- Artikel: Was kommt auf das WTC? - Frank1, 26.11.2001, 08:57
Artikel: Was kommt auf das WTC?
Es gibt bereits viele Ideen, was an Stelle der Twin Towers in Lower Manhattan gebaut werden soll. Damit ist gewiss: Zuerst wird es zum Streit kommen.
[TA] - Von Victor Breu, New York
Heute ist"Ground Zero" trostlose Abbruchstelle und trauriges Massengrab. 40 Prozent des Schutts sind erst weggeräumt. Im Rest werden weitere 3240 Leichen vermutet, nachdem bisher 442 Opfer identifiziert worden sind. Zum Jahrestag des 11. September jedoch, dann wird"Ground Zero" wieder das begehrteste Grundstück der Welt sein.
Unklare Pläne
Dieser Ansicht jedenfalls ist Larry Silverstein. Der 70-jährige Immobilienfürst besitzt einen noch 99 Jahre gültigen Mietvertrag für das World Trade Center."Ende nächsten Jahres wird auf dem Fundament der Twin Towers wieder gebaut", versprach Silverstein letzte Woche Michael Bloomberg, dem künftigen Stadtpräsidenten von New York. Die nächsten"fünf, sechs, sieben Jahre meines Lebens" werde er opfern, so Silverstein, und dann stehe ein grossartiger Bürokomplex, der alle mit Stolz erfülle.
Was er bauen will, weiss allerdings selbst Silverstein noch nicht. Zwei Tage nach dem 11. September proklamierte er, er habe"das Recht und die Pflicht", die beiden 110-stöckigen Türme originalgetreu wieder aufzubauen. Nach einem Monat, nach pausenlosen Treffen mit Architekten, Juristen, Geldgebern und Immobilienbrokern, sprach er von vier 50 bis 60 Stockwerken hohen Türmen. Auf zwei davon wolle er, als Denkmal für die Opfer, eine 50 Stockwerke hohe Glaskonstruktion stellen, die in der Nacht beleuchtet werde. Neuerdings sagt Silverstein, es sei verfrüht, sich auf die Zahl der Gebäude festzulegen. Und er könnte sich vorstellen, im Hudson River nebenan Land aufzuschütten, um darauf eine Gedenkstätte zu errichten.
Silverstein ist aus zwei Gründen in Eile. Erstens zahlt er der staatlichen Port Authority of New York and New Jersey, der Besitzerin des Landes, weiterhin jährlich über 100 Millionen Dollar an Mietzins für das World Trade Center. Und zweitens kassiert er von den Versicherungen nur, wenn er glaubhaft machen kann, an Stelle der Twin Towers wieder etwas zu bauen. Silverstein streitet sich mit Swiss Re, der führenden Versicherung eines Konsortiums, vor Gericht: Obwohl pro Schadensfall auf maximal 3,5 Milliarden Dollar versichert, will er 7 Milliarden haben, da zwei Flugzeuge in zwei separaten Angriffen die Türme zerstört hätten. Swiss Re hingegen beteuert, Silverstein sei unterversichert gewesen. Seine eigenen Broker hätten berechnet, dass Wiederaufbau plus Abgeltung entgangener Mietzinse über 5 Milliarden beanspruche.
Wer sagt denn überhaupt, dass Silverstein bauen soll? Andere Immobilienkönige und Baukonsortien in New York haben signalisiert, dass auch sie gerne ein Stück des Kuchens hätten. Sicher, so sagen sie, Silverstein solle ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Aber den Mietvertrag mit der Port Authority habe er erst sechs Wochen vor dem Einsturz der Türme abgeschlossen. Ausserdem sei falsch, wenn der in Grossprojekten nicht sehr erfahrene Silverstein die alleinige Verantwortung trage für ein Bauprojekt mit weltweiter Bedeutung. Und so haben auch andere Architekten, Stadtplaner und potenzielle Bauherren begonnen, Ideen einzubringen, was an Stelle des World Trade Center gebaut werden sollte. Die Vorschläge reichen von Pärken bis zu einem neuen Sitz für die Aktienbörse New York Stock Exchange.
Mitreden will sicher die Port Authority. Deren Vizepräsident, Charles Gargano, sagt, es sei"kompliziert" zu beantworten, wer die Rechtslegitimität besitze zu entscheiden, was gebaut werde. Dennoch hält er fest:"Wir sind es, die die Wiederentwicklung planen." Die Port Authority jedenfalls bremst. Das muss sie auch. Denn schliesslich hat ihr Mehrheitsbesitzer, der Bundesstaat New York, eben erst die Lower Manhattan Development Corporation ins Leben gerufen. Dieses Gremium, mit sechs vom Bundesstaat und drei von der Stadt New York delegierten Mitgliedern, soll Pläne für die Zukunft des Finanzdistrikts entwickeln. Es muss auch beurteilen, was von den spontanen Anflügen von Governor Georges Pataki und Stadtpräsident Rudy Giuliani zu halten ist, auf"Ground Zero" zwölf Wolkenkratzer hochzuziehen, von denen jeder die Höhe des Empire State Buildings hätte.
Zu alledem hat auch der Zivilsektor Ansprüche angemeldet. Die Regional Plan Association, eine private Vereinigung von Stadtentwicklern, plädiert für mehr Durchmischung in Lower Manhattan mit Wohnungen. Sofort nach der Katastrophe hat sich zudem eine bunte Koalition von 80 Bürgerrechts-, Wirtschafts- und Umweltgruppen gebildet. Sie will New York mit einer breiten Nutzungsdiskussion überziehen. Und zwar bevor der erste Grundstein gelegt wird, um eines der sechs zerstörten Gebäude des World Trade Center wieder aufzubauen.
Fehlende Nachfrage nach Büros
Die städtebauliche Debatte ist aus einem einfachen Grund sinnvoll: Wer würde die Bürotürme füllen, die Silverstein hinstellen will? Zwar gingen bei den Anschlägen 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche verloren. Und dennoch stehen heute weitere 1,3 Millionen Quadratmeter leer, die Hälfte mehr als vor zwei Monaten. Das hat mit der Wirtschaftskrise zu tun, mit Entlassungen und der Auslagerung von Büros in andere Quartiere oder Vorstädte. Optimisten lässt das kalt:"Downtown Manhattan durchlebt derzeit die fünfte Krise seit 1959", sagt Robert Yaro von der Regional Plan Association."Kommen Sie in zehn Jahren wieder."
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