laden ohne die Demonstration eines Militärschlags wäre wahrscheinlich noch zu wenig für eine Rehabilitierung. Bomben sie aber, dann wird es massenhaft zivile Opfer, Fluchtströme usw. geben. Im Interesse einer Erhaltung des globalen Währungsankers wird man natürlich jedes Menschenopfer in Kauf nehmen. Allerdings ist die Frage, ob die Finanzmärkte diesmal bloßes Bomben aus sicherer Höhe als den"Sieg" akzeptieren, der unbedingt her muß. Angesichts der qualitativ neuen, nicht mehr allein staatlich zu definierenden Feindlage muß vielleicht auch die Fähigkeit zum infantristischen Zugriff bewiesen werden, was bekanntlich in den wenig high-tech-freundlichen Bergen Afghanistans mit einem Desaster enden kann - ganz abgesehen von der Gefahr unbewältigbarer politisch-militärischer Kettenreaktionen im"islamischen Krisenbogen" von Pakistan bis Mauretanien.
Der Schuß kann also nach hinten losgehen und die weltwirtschaftliche Spätzündung des Terrorschlags als Auslöser des fälligen Finanzcrashs noch kommen. Die von der stummen, nicht verhandlungsfähigen Logik des Finanzkapitals getriebenen Akteure lauern auf die Reaktion der USA, bereit zur Flucht in den Abgrund wie zum vorläufigen Aufatmen.
Schöne Grüße Rebell
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