- Wo bleibt die Skepsis? - YIHI, 11.11.2001, 22:07
Wo bleibt die Skepsis?
Wo bleibt die Skepsis?
Von Carsten Volkery, New York
Es ist wie ein Befreiungsschlag nach dem Terror: An der Wall Street sind seit sieben Wochen die Bullen los. Gibt es nichts, was die Rallye beenden könnte?
DPA
New York - Glaubt man den Analysten und Händlern (und was bleibt einem anderes übrig?), dann werden die Aktienkurse auch in dieser Woche wieder nur eine Richtung kennen: Nach oben. So sicher sind sich die Börsianer, dass sie Einbrüche wie den am vergangenen Freitag als"Atempause" bezeichnen.
Auch in dieser Woche scheint nichts die Bullen aufhalten zu können. Zwar melden einige Tech-Firmen, darunter am Donnerstag PC-Wunderkind Dell, Quartalszahlen. Doch die Zeiten, als ein Rülpser des Marktführers den Markt erschüttern konnte, sind vorbei."Vom Tech-Sektor erwartet niemand was", sagt David Blitzer, Chef-Stratege bei der Rating-Agentur Standard and Poor’s.
Die wichtigsten Nachrichten kommen heutzutage aus dem Einzelhandel, denn hier schlägt der Puls des amerikanischen Verbrauchers. Und da gibt es in dieser Woche gleich ein Doppelpack. Die Oktoberumsätze der Branche werden am Mittwoch bekannt gegeben. Zugleich veröffentlicht der weltgrößte Einzelhändler Wal-Mart am Dienstag seine Zahlen für das dritte Quartal. Die Zahlenkolonnen fungieren als Kristallkugel: Wohin geht die Reise der US-Wirtschaft?
Die Spannung ist ein bisschen raus, weil Wal-Mart und andere Ketten bereits am vergangenen Donnerstag ihre Oktoberumsätze bekannt gegeben haben. Demnach konnten die Discounter durchschnittlich um 5,3 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum zulegen, der Primus Wal-Mart sogar um 6,3 Prozent. Eine respektable Leistung. Schon seit einigen Monaten tendieren die Amerikaner dazu, bei Wal-Mart und Co. einkaufen zu gehen - da ist es einfach billiger. Bekleidungsketten wie Gap hingegen sehen zweistellige Umsatzeinbrüche. Die Discounter sind daher nicht repräsentativ für den Zustand des Einzelhandels, denn sie profitieren traditionell in der Rezession.
Dennoch, auch die Umsätze der Gesamtbranche seien wahrscheinlich im Oktober besser gewesen als im September, schätzt Blitzer. Die Erholung könne allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einzelhandel in einer tiefen Krise steckt. Das Weihnachtsgeschäft wird höchstwahrscheinlich ein Desaster, die Branche überlegt bereits, den Winterschlussverkauf vor dem Winter zu beginnen. Der Einzelhandel sei die größte Sorge der Börsianer, räumt Blitzer ein. Aber sie konzentrierten sich auf die erwartete Erholung im Frühjahr. Der Einzelhandel ist eine der zyklischen Branchen, in denen sich ein Wirtschaftsaufschwung zuerst bemerkbar macht.
Freie Bahn für die Bullen also. Auch sonst gibt es keine roten Tücher, die sie ablenken könnten. Völlig irrelevant für das Marktgeschehen beispielsweise ist die Bekanntgabe der Inflationsrate am Freitag. Die Inflation ist unter Kontrolle. Das ist einer der Hauptunterschiede zur letzten Rezession von 1990/1991: Im zweiten Quartal der Rezession hatte die Inflation durchschnittlich 6,3 Prozent betragen, doppelt so viel wie jetzt. Die US-Notenbank hatte daher keinen Spielraum für Zinssenkungen.
Gibt es denn gar nichts, was den Dow Jones wieder auf Talfahrt schicken könnte, Mr. Blitzer? Doch:"Eine Terrorattacke. Oder sehr schlechte Zahlen von Marktschwergewichten." Aber nicht diese Woche. Also rennen wir weiter mit den Bullen.
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