- Etwas Rhetorik zur Erbauung;) - mguder, 09.11.2001, 21:16
Etwas Rhetorik zur Erbauung;)
Feuilleton
Alexander Reich
Kanzlers Kriegserklärung
Rhetorische Abgründe der »Regierungserklärung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus«
Am Donnerstag warb der Kanzler vor dem Bundestag für den Kriegseintritt Deutschlands. Gleich zu Beginn machte er klar, daß die Sache vom Parlament im Prinzip »bereits am 19.September mit übergroßer, fraktionsübergreifender Mehrheit beschlossen« worden sei. Der folgende Einblick in seine rhetorischen Techniken basiert auf dem Manuskript, das auf der Homepage der Bundesregierung nachzulesen ist. Zwar gilt in letzter Instanz das gesprochene Wort, das allerdings ist zumindest bei Schröder gespickt mit unbeholfenen Ausrutschern und belanglosen Nachlässigkeiten, die zu erörtern kaum Sinn macht. Sie gereichen gerade noch Oppositionspolitikern wie Michael Glos zur Ehre, der in seinem Beitrag partout auf dem Unterschied zwischen »Anfrage« und »Aufforderung« der Vereinigten Staaten bestand, nur um gleich darauf zu betonen, daß diese Ungenauigkeit auch ihm und seiner CSU-Fraktion eigentlich am Arsch vorbeigehe - dafür gestimmt werden muß, so oder so.
Zu Beginn bemühte der Regierungschef die aufwertende Verneinung (Litotes), um die Beschlußlage zu verselbständlichen: »Zunächst geht es nur um die Bereitstellung der deutschen Kräfte, auch wenn der Bundestag schon jetzt um die Zustimmung für einen späteren Einsatzbeschluß gebeten wird. Dieses Verfahren ist nicht neu. Genauso hat der Bundestag in völligem Einklang mit der Verfassung bei seinem Kosovo-Beschluß vom 16. Oktober 1998 gehandelt.« Kurz darauf lief er für einen Moment zur Hochform auf. Nach dem üblichen »Räusperer«, den er schon im Manuskript sechs mal nötig hatte, deutete er die Übereinstimmung mit der Meinung des Gegenüber an (Concessio): »Meine Damen und Herren, natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland jetzt besorgt die Frage, welche Konsequenzen der deutsche Beitrag für uns hat - und insbesondere für unsere Soldaten.« Im nächsten Satz legte er das Eingeständnis eines für die eigene Seite negativen Aspektes nach (Confessio): »Es gibt darauf keine endgültige Antwort.« Auf diese Art erlangt man Wohlwollen oder Mitgefühl des Publikums. Im nächstfolgenden Satz brannte sein Tischfeuerwerk der Redekunst herunter mit der vorzeitigen Nennung schockierender Aspekte (Anticipatio): »Ich bin mir wohl bewußt: Jeder Auslandseinsatz birgt Risiken und Gefahren.« So schwächt man die Position der Gegenseite. Am Ende löste sich alles in heißer Luft auf: »Aber ich möchte in aller Deutlichkeit erklären: Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, die bestmögliche Sicherheit unserer Soldaten zu gewährleisten.« Letztlich sein kunstvollster Absatz.
Die Vorwegnahme (Anticipatio) wurde im Laufe der Rede noch zweimal verwendet. Einmal war sie kaum auszumachen, einmal verhielt sie sich analog zur schon erwähnten. »Meine Damen und Herren, die Eindämmung des internationalen Terrorismus verlangt große Anstrengungen und langen Atem«, hieß es nach einem langen Absatz, der in nervötender Wiederholung die »Lösung« der afghanischen Frage beschwor, um das eingelullte Publikum schließlich mit dem »ungelösten Nahost-Konflikt« aus der Ermüdung aufzuschrecken. Es erwachte in die Lobgesänge auf den umtriebigen Außenminister. Kurz vor Schluß wiederholte Schröder dann im Prinzip den Anfang: »Meine Damen und Herren, wir stehen im Kampf gegen den Terrorismus vor einer großen Herausforderung. Sie ist nicht ohne Risiko.« Hätte er wie oben »nicht ohne Risiko und Gefahr« gesagt, wäre das ein gedoppelter Pleonasmus gewesen. Er hätte sich auf dem Weg zu einer Art Hattrick aus Eigentoren befunden. Ein Pleonasmus nämlich steht für überflüssige Fülle - wer einen Begriff ergänzt, ohne zusätzliche Informationen zu liefern, langweilt und wird mit diesem Wort beschimpft.
Schröder macht das ganz gern, vor allem in Aufzählungen: »Das heißt vor allem: uns dem Phänomen stellen, daß Terroristen kulturelle, soziale und politische Mißstände für ihre mörderischen Zwecke instrumentalisieren«, sagte er etwa kurz vor Schluß und betrachtete das Problem auf diese Weise von rechts unten, links hinten und mittig drüben, als wäre es
jedesmal ein überraschend anderes. Überschneidungen sind Schröders Spezialproblem bei Aufzählungen. Selbst wenn sie ihm etwas besser gelingen. Im nachfolgenden Satz hieß es: »Diese geistige Auseinandersetzung haben wir im Dialog mit den muslimischen Gesellschaften zu führen, die dabei allerdings auch ihrer eigenen Verantwortung nachkommen müssen, um das Ziel einer gemeinsamen, friedlichen und humanen Entwicklung zu erreichen.«
In Schröders Abschlußworten wuchs sich dann ein Problem aus, daß die Versammelten im Laufe der Rede zunehmend irritiert haben muß - das »wir«. Zu Beginn schien der Kanzler »uns hier im Bundestag« zu meinen: »Rufen wir uns in Erinnerung...« Als er dann von der »an uns« gerichteten Anfrage der amerikanischen Regierung sprach, geriet die Sache etwas ins Wanken. Sie kippte nach dem Prinzip des Pars pro toto, nach dem ein Teil rhetorisch für das Ganze stehen kann, mit den Worten: »Das Bundeskabinett hat gestern beschlossen, dieser Bitte zu entsprechen. Wir erfüllen damit die an uns gerichteten Erwartungen und leisten das, was uns objektiv möglich ist und was in dieser Situation politisch zu verantworten ist« - vom »wir aus dem Bundeskabinett« geriet er fast zwangsläufig in eine Formulierung, die auf verantwortlich Handelnde völlig verzichtete.
Von da an kannten die »Wirs« kein Halten mehr. Wie oben schon aufgeführt: »Natürlich stellen sich viele Menschen in Deutschland jetzt besorgt die Frage, welche Konsequenzen der deutsche Beitrag für uns hat« - »uns Menschen in Deutschland« muß er gemeint haben. Sonst würde er glauben, daß »viele Menschen in Deutschland« nichts als das Wohlergehen ihrer Abgeordneten im Kopf haben. Richtig bitter wurde es erst, als er im Schlußwort die Vorsitzende der größten Oppositionspartei aus seinem »Wir« ausschloß, indem er die DDR salopp unter das Pult fallen ließ. »Mehr als 50 Jahre lang haben die Vereinigten Staaten in Solidarität zu uns gestanden. (...) Und deshalb geht es jetzt auch darum, unseren praktischen Beitrag zur Solidarität - die ja unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und unserer gemeinsamen Zukunft in Sicherheit und Freiheit gilt - zu leisten. Wir tun dies in offener, demokratischer und auch kritischer Diskussion. Aber, wie ich hoffe, auch mit großer Geschlossenheit im Ergebnis. Ich danke Ihnen.«
Hier nun ist Schluß mit Rhetorik. Unmöglich, das leiernde gemeinsam, gemeinsam, gemeinsam noch in den Rang einer Redefigur zu heben. Alle Schönheit ist hin, nur noch Verachtung, Verachtung, Verachtung übrig ob soviel ignoranter, plumper Vereinnahmung - man will mit dem Mann nicht in einem Land leben, geschweige denn von ihm regiert werden. Weil einen aber letztlich nur der vermeintliche, tiefere Sinn solcher Sprachverstümmelungen trösten kann: Kürzlich erschien eine Studie der Stanford University. Die Wissenschaftler hatten Angestellte eines multinationalen Finanzunternehmens beobachtet und versucht herauszubekommen, unter welchen Voraussetzungen sich die Kollegen bei der Arbeit gegenseitig zur Hand gingen.
Die Amerikaner hatten die Norm der Gegenseitigkeit intus: Sie fühlten sich in erster Linie verpflichtet, wenn sie noch einen Gefallen schuldig waren. Die Deutschen hingegen suchten hauptsächlich offizielle Regelungen einzuhalten. Sie sahen sich zur Hilfe gezwungen, wenn sie meinten, dies würde im Betrieb so erwartet. Schröder ist auf unheimliche Weise so amerikanisch wie deutsch. »Uns« stellt er sich nicht groß anders vor. Er glaubt, daß er »uns« mit einem Geschenk zu einer Gegenleistung drängen kann und bietet wie ein Fitneß-Studio-Inhaber ein Probetraining an - die »offene, demokratische und auch kritische Diskussion« -, um »uns« hinterher mit dem Vertrag zu knebeln: »die große Geschlossenheit im Ergebnis«. Herr Schröder, »ich danke Ihnen«.
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2001/11-10/020.php</ul>
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: