- Raus aus Aktien - die Regenmacher - CSc, 04.12.2001, 14:16
Raus aus Aktien - die Regenmacher
Raus aus Aktien!
Die Regenmacher
Von Claus Vogt
In seiner letzten Rede vor dem Kongreß beschrieb Alan Greenspan seinen Job als schwierig. Unserer Meinung nach hätte er ebenso gut Premierminister Giovanni Giolitti zitieren können. Als dieser Anfang des 20. Jahrhunderts gefragt wurde, ob es schwierig sei, Italien zu regieren, antwortete er:"Überhaupt nicht, aber es ist nutzlos."
In allen Sozialwesen oder Gesellschaften erwartet das Volk von seinen Führern die aktive Lösung von Problemen. In archaischen Gesellschaftsformen, deren Wohlstand fast ausschließlich von landwirtschaftlichem Erfolg abhing, war das Auftreten einer Dürreperiode ein existenzbedrohendes Ereignis. Gerade in Gegenden, in denen dies mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftrat, mußte die politische Führung der Erwartungshaltung des Volkes entsprechend eine aktive Beseitigung des Problems in Aussicht stellen. Soziologen und Ethnologen beschreiben die in unseren aufgeklärten Gesellschaften belächelte Problemlösung als"die Regenmacher".
Die Regenmacher gehörten aufgrund der Bedeutung ihres Auftrages der gesellschaftlichen Elite an. Ihre Aufgabe war es, für Regen und gute Ernten zu sorgen und das Volk in dem Glauben zu bestärken, daß die politische Führung die Geschicke der Gesellschaft aktiv zum Wohle aller steuert. Insbesondere während der deutlich überwiegenden Jahre, in denen keine Dürre auftrat, erfüllten die Regenmacher ihre Aufgabe mit Bravour. In den seltenen Dürrejahren gelang es ihnen zumeist, gute Gründe für den Zorn der Götter und eine glaubhafte Ausrede für ihre eigene Erfolglosigkeit zu finden. In den sehr seltenen Fällen, in denen diese Strategie nicht fruchtete, wurden sie durch vermeintlich fähigere Führer ersetzt. Absurd? Vielleicht.
Die Regenmacher unserer Zeit, wir könnten sie die"Wohlstandsmacher" nennen, sehen wir insbesondere in der Chefetage der US-Notenbank am Werk. Auch hier haben wir es mit Eliten zu tun, von denen das Unmögliche verlangt wird. Auch sie nehmen diese gesellschaftlich erwünschte Rolle gerne an und versuchen den Eindruck zu vermitteln, die Dinge im Griff zu haben. Auch sie übernehmen stolz die Verantwortung für die statistisch überwiegenden guten Jahre und liefern Ausreden für die eher seltenen schlechten. Was meinen wir damit konkret?
Marktwirtschaft oder Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das zyklisch Auf- und Abschwünge erzeugt, den Wirtschaftszyklus. Die Abschwünge oder Rezessionen sind nicht etwa nur ein unvermeidbares Übel, sondern sie erfüllen einen wichtigen Zweck. Diese Erkenntnis ist in neuerer Zeit weitgehend in Vergessenheit geraten. Während der Boomphase des Zyklus? entstehen Übertreibungen und Ungleichgewichte. Die Wirtschaftssubjekte neigen dazu, die guten Zeiten endlos zu extrapolieren und darauf aufbauend Fehlentscheidungen zu treffen. Es werden Schulden gemacht, die später nicht bedient werden können, Investitionen vorgenommen, die sich später als unwirtschaftlich herausstellen und so weiter und so fort. Mit anderen Worten, während des Aufschwunges entstehen die Ursachen des folgenden Abschwunges.
Die Rezession korrigiert die Übertreibungen und die Ungleichgewichte. Unwirtschaftliche Unternehmen gehen pleite, überschüssige Kapazitäten werden abgebaut, Ineffizienzen eliminiert und Kosten reduziert, Schulden werden abgeschrieben, die Sparneigung nimmt zu - kurz, es werden die Grundlagen für den nächsten Aufschwung geschaffen.
Marktwirtschaftlicher Fortschritt entsteht also nicht geradlinig. Vielmehr folgen auf drei Schritte vorwärts ein oder zwei Schritte zurück. Dieses Muster kennzeichnet die kapitalistische Entwicklung und wurde als Wirtschaftszyklus insbesondere von der leider wenig populären Ã-sterreichischen Schule hervorragend analysiert. Auch der von uns bereits mehrfach empfohlene Wirtschaftswissenschaftler Joseph A. Schumpeter beschäftigte sich ausführlich mit dieser Thematik. Sein Werk"Business Cycles" war uns eine große Hilfe im Verständnis der"Bubble Economy" der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Aus diesem Verständnis des Wirtschaftszyklus leitet sich die Handlungsanweisung des Laissez Faire für die Wirtschafts- und Geldpolitik ab: Je weniger sich Regierungen und Notenbanken in das Wirtschaftsgeschehen einmischen, desto effizienter funktionieren die Märkte.
Wieso ist dieser Kernsatz der Marktwirtschaft mittlerweile selbst in den USA nahezu in Vergessenheit geraten und das ausgerechnet in einer Zeit, in der der Gegenpol des Laissez Faire, also Planwirtschaft oder Kommunismus, Konkurs anmelden mußte? Wieso agieren nicht nur europäische, sondern auch US-amerikanische politische Eliten nach Rezepten der Konjunktursteuerung von John Maynard Keynes?
Unsere Antwort auf diese Fragen ist das Regenmacher-Syndrom. Das Volk erwartet eine anpackende, aktive Problemlösung von seinen Führern, die folglich in Aktionismus um jeden Preis verfallen, auch wenn die Schwierigkeiten damit nicht beseitigt werden können. Die hohe Popularität von Keynes erklärt sich aus diesem Zusammenhang heraus ganz zwangsläufig.
Natürlich übertreiben wir bewußt mit unserer Regenmacher-Analogie. Wir wissen, daß steuernde Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen Wirkungen erzeugen, während die Regenmacher wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge das Wetter nicht beeinflussen können. Wir haben aber erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit fiskal- und geldpolitischer Manipulationen. Bestenfalls verschieben sie den notwendigen Bereinigungsprozeß auf einen späteren Zeitpunkt, schlimmstenfalls führen sie zu größeren Ungleichgewichten, deren Bereinigung um so schmerzhafter ausfallen wird.
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: