- Wenn die Blase platzt, dürfen wir wieder mal bezahlen - riwe, 23.11.2001, 07:59
- Re: Wenn die Blase platzt, dürfen wir wieder mal bezahlen - Emerald, 23.11.2001, 11:08
Wenn die Blase platzt, dürfen wir wieder mal bezahlen
DIE ZEIT
Wirtschaft 48/2001
Weiß-blaue Bande
--------------------------------------------------------------------------------
Die bayerische Staatsregierung hilft dem Medienzaren Leo Kirch immer wieder aus der Klemme - und gerät dadurch selbst hinein. Eine Geschichte über Geld und Gefälligkeiten
von Götz Hamann
Mit seinen Dollars könnte ein Amerikaner zwei Männer aus Süddeutschland retten - den Medienunternehmer Leo Kirch und den Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Wie das? Der Amerikaner überlegt, Geld ins deutsche Bezahlfernsehen zu stecken. Sein Name: John Malone. Sein Beruf: Tycoon und Chef von Liberty Media. Mit seinen Milliarden hat er sich schon an vielen Medienunternehmen beteiligt, unter anderem am Weltmarktführer AOL Time Warner. Jetzt will er die deutsche Fernsehlandschaft umkrempeln, hat zuerst das TV-Kabelnetz der Deutschen Telekom in 13 Bundesländern gekauft und sinniert nun öffentlich über einen Einstieg beim Fernsehsender Premiere. Aber: Beiden Geschäften muss das Bundeskartellamt zustimmen, das bisher immer verhindert hat, dass ein Konzern über Kabel und Inhalte gebietet.
Leo Kirch und Edmund Stoiber beobachten den Ausgang des Verfahrens angespannt, weil der eine in finanziellen, der andere in politischen Nöten steckt.
Es begann an einem Februartag dieses Jahres, als Erwin Huber, Chef der bayerischen Staatskanzlei, zum Telefon griff, um dem Medienunternehmer Leo Kirch dabei zu helfen, Geld für einen großen Deal aufzutreiben. So etwas ist durchaus üblich in München. Wie Huber bekannte, habe das Geschäft"den Einsatz der Staatsregierung notwendig" gemacht.
Doch Minister Huber bekam eine Absage - was nicht so üblich ist in München. Am anderen Ende der Leitung saß HypoVereinsbank-Vorstand Dieter Rampl, der das Firmenkundengeschäft verantwortet. Und der - so erzählen es Mitarbeiter der Bank - wollte partout kein Geld hergeben für Kirchs Beteiligung an der Formel 1. Fürs Autorennen also. Zu viele Unwägbarkeiten, befand Rampl, der in der Bankenszene den Ruf genießt, auf prestigeträchtige Kunden lieber zu verzichten, als womöglich auf faulen Krediten zu sitzen. Leo Kirch blieb am Ende nichts anderes übrig, als sich persönlich ans Telefon zu hängen, bis er einen Geldgeber gefunden hatte, der ihm die fehlenden 2,2 Milliarden Mark lieh: die Bayerische Landesbank. So berichtete es später das Magazin Capital.
Wie viel gab die Landesbank?
Brisant ist der Milliardenkredit an Kirch, weil sich dessen Schulden immer höher türmen und es im täglichen Geschäft finster aussieht. Hat die Landesbank im Februar genau hingeschaut? Oder war die Kreditvergabe eine Mauschelei zwischen Privatunternehmer und staatlicher Macht zum möglichen Schaden der Steuerzahler? Dem Freistaat gehört die Hälfte der Landesbank, und damit müsste er auch die Hälfte aller Verluste tragen, sollte Kirch das Geld nicht zurückzahlen können. Dann bekäme auch Ministerpräsident Edmund Stoiber ein ernstes Problem.
Mit welcher Summe die Landesbank bei Kirch engagiert ist, war lange ein gut gehütetes Geheimnis."Ich kenne natürlich die ganzen Zahlen von Kirch", hatte der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser vor einigen Wochen im Landtag gesagt, ohne eine Zahl zu nennen. Wahrscheinlich würde dem Minister auch schwindelig, müsste er es tun: Alte und neue Kredite sowie einige Bürgschaften summieren sich nach Informationen der ZEIT auf rund 4,4 Milliarden Mark. Das bestätigen hochrangige Bankmanager und besorgte CSU-Politiker gleichermaßen. Damit ist das Land einer der größten, wenn nicht sogar der größte Geldgeber von Leo Kirch. Landesbank, Staatsregierung und Konzern äußerten sich auf Anfrage nicht zu der Zahl.
Nun ist Kirch eine der großen deutschen Unternehmerpersönlichkeiten: Aus dem Nichts hat er sein Imperium aufgebaut. Seine Geschäfte machte er zunächst mit Filmrechten, die er meist in Hollywood einkaufte und an hiesige Fernsehsender weiterreichte; später produzierte er auch Filme und TV-Serien, beteiligte sich am Axel Springer Verlag und übernahm die Mehrheit an privaten Fernsehsendern wie ProSieben und Sat.1. Sein bisher größtes Geschäft sollte der Aufbau des Bezahlfernsehens Premiere werden. Über die Jahrzehnte entstand ein weit verzweigter Konzern, in dem Kirch die entscheidende Rolle spielt:
Rechtlich war und ist der Patriarch unentbehrlich, weil er hinter allem steht und die wesentlichen Anteile an den Gesellschaften seines Konzerns hält.
Menschlich hat der Gründer den Konzern durch und durch geprägt. Führende Manager stehen in einem Verhältnis von Treue und Gefolgschaft zu ihm, wie es selten zu finden ist.
Politisch agiert niemand so geschickt wie Kirch."Sein Aufstieg ist ohne die guten Kontakte zu konservativen Politikern nicht vollständig zu verstehen", sagt Horst Röper, Leiter des Medienforschungsinstituts Formatt in Dortmund. Gute Kontakte zur Politik sind nichts Außergewöhnliches in der hiesigen Rundfunklandschaft. Manchmal heißt der politische Freund Wolfgang Clement (SPD), manchmal Edmund Stoiber (CSU), und im Falle Leo Kirchs hieß er jahrelang Helmut Kohl (CDU). Zwischen Kirch und dem früheren Bundeskanzler entwickelte sich ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Kohl schätzte den politisch Gleichgesinnten und seinen steigenden publizistischen Einfluss. Davon profitierte er unter anderem 1994, als er bei Sat.1 mit der Sendung Zur Sache, Kanzler eine Wahlkampfplattform zur besten Sendezeit bekam. Zur medialen Hilfe kam die finanzielle: Kirch spendete an die Konservativen, wie aus den Rechenschaftsberichten der Parteien hervorgeht. Ob er auch einer jener anonymen Parteifreunde ist, mit deren Gaben Helmut Kohl einen Teil des CDU-Spendenskandals erklärt, das versuchte in der vergangenen Woche der Spenden-Untersuchungsausschuss des Bundestages vergeblich zu klären.
Der Medienunternehmer Leo Kirch lebte seinerseits über Jahrzehnte hinweg gut von den Aufträgen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ZDF, in dem ein konservativer Freundeskreis mit 42 von 77 Stimmen den Fernsehrat kontrolliert. Zudem ließ man ihn gewähren, als er in private Fernsehsender investierte. So wurde der Lieferant zum Konkurrenten der Ã-ffentlich-Rechtlichen. Mit dem Vermögen, dass er durch den Tausch von Filmen gegen öffentlich-rechtliche Gebühren machte, kämpfte er nun um Zuschauer und Werbegelder.
Dass die bayerische Landesregierung so einen Mann nicht wie einen Krämer aus der Vorstadt behandelt, ist verständlich. Gleichwohl kann es sie nicht unberührt lassen, wenn Emma Kellner, Landtagsabgeordnete der Grünen, einzelne Minister immer wieder mit Anfragen traktiert:"Wir wollen wissen, unter welchen Umständen der Kredit mit Kirch zustande gekommen ist und ob er in ernsten Zahlungsschwierigkeiten ist." Der Unternehmer könnte die Fragen beantworten, indem er die Zahlen für den ganzen Konzern offen legte. Muss er aber nicht - und will er auch nicht. Zum Unternehmer Kirch gehört eben, dass seine Finanzen allenfalls die Banken etwas angehen. Auf der anderen Seite muss er, 75 Jahre alt, seinen Konzern für die Zeit vorbereiten, in der er selbst nicht mehr führen kann. Deshalb verwandelt er ihn nach und nach in eine börsennotierte Gesellschaft. Seither dringen immer wieder - meist unerfreuliche - Zahlen über Schulden und Verluste nach außen. Sie haben viele Nullen. Manchmal sogar neun.
Fest steht: Mit dem Schicksal des Bezahlfernsehens Premiere steht und fällt der ganze Kirch-Konzern. Kritisch wird es im kommenden Jahr, weil die laufenden Verluste das Eigenkapital aufzehren. Über drei Milliarden Mark habe Premiere am Ende des Jahres 2000, verlautet aus der Kirch-Gruppe. Doch gleichzeitig summierten sich die laufenden Verluste auf zuletzt rund 1,6 Milliarden Mark im Jahr, was aus den Bilanzen des britischen Bezahlkanals BSkyB hervorgeht, der an Premiere beteiligt ist.
Einfach abschalten und aufgeben, das ist keine Lösung für Leo Kirch. Denn sein gesamter Konzern ist in das Premiere-Projekt verstrickt. Die profitable Rechtehandelstochter KirchMedia"hat langfristige Verträge mit Hollywood abgeschlossen", wie ein Mitarbeiter bestätigt. Die großen Studios werden - zum Teil bis 2008 - Filme fürs Bezahlfernsehen liefern, selbst wenn es keines mehr geben sollte. Und Kirch muss zahlen. Medienforscher Röper nennt das eine"fatale Konstellation". Derart in Nöten, dringt Kirch in Hollywood schon seit Monaten auf einen Nachlass - doch die Studiobosse bleiben bisher hart.
Noch prekärer wird Kirchs finanzielle Lage durch eine Option des Axel Springer Verlages. Der kann seine Beteiligung an dem börsennotierten Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 Media AG verkaufen - und Kirch muss sie nehmen. Wie Dieter Hahn, designierter Nachfolger an der Konzernspitze, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bestätigte, werde Kirch 1,5 Milliarden Mark zahlen. Entstanden ist das Geschäft, als aus den einzelnen Sendern ProSieben, Sat.1, Kabel und N24 eine börsennotierte Gruppe werden sollte. Springer, damals Gesellschafter von Sat.1, stimmte nur zu, weil Kirch die Milliardenzahlung garantierte - egal wie tief der Börsenkurs der ProSieben-Aktie sinkt. Von Januar 2002 an wäre das Geschäft steuerfrei, was Springers schlechte Bilanz aufbessern würde.
Es wird eng für den Münchner TV-Kaufmann. Selbst für einen Mann wie ihn sind Milliardenverluste nicht ewig zu verkraften. Das US-Magazin Forbes schätzt sein Vermögen zwar auf zwölf Milliarden Mark, allerdings nicht in bar, sondern gebunden im Konzern, seinem Lebenswerk.
Woher will Kirch das Geld für Hollywood und Springer nehmen, um die nächsten Monate zu überstehen?"Der Dieter weiß, wie man Schulden bezahlt", so sprach Kirch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über seinen zweiten Mann. Hoffentlich behält er Recht. Hahn hantiert zwar mit Milliarden, aber in seinen Händen blieb davon nur ein bisschen Hartgeld übrig, vergleicht man die Überschüsse mit den drohenden Zahlungen: Die Fernsehsender leiden unter der Werbeflaute, der Handel mit TV-Sportrechten, etwa der Fußball-Bundesliga, wirft nicht viel ab, und nur das Stammgeschäft, der Handel mit Filmrechten, läuft zufriedenstellend. Zusammen bleiben nach neun Monaten rund 400 Millionen Mark übrig - vor Steuern und Zinsen.
Trotz Kirchs prekärer Finanzlage nennt die Landesbank den Milliardenkredit vom Jahresanfang"ein völlig normales Bankgeschäft zu marktüblichen Konditionen". Aber am Markt, also bei privaten Banken, hat Kirch die Summe nicht auftreiben können. Von den 3,5 Milliarden Mark, die er insgesamt für den Einstieg in die Formel 1 brauchte, bekam er den größten Teil von der halb staatlichen Landesbank.
An mangelnden Kontakten kann es nicht gelegen haben. Immerhin war oder ist Kirch bei praktisch allen namhaften deutschen Banken verschuldet. Bei der Deutschen Bank, der Dresdner Bank, der Commerzbank, der DG Bank und der HypoVereinsbank. Was die Banken verschreckt haben muss, ist der Blick in die eigenen Bücher: Dort summieren sich die Verbindlichkeiten Kirchs inzwischen auf fast neun Milliarden Mark. Diese Summe hat zumindest Dieter Hahn öffentlich eingestanden; die eine Hälfte lastet auf Premiere, die andere auf den frei empfangbaren Fernsehsendern sowie dem Handel mit Film-, TV- und Sportrechten.
Den letzten Rest Kreditbereitschaft dürfte ein genauer Blick der Banken auf das Formel-1-Geschäft beseitigt haben. Die Zuschauerbegeisterung hat in den vergangenen Jahren zwar stetig zugenommen. Wie aus Unterlagen der KirchMedia hervorgeht, verdiente die veranstaltende Firma namens Slec an Fernsehrechten und anderen Gebühren zuletzt 537 Millionen Mark - vor Steuern und Schuldendienst. Genau da aber liegt die Crux - die Slec ist hoch verschuldet. Von einer Anleihe, die bis zum Jahr 2010 läuft, sind 2,7 Milliarden Mark noch nicht zurückgezahlt, und die nächsten beiden Raten in Höhe von zusammen 150 Millionen Mark werden im November und im Mai fällig, wie Finanzkreise in London bestätigen. Hinzu kommen die Zinsen, die - vorsichtig gerechnet - noch einmal einen dreistelligen Millionenbetrag ergeben. Von dem Rest bekommt Kirch seinen Anteil von 58,7 Prozent, womit eines sicher ist: Er kann den eigenen Milliardenkredit, den er für die Kontrolle an der Slec aufnahm, nicht aus den laufenden Erträgen abbezahlen.
Im Angesicht der Wucht, die sich aus dem Zusammenspiel von Verlusten und Schulden entwickeln kann, bekommen die Worte von Erwin Huber, dem Chef der bayerischen Staatskanzlei, einen ganz neuen Klang. Er zähle die Medienindustrie zu den"etwas riskanteren Geschäften".
War sich Huber klar darüber, wie groß dieses Risiko ist? Oder hat er gemeinsam mit seinem Ministerpräsidenten darauf vertraut, der Leo Kirch werde schon wissen, was er tut? Denn dass der Staatsminister ohne Zutun von Edmund Stoiber für einen Milliardenkredit geworben hat, ist kaum vorstellbar. Gleiches gilt für Finanzminister Faltlhauser. Der betonte zwar im Landtag, er habe"nie gedrängt" und sei auch nicht"als Fürsprecher der Kirch-Gruppe" aufgetreten. Aber gleichzeitig ist er stellvertretender Vorsitzender im Verwaltungsrat der Bank und deshalb am draufgängerischen Umgang mit Steuergeldern bei der Vergabe des 2,2-Milliarden-Kredits an Kirch direkt beteiligt. Weder Stoiber noch Huber wollten sich zur Kreditvergabe und dem Vorwurf der Einflussnahme bei der Landesbank äußern.
"Alle Fäden laufen in die Staatskanzlei"
Hinzu kommt, dass die Regierung jahrzehntelang ihren Einfluss geltend gemacht hat, um Leute ihres Vertrauens in wichtige Positionen zu hieven. Unter anderem rückten die ehemaligen Chefs der Staatskanzlei, Klaus Rauscher und Rudolf Hanitsch in den Vorstand der Landesbank ein. Zu einem allumfassenden Phänomen wird das Geschiebe von Posten und Personen, weil nicht nur die Oberen dabei sind. So sitzen im Verwaltungsrat mehrere Ministerialbeamte aus der Baubehörde des Innenministeriums und aus dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Der Herr nimmt es, der Herr gibt es, und in Bayern heißt der Herr Stoiber.
"Alle Fäden laufen in die Staatskanzlei", so fasst Peter Paul Gantzer (SPD) die politische Verfasstheit des Freistaates zusammen. Gantzer lebt seit 40 Jahren in München und macht fast genauo lange Politik. Nun ist das Phänomen einer starken Staatskanzlei auch im SPD-geführten Nordrhein-Westfalen zu beobachten, aber keine Staatskanzlei sei so groß und so gut ausgestattet wie die in Bayern, sagt Gantzer."Für jedes Ministerium gibt es einen eigenen Mitarbeiter. Und die regieren mit - manchmal an den Ministern vorbei."
Und so wird Edmund Stoiber über die Landesbank zum persönlich verantwortlichen Akteur im wirtschaftlichen Überlebenskampf des Leo Kirch. Insofern kommt ihm der finanzstarke John Malone aus Amerika gerade recht. Wenn der ins Bezahlfernsehen einstiege und Kirch unter die Arme griffe, dann wäre Stoiber den Vorwurf los, schlampig mit Steuergeldern umgegangen zu sein. Malone wiederum könnte Hilfe aus Bayern gebrauchen, um Bedenken beim Bundeskartellamt auszuräumen. Eine neue Interessengemeinschaft? Getroffen haben sich die beiden in der vergangenen Woche schon einmal - der Ministerpräsident und der Tycoon.
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: