- Arbeitsweltrends: OSTDEUTSCHLAND - Wal Buchenberg, 26.11.2001, 09:35
Arbeitsweltrends: OSTDEUTSCHLAND
1. Wirtschaft allgemein.
Der ostdeutsche ProduktivitĂ€tsrĂŒckstand ist eine statistische LĂŒge.
âDie Ergebnisse zeigen, dass die ostdeutsche Wirtschaft immer noch durch einen relativ hohen Anteil langsam wachsender Branchen gekennzeichnet ist.... Humankapital- und lohnintensive Wirtschaftszweige sind nach wie vor stark vertreten.â LitDokAB 1998/99 b-453.
âDas Anlagevermögen ist dabei im Durchschnitt moderner als das der westdeutschen Unternehmen und durch eine hohe Auslastung der AusrĂŒstungen gekennzeichnet. Die geringere KapitalintensitĂ€t der Produktion ist primĂ€r als Folge... unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen einzuordnen und lĂ€sst zunĂ€chst keine Schlussfolgerungen im Hinblick auf die technische Effizienz der Produktion zu.â LitDokAB 1998/99 a-675.
(Im Klartext: Dass in Ostdeutschland statistisch die ProduktivitĂ€t niedriger als im Westen ist, liegt vor allem daran, dass es dort weniger GroĂbetriebe gibt, die die ProduktivitĂ€tsberechnung des Westens anheben. Werden nur Klein- und Mittelbetriebe zwischen Ost und West verglichen, dann zeigt der Osten klare ProduktivitĂ€tsvorteile. w.b.)
âThat in eastern Germany's manufacturing industry productivity is on average 43% behind that of western Germany... is emerged that issues of company organization and market position play a greater role in explaining differences in productivity than issues of technical equipment..." LitDokAB 2000, a-453.
âDennoch ist die Vereinigung ökonomisch misslungen. Der Anpassungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft ist bei einer Leistungskraft von etwa 60 % zu einem vorlĂ€ufigen Stillstand gekommen." LitDokAB 2000, b-341.
1.1 Einzelne Branchen:
Autoindustrie: âDie neuen Fabriken von Volkswagen und Opel... sind hocheffizient. Ihre Arbeitsorganisation, eng angelehnt an japanische Vorbilder, bietet wenig Chancen fĂŒr selbstorganisierte, qualifizierte Arbeit.â LitDokAB 1998/99 a-1098.
Druckindustrie: âIm ostdeutschen Druckgewerbe... betrugen die Effektivstundenlöhne Ende 1995 etwa 81 % des westdeutschen Vergleichswertes... Der durch die Tariflohnentwicklung vorgezeichnete Anstieg der Personalkosten fĂŒhrte zu einem Selektionsprozess unrentabler Unternehmen, der sich statistisch in einer raschen Steigerung der ProduktivitĂ€t niederschlug und einen Personalabbau um fast 25 % mĂŒndete.â LitDokAB 1998/99 a-1083.
Handel: âDer Handel, aber auch andere Dienstleistungen, haben sich in Ostdeutschland verstĂ€rkt auf der âGrĂŒnen Wieseâ angesiedelt. Dieser Prozess ist weitgehend als unumkehrbar anzusehen.â LitDokAB 1998/99 a-1107.
Landwirtschaft: âIm Unterschied zu vielen Industriezweigen hat die Landwirtschaft im Osten im groĂen und ganzen StabilitĂ€t bewahrt... Zwar ist in der ostdeutschen Landwirtschaft nur noch ungefĂ€hr jeder fĂŒnfte Arbeitsplatz erhalten geblieben... aber selbst in den noch existierenden Industriebetrieben ist es meist nur jeder zehnte oder noch weniger.â LitDokAB 1998/99 a-1071.
2. Ostdeutsche Lohnarbeiter...
2.1... haben weniger Rechte und weniger Optionen
Es âwird offenkundig, dass der enge Zusammenhang des Doppelsystems der Arbeitnehmervertretung im Westen Deutschlands - Gewerkschaften und BetriebsrĂ€te - sich im Osten nicht wiederholt hat.â LitDokAB 1998/99 a-617.
âUnd das âdeutsche Modell der Arbeitsbeziehungenâ wird in Ostdeutschland in seinen Regulierungsmöglichkeiten unterminiert.â LitDokAB 1998/99 a-618.
âDer Stand der gewerkschaftlichen Organisierung ist im Vergleich zum Westen geringer (die IG Metall verlor von 1991 bis heute etwa 2/3 ihrer Mitglieder und von den verbleibenden 20.000 sind mehr als die HĂ€lfte arbeitslos).â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âEs zeigte sich, dass westdeutsche Arbeitnehmer in der Arbeit weit stĂ€rkere Eigeninitiative entwickeln; ebenso sind sie wesentlich mehr an Weiterbildung orientiert." LitDokAB Sonderh. 5 (1994) 1-1305.
2.2 Ostdeutsche Lohnarbeiter zeigen mehr âFlexibilitĂ€tâ, d.h. tragen deutlich gröĂere Risiken und Existenzunsicherheiten als ihre westdeutschen Kollegen.
âOstdeutsche arbeiten jĂ€hrlich 150 Stunden lĂ€nger als ihre westdeutschen Kollegen, feiern weniger krank.â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âDer Anteil der Teilzeitarbeitnehmer ist seit 1996 von 13 auf 18 Prozent gestiegen. 9 Prozent der BeschĂ€ftigten haben einen befristeten Arbeitsvertrag. 20 Prozent der ostdeutschen Betriebe haben geringfĂŒgige BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnisse. In 21 Prozent der Betriebe sind Arbeitszeitkonten vorhanden, in 48 Prozent werden Ăberstunden geleistet." LitDokAB 2000, a-581.
âSeit 1989 hat sich die Einwohnerzahl in den neuen LĂ€ndern um weit ĂŒber eine Million durch Abwanderungen verringert. Auch die Zahl der Geburten hat seit 1989 in groĂem Umfang abgenommen.â LitDokAB 1998/99 a-769.
EU-Osterweiterung: Gerechnet wird mit einer âZunahme der auslĂ€ndischen Bevölkerung aus den mittel- und osteuropĂ€ischen BeitrittslĂ€ndern um knapp 220.000 Personen pro Jahr in Deutschland und um 335.000 Personen pro Jahr in allen Mitgliedsstaaten der gegenwĂ€rtigen EU." LitDokAB 2000, a-554.
2.3 Ostdeutsche ArbeitsplĂ€tze sind weniger, âkleinerâ, âkĂŒrzerâ und billiger
âIn Ostdeutschland fehlen fast doppelt so viele ArbeitsplĂ€tze, wie die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen vermuten lĂ€sst. Das geht hervor aus dem âSozialreport 1998 - Zur Lage in den neuen BundeslĂ€ndernâ des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums (SFZ) Berlin-Brandenburg.â
âZwar ist in der ostdeutschen Landwirtschaft nur noch ungefĂ€hr jeder fĂŒnfte Arbeitsplatz erhalten geblieben... aber selbst in den noch existierenden Industriebetrieben ist es meist nur jeder zehnte oder noch weniger.â LitDokAB 1998/99 a-1071.
âDas Institut fĂŒr Wirtschaftsforschung Halle (der einzige Ostvertreter bei den"FĂŒnf Weisen") rechnet bis 2010 sogar mit einer Arbeitslosigkeit von bis zu 1/3 aller erwerbsfĂ€higen Personen.â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âDer Anteil der Teilzeitarbeitnehmer ist seit 1996 von 13 auf 18 Prozent gestiegen. 9 Prozent der BeschĂ€ftigten haben einen befristeten Arbeitsvertrag. 20 Prozent der ostdeutschen Betriebe haben geringfĂŒgige BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnisse." LitDokAB 2000, a-581.
â... wurden MaĂnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu Beginn der 90er Jahre in Ostdeutschland extensiv ausgeweitet. Von einem besonderen Erfolg der MaĂnahmen kann jedoch nicht gesprochen werden." LitDokAB 2000, b-204.
2.4 Das ostdeutsche Lohnniveau hat gegenĂŒber Westdeutschland aufgeholt, aber das Aufholtempo wird immer langsamer
1989: Bei EinfĂŒhrung der WĂ€hrungsunion betrugen die Erwerbseinkommen im Osten 33 % des Westniveaus. Aufgrund der hohen Erwerbsbeteiligung in der DDR war das Haushaltseinkommen jedoch... 46 % des Westniveaus.â LitDokAB 1993/94 a-1241.
1991: â1991 erhielt ein vollbeschĂ€ftigter mĂ€nnlicher Industriearbeiter (Facharbeiter, angelernter Arbeiter und Hilfsarbeiter) in den neuen LĂ€ndern und Berlin-Ost... einen durchschnittlichen Bruttojahresverdienst von 12.468 Euro (47 % von West).
Ein mÀnnlicher Angestellter in der Industrie (alle Leistungsgruppen... ohne leitendes Personal) erhielt 15.781 Euro (39 % von West), eine weibliche Angestellte 12.292 Euro (46 % von West).
In dem erfassten Dienstleistungsbereich (Handel, Kreditinstitute und Versicherungsbereich) beliefen sich die entsprechenden Vergleichswerte auf 14.170 Euro fĂŒr MĂ€nner (44 % von West) und 13.025 Euro fĂŒr Frauen (58 % von West).â LitDokAB 1993/94 a-1237.
1992: âDer effektive Bruttoreallohn erreichte in Ostdeutschland im Jahre 1992 im Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche 65 % des westdeutschen Niveaus bei einer rund 6 % lĂ€ngeren Arbeitszeit.â LitDokAB 1993/94 a-1231.
1997: â1997 hat sich die relative Einkommensposition der Arbeitnehmer in den neuen BundeslĂ€ndern weniger als in den Vorjahren verbessert. Die durchschnittlichen Bruttoeinkommen aus unselbstĂ€ndiger Arbeit beliefen sich in den neuen LĂ€ndern auf 74 %, die Bruttolöhne und -gehĂ€lter auf 77 %, die Nettolöhne und -gehĂ€lter auf 85 % der westdeutschen BezĂŒge.â LitDokAB 99/2000-2, b-518.
âIm Jahre 1997 haben sich...die verfĂŒgbaren Jahreseinkommen denen in Westdeutschland auf etwa 85 % angenĂ€hert." LitDokAB 2000, a-473.
3. Kapitaleigner und Manager: Neue Chefs kamen aus dem Westen. Ostdeutsche Chefs sind altbekannte Chefs.
â85 % der ostdeutschen Vermögenswerte (Fabriken, HĂ€user und Boden) gehören inzwischen Westdeutschen oder AuslĂ€ndern. Damit nimmt Ostdeutschland als europĂ€ische Region den letzten Platz in einer Rangliste der EU ein - selbst in den"klassischen" AbhĂ€ngigkeitsregionen Baskenland und Nordirland ist der Anteil einheimischer Besitzer und EigentĂŒmer höher.â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âca. der ostdeutschen Unternehmen 72 % gehören westlichen EigentĂŒmernâ. LitDokAB 1998/99 a.1046.
âBei 87 % der im Osten ansĂ€ssigen Aktiengesellschaften hat ein Westdeutscher den Vorsitz.â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âNur 5 % der von der Treuhandanstalt privatisierten Betriebe gingen an Ostdeutsche, 10 % an AuslĂ€nder (vor allem US-Firmen und westeuropĂ€ische Unternehmen) und 85 % an Westdeutsche.â Andrej Holm, âTelegraphâ (1/1998)
âca. 85 % der Manager waren schon vor 1989 in leitender Stellung in den ehemaligen DDR-Betrieben tĂ€tig... ca. 44 % der Ost-Manager waren vor 1989 Mitglied der SED oder einer ihrer Blockparteien.â LitDokAB 1998/99 a-1046.
3.1 Gewinne:
Saldo der Waren- und Geldströme zwischen West- und Ostdeutschland:
1991: 72,6 Mrd. Euro Waren von West n. Ost und Geld von Ost n. West.
1992: 94,4 Mrd. Euro Waren von West n. Ost und Geld von Ost n. West.
1993: 101 Mrd. Euro Waren von West n. Ost und Geld von Ost n. West.
1994: 104 Mrd. Euro Waren von West n. Ost und Geld von Ost n. West.
â... verrechnet mit den"spezifischen Leistungen" fĂŒr die neuen LĂ€nder bleiben satte 100 Mrd. DM, die jedes Jahr von Ost nach West wandern.â Andrej Holm, aus âTelegraphâ (1/1998)
LohnstĂŒckkosten: âWeil die LohnstĂŒckkosten in Ostdeutschland etwas stĂ€rker zurĂŒckgingen,... waren sie nun insgesamt um 23 %, im produzierenden Gewerbe nur noch um 5 % höher.â LitDokAB 99/2000-2, b-518.
JĂ€hrlicher Gewinn je landwirtschaftlicher Betrieb (99/00):
SĂŒddeutschland: 27.000 Euro
Norddeutschland: 34.000 Euro
Ostdeutschland: 46.200 Euro.
JĂ€hrlicher Gewinn je landwirtschaftliche Arbeitskraft:
SĂŒddeutschland: 17.500 Euro
Norddeutschland: 24.350 Euro
Ostdeutschland: 33.000 Euro.
(Daten vom Deutscher Bauernverband)
4. Der ostdeutsche Staatsapparat wurde personell ârunderneuertâ. Die finanzielle AbhĂ€ngigkeit vom Westen und die Arroganz der politischen Emporkömmlinge macht die neue ostdeutsche Machtelite weder stabil noch attraktiv.
âDas âAncien regimeâ der DDR ist auch personell untergegangen- Karrierefortsetzungen der Transitionselite in den Parlamenten und Regierungen auf Landes- und Bundesebene seit 1990 sind selten." LitDokAB 2000, b-294.
âTransferleistungen vor allem in Form von Vorruhestands-, AltersĂŒbergangs-, Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie Wohngeld... betrugen je Haushalt 1992 durchschnittlich 268 Euro.â LitDokAB 1993/94 a-1238.
âInsbesondere die hohen Erwartungen an die verĂ€nderten Möglichkeiten der demokratischen Mitwirkung wurden enttĂ€uscht.â LitDokAB 99/2000-2, b-414.
Soweit nicht anders vermerkt stammen Daten und Zitate aus: Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung, Hrsg. von der Bundesanstalt fĂŒr Arbeit, div. Jhrg.
DM-BetrÀge wurden in Euro umgerechnet.
Wal Buchenberg, 20.11.2001
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