- Die Verräter - Über die"frei" Presse in USA - Standing Bear, 04.11.2001, 21:51
Die Verräter - Über die"frei" Presse in USA
Die Verräter
In Amerika steht die freie Meinungsäußerung über allem. Doch im Krieg werden Journalisten gekündigt, wenn sie keine Patrioten sind
VON PETER De THIER
WASHINGTON, im Oktober. Bill Maher ist ein ausgesprochen unsympathischer Mensch. Er hat eine steile Karriere daraus gemacht, andere zu beleidigen. In seiner Talkshow"Politisch Inkorrekt", die um halb ein Uhr nachts ausgestrahlt wird und trotzdem Einschaltquoten wie während der abendlichen Prime Time erreicht, trifft der Journalist Prominente im wahrsten Sinne des Wortes unterhalb der Gürtellinie. Republikanische Politiker, die seinerzeit für Bill Clintons Amtsenthebung plädierten, fragte er, ob sie selber impotent seien und deswegen einen solchen Frust auf den Präsidenten hätten. Hollywood-Diven befragt er zu Details ihrer Brustimplantate. Robert de Niro weist er darauf hin, wie"hundsmiserabel" sein letzter Film gewesen sei.
Für diese Provokationen kassiert Bill Maher über eine Million Dollar im Jahr. Denn ganz gleich, wie geschmacklos er ist, die Leute gucken zu. Prominente aus Politik und Show kommen gern, weil es angesagt ist, bei Bill Maher zu gastieren. Jeder kann seine Meinung sagen, allen voran der selbstbewusste Moderator und nicht einmal der Programmdirektor wagt es, ihn in die Schranken zu weisen.
Das hat sich allerdings geändert. Wenige Tage bevor die USA mit ihren militärischen Angriffen gegen die Taliban-Milizen und die El-Kaida-Terroristenorganisation begannen, sagte Bill Maher in seiner Sendung einen verhängnisvollen Satz:"Wenn unsere Piloten und Kommandeure von zweitausend Meilen Entfernung Marschflugkörper auf Afghanistan abfeuern, dann sind sie allesamt Feiglinge." Im Fernseh-Studio herrschte plötzlich Stille. Selbst die üblichen Buhrufe blieben aus, mit denen Mahers provokante Thesen in der Regel quittiert werden. Dann fuhr er fort:"Nur wer im Cockpit sitzt und mit draufgeht, wenn ein Kampfjet sein Ziel trifft, der ist nicht feige." Der Moderator lehnte sich selbstbewusst zurück und wartete auf eine Reaktion.
Die Reaktion kam schnell, allerdings nicht von seinem Livepublikum. Noch während die Sendung ausgestrahlt wurde, kündigten die Hauptsponsoren"Federal Express" und"Sears" ihre Verträge mit Mahers Show. Bill Maher wurde beurlaubt und sollte nur dann seinen Job zurückbekommen, wenn er sich abends zur Hauptsendezeit in der Talkshow seines Konkurrenten und bitteren Rivalen Jay Leno bei seinen Landsleuten, dem Präsidenten und den loyalen Soldaten, die ihr Leben fürs Vaterland riskieren, auf überzeugende Weise entschuldigt.
Leise Kritik
Überzeugend wirkte es nicht, als Bill Maher Amerika um Verzeihung bat. Aber er tat es und es war auch seine einzige Chance. Er tritt nun deutlich leiser auf, meidet die gezielte Provokation und ist nicht mehr ganz der Alte. Doch im Gegensatz zu vielen anderen US-Journalisten arbeitet Bill Maher noch. Viele haben während der letzten Wochen ihren Job verloren, weil sie auch nur die leiseste Kritik an der Politik der amerikanischen Regierung zu äußern wagten. Einige sagten, das US-Engagement im Nahen Osten sei schon immer an israelischen Interessen ausgerichtet gewesen und habe die islamischen Fundamentalisten über Jahrzehnte provoziert. Andere argumentierten, dass ohne die Vertreibung Saddam Husseins aus Kuwait, die ja angeblich ohnehin nur von der amerikanischen Ã-lindustrie und den Lobbyisten um Altpräsident Bush angetrieben war, Osama Bin Laden nie und nimmer die Motivation gehabt hätte, einen Terrorkrieg gegen Amerika zu beginnen.
Aber selbst jene Journalisten, die nur eine leise Kritik an Präsident George W. Bush wagen, müssen dieser Tage einen hohen Preis zahlen. Tom Gutting etwa, Kolumnist bei der"Texas City Sun", bezeichnete nach den Terroranschlägen Bush als"eine Marionette, deren Fäden von seinen Hintermännern gezogen werden. Noch nie war das so offensichtlich wie während dieser Krise". Gutting erinnert sich, wie ihn am Erscheinungstag der Chefredakteur in sein Büro bestellte und erklärte, dass"wir nicht mehr produktiv zusammenarbeiten können". Der junge Redakteur wurde ohne nähere Angabe von Gründen fristlos entlassen.
Was den Chefredakteur so sehr irritiert hatte, das begriff Gutting, als er am nächsten Tag beim Frühstück die"Texas City Sun" aufschlug. Darin bat der Chefredakteur die Leserschaft um Entschuldigung und schrieb, dass"die Ansichten unseres früheren Mitarbeiters Tom Gutting derartig absurd sind, dass sie nicht einmal einer Stellungnahme würdig sind. Möge der liebe Gott Präsident Bush segnen".
Nun liegt die Vermutung nahe, dass gerade eine Zeitung aus dem Heimatstaat der Familie Bush in Krisenzeiten zu solchen Maßnahmen greift. Doch dasselbe Schicksal wie Tom Gutting ereilte Journalisten in allen Teilen des Landes. Dan Guthrie vom"Grants Pass Daily Courier" in Oregon warf George W. Bush lediglich vor,"gezaudert" zu haben und bezeichnete es als"Blamage, dass nach den Anschlägen vom elften September unser Präsident in einem Bunker in Nebraska untergetaucht ist". Auch Guthrie verlor seine Redakteursstelle und ist bis heute arbeitslos.
Eckpfeiler der Demokratie
Mehr als zwei Dutzend Vertreter der Print- und elektronischen Medien in den USA sind als unmittelbare Folge ihrer Berichterstattung über die Anschläge und ihre Auswirkungen auf Stellensuche. Die Dunkelziffer liegt nach Ansicht von Medienexperten noch deutlich höher. Die Entlassungen durchaus angesehener Journalisten, die während ihrer Laufbahn keine gravierenden Fehler begangen hatten und in Kommentaren schon häufig beißende Kritik an einem Präsidenten übten, hat in den USA eine Debatte über die Zukunft der Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung entfacht."Das ist nichts Anderes als Zensur", sagt der Medienwissenschaftler Theodore Winston."Hätten diese Reporter vertrauliche Informationen publiziert, die unsere nationale Sicherheit kompromittieren, dann könnte man ihnen das Handwerk legen."
Doch das Recht, seine Meinung äußern zu dürfen, ist einer der Eckpfeiler unserer großen Demokratie, sagt Winston."Der Beginn der Zensur ist das Ende der Pressefreiheit." Anders sieht es Jonah Goldberg, Chefredakteur der konservativen Wochenzeitung"National Review". Er feuerte seine Starkolumnistin Ann Coulter, als sie für die Online-Ausgabe der Zeitung die provokante These aufstellte, dass der Krieg gegen islamische Fundamentalisten nur dann zu gewinnen sei,"wenn wir in ihre Länder einmarschieren, ihre Führer stürzen und die Moslems alle zum Christentum bekehren".
Goldberg räumt ein, dass er die frühere politische Beraterin Coulter wegen ihrer bissigen Texte überhaupt erst eingestellt habe."Doch seit dem 11. September sind die Karten neu gemischt" sagt er."Wir leben nun in einer Ära, in der gerade Journalisten wieder erkennen müssen, wie gewichtig ihre Worte sein können. Wer diese Verantwortung nicht ernst nimmt, der muss mit Konsequenzen rechnen."
Fraglos sind die Medien in einer exponierteren Lage und daher verwundbarer als andere öffentliche Personen. Schließlich blieben wesentlich schärfere Ausfälle als die etwas Bush-kritischen Kommentare weitgehend ohne Konsequenzen. Tom Gutting ist deshalb überzeugt, dass er weniger den patriotischen Anwandlungen seines Chefredakteurs zum Opfer viel, als vielmehr nüchternen geschäftlichen Überlegungen."Wenn hundert Leser den Kopf des Autors verlangen oder ansonsten das Abo kündigen wollen, dann hat der Chefredakteur keine Chance", sagt Gutting.
Dennoch sind es keineswegs nur wirtschaftliche Kriterien, die die Medienkonzerne veranlassen, ausgerechnet jene Journalisten, die für ihre Kommentare und kritischen Analysen sonst gut bezahlt werden, neuerdings an der kurzen Leine zu halten."Es geht hier um etwas Fundamentales, das nichts mit Geld zu tun hat", sagt der Republikaner Ed Gillespie."Wir haben Kriege erlebt und Soldaten verloren, in Korea, Vietnam und im Persischen Golf. Amerikaner wurden von Terroranschlägen in aller Welt erschüttert, bei denen Freunde und Verwandte starben. Doch was am 11. September geschah, das nimmt ganz andere Dimensionen an. Dass es uns auf heimischem Boden treffen würde, hat das Selbstverständnis einer Nation erschüttert, die sich gegen einen solchen Angriff immun fühlte."
Der neue Patriotismus
Deswegen seien jetzt neue Maßstäbe anzulegen."Es gelten im wahrsten Sinne des Wortes neue Gesetze." Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das im legendären"First Amendment", der ersten Abänderung zur amerikanischen Verfassung, niedergeschrieben ist, trete nun in den Hintergrund. Alle müssten jetzt zusammenstehen und selbst die Journalisten hätten sich geschlossen hinter den Präsidenten zu stellen. Von fast allen Medien wird dieser neue Grundsatz auch klaglos akzeptiert. Selbst die liberale"Washington Post", die während der ersten acht Monate der Amtszeit von George W. Bush mit dem neuen Präsidenten hart ins Gericht ging, hält sich in diesen Tagen dezent zurück.
"Wie stark dieser neue Patriotismus auf unsere unabhängigen Medien durchschlagen würde, das habe ich eindeutig unterschätzt", sagt Tom Gutting."Mein Kommentar war absolut richtig. Doch wir führen den ersten Krieg des neuen Jahrhunderts. Da war mein Beitrag womöglich fehl am Platze."
Zum Glück sind wir noch nicht ganz so weit und ich habe jetzt sogar wieder mehr Hoffung, daß immer mehr Leute aufwachen.
J.
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