- MWG Biotech: Ein"schönes" Beispiel für den Waschstumswahn und dessen Fehler - marsch, 23.11.2001, 21:34
MWG Biotech: Ein"schönes" Beispiel für den Waschstumswahn und dessen Fehler
<font size=4>Die Lage ist schlimmer als befürchtet </font> 23.11.2001 11:51
Der neue MWG-Vorstand versucht gar nicht erst, die Lage im Unternehmen zu beschönigen.
Hans von der Hagen
Die am Neuen Markt notierte MWG Biotech schrappt nahe am Abgrund entlang: Der Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen wird sich im laufenden Jahr voraussichtlich auf 20 Millionen Euro summieren, erst im August war die Prognose auf 4,5 Millionen Euro herabrevidiert worden.
Der Umsatz lag zwar in den ersten neun Monaten bei 38 Millionen Euro und damit fünf Prozent über dem entsprechenden Vorjahreswert, doch eine „Risiko-Inventur“ hatte einen bisher unentdeckten Fehlbetrag von 14,5 Millionen Euro offengelegt. Diese Zahlen wurden anlässlich einer Pressekonferenz am Freitag in München genannt.
Schon im Sommer wurde aufgrund der anhaltenden Schwierigkeiten der MWG-Vorstand teilweise ausgetauscht: Michael Weichselgartner, Firmengründer und ehemaliger Vorstandschef, verließ im August nach langem Zögern und „auf eigenen Wunsch“ das Unternehmen. Seinen Posten übernahm Professor Matthias Schönermark, der MWG schon seit April im Rahmen seiner Tätigkeit für die Boston Consulting Group beraten hatte. Kurz vor Schönermarks Antritt hatte Thomas Becker den verwaisten Posten des Finanzvorstands besetzt.
„Komplette Sanierung der MWG Biotech“
„In hundert Tagen“, gerechnet ab September, will Schönermark nun eine „klare und ehrliche Bestandsaufnahme“ leisten, die in eine „kompletten Sanierung der MWG Biotech“ münden soll. Die Offenlegung der Zahlen aus der Risiko-Inventur sind also ein erster Schritt zur Rettung des Unternehmens, obwohl, wie der Vorstand auch betonte, der Kehrwende noch nicht geschafft sei. Zunächst zeigte sich aber die MWG-Führungsmannschaft erleichtert, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist: Im Rahmen der Risiko-Inventur wurde etwa allein für Vertragsrisiken - darunter fallen etwa Abnahmeverpflichtungen seitens MWG für bestimmte Produkte - ein Betrag von 4,5 Millionen Euro angesetzt. Wenn nicht nachverhandelt worden wäre, hätten da noch 15 Millionen Euro hinzukommen können, erklärte Becker.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Bereits im vergangenen Jahr mussten die Ergebnisprognosen nach unten revidiert werden. Begründet wurde dies seinerzeit mit dem schwierigen Geschäftsverlauf in den Vereinigten Staaten und den „gewaltigen, zukunftsgerichteten Investitionen“. Und noch im Februar erklärte Ex-Chef Weichselgartner in einem Interview, dass sein Unternehmen nun „komplett umgekrempelt“ sei und er „alle beruhigen“ könne. Im laufenden Jahr würde ein Gewinn vor Steuern von 3,5 Millionen Euro erwartet und „2002 wird dann unser großes Jahr“. Im März war dann die Rede von Schwierigkeiten mit noch nicht ausgereifter Roboter-Technik.
Wochenlang keine Rechnungen geschrieben
Doch die Probleme lagen wohl noch tiefer, denn schon im April holte der Aufsichtsrat Boston Consulting ins Haus: Es fehlte offenbar eine tragfähige Strategie. Da wurde expandiert, ohne die notwenigen Strukturen zu schaffen, zugekauft, ohne den Bedarf zu haben und entwickelt, ohne den Markt zu überprüfen. Zudem wurde die Firma praktisch im Blindflug gesteuert: Der Posten des Finanzvorstands war über Monate hinweg vakant und es gab Probleme mit der neuen Unternehmenssoftware. Die Lagerbestände wuchsen rasch und das Rechnungswesen lag danieder. „Über Wochen wurden keine Rechnungen mehr geschrieben, die Forderungen erhöhten sich dramatisch und das Mahnwesen wurde eingestellt“, beschrieb Becker die Lage im Unternehmen.
Neues Geld kam also nicht mehr herein und das vorhandene wurde zunehmend rascher verbrannt: Die so genannte Cash-burn-Rate, die schon Ende des Vorjahres in die Höhe geschnellt war, wuchs deutlich an. Allein im zweiten Quartal flossen 13,7 Millionen Euro aus dem Unternehmen und erst im dritten Jahresviertel gelang es, den Liquiditätsverlust einzudämmen. „Wir sind uns völlig einig, dass das Verbrennen von Liquidität, die das Unternehmen sich mit dem Börsengang und der nachfolgenden Kapitalerhöhung von seinen Aktionären geben ließ, eine helle Katastrophe war“, räumte Becker ein.
Schnell und unkontrolliert entwickelt
MWG entwickelte sich also schnell und unkontrolliert, wie ein Tumor, und sei jetzt ein Sanierungsfall, resümierte Schönermark die Lage. Er habe nicht eher reagieren können, da Boston Consulting „nur strategisch berate“, erklärte er. Auch der Aufsichtsrat habe „völlig korrekt und rechtzeitig gehandelt“, „immerhin sind wir doch nicht auf Ground Zero aufgeschlagen“.
Und es soll besser werden. Die Gefahr einer Insolvenz bestünde nicht, MWG Biotech werde nicht untergehen, versicherte Schönermark. Mit der Kapitaldecke von über 30 Millionen Euro ließe sich die Umstrukturierung und Neuausrichtung des Unternehmens finanzieren. Sowohl an der Umsatzprognose für das laufende Jahr - 55,5 Millionen Euro - als auch am Ziel eines ausgeglichenen Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen in 2002 solle festgehalten werden. Es werde aber einen Strategiewechsel geben: Klar sei, dass MWG nicht mehr Produkte entwickele und sich erst dann den Markt suche, sondern dies nun umgekehrt mache. Überdies würden Gespräche über Akquisitionen und Übernahmen geführt. So solle der „schwierige Geschäftsbereich“ DNA-Sequenzierung einen Partner bekommen und der Bereich Genomic Instruments abgestoßen werden.
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