- Finanzkrise: Argentiniens Verzweiflungskampf gegen Kapitalflucht - marsch, 05.12.2001, 16:52
Finanzkrise: Argentiniens Verzweiflungskampf gegen Kapitalflucht
<font size=5>Finanzkrise: Argentiniens Verzweiflungskampf gegen Kapitalflucht</font>
Von Sandra Weiss
3. Dez. 2001 In einem verzweifelten Kampf gegen den Devisenabfluss hat die argentinische Regierung Kapitalverkehrskontrollen verhängt. Der Zoll werde ab sofort kontrollieren, dass niemand ohne Genehmigung mehr als tausend Dollar ins Ausland verschaffe, kündigte Wirtschaftsminister Domingo Cavallo an.
Ab Montag können von jedem Konto nur noch 250 Pesos (gleiche Summe in Dollar) pro Woche in bar abgehoben werden, für Operationen mit Kreditkarte und Scheck gibt es jedoch keine Grenzen, und auch die vor einem Jahr eingeführte Schecksteuer wird darauf nicht erhoben. Künftig werden Kredite nur noch in Dollar gewährt und Festgeld auf Dollar umgestellt.
Devisenreserven schrumpfen
Der umstrittene Schritt war nötig geworden, nachdem die Argentinier immer weniger Vertrauen in ihre Regierung an den Tag gelegt hatten und in den vergangenen zwei Monaten rund fünf Milliarden Pesos abgehoben und in Dollar umgetauscht oder ins Ausland verbracht hatten. Die Zentralbank hatte deshalb ihre Devisenreserven angreifen müssen, die im November um elf Prozent schrumpften. Derzeit belaufen sie sich auf 20,3 Milliarden Dollar; etwa das Doppelte der Pesos, die im Umlauf sind. Laut dem Konvertibilitäts-Gesetz muss die Zentralbank für jeden Peso im Umlauf einen Dollar im Tresor haben - der Run auf die Banken hatte die Furcht vor einem Ausbluten der Zentralbankreserven geschürt.
Ausländische Banken befürworten Dollarisierung
Damit kommt die Regierung den ausländischen Banken entgegen, die einen Zusammenbruch der Dollar-Peso-Konvertibilität gefürchtet und eine Dollarisierung favorisiert hatten. Unter den in Argentinien besonders exponierten Banken befinden sich die spanischen Großbanken BBVA und Santander sowie die amerikanische Citibank.
Durch die Maßnahme wird der Spekulation zwar ein Ende gesetzt - ein Teil der abgezogenen Guthaben diente dazu, im benachbarten Uruguay argentinische Schuldtitel billig zu kaufen - könnte der kränkelnden Wirtschaft jedoch weiter Liquidität entziehen und kleine Händler vor Probleme stellen. In Argentinien werden bis zu 40 Prozent der Lohn- und Honorarzahlungen schwarz und bar getätigt, das Vertrauen der Bürger in die Banken ist gesunken, weshalb sie den"Sparstrumpf" vorziehen. Zumal haben die meisten Argentinier keine Kreditkarte, und auch die kleineren Geschäfte sind nicht an das System angeschlossen.
"Rückfall ins 19. Jahrhundert"
Die Maßnahme löste höchst unterschiedliche Reaktionen aus. Sebastian Brioso von der Ratingagentur Standard and Poor's begrüßte sie, da damit ein Zusammenbruch des Finanzsystems vermieden werde. Es habe sich um eine Notlage gehandelt, in der die Regierung rasch habe reagieren müssen, rechtfertigte sie Ex-Finanzminister Juan Alemann. Damit werde der Schattenwirtschaft und der Steuerhinterziehung ein schwerer Schlag versetzt, lobte der Direktor der Bank Credicoop, Carlos Heller.
Der liberale Analyst Jose Luis Espert hingegen sprach von einem"Rückfall ins 19. Jahrhundert". Die Chancen seien gering, dass die Sparer ihre Einlagen wieder bekommen würden. Sie würden nun noch weniger ausgeben, die Wirtschaft so nie in Gang kommen, gab er zu bedenken. Gewerkschaftsführer Hugo Moyano sprach erzürnt von einer"Geiselnahme". Ex-Wirtschaftsminister Roque Fernandez befürchtete eine Verschlechterung der Lage, da nur die Folgen, nicht aber die Ursachen der Krise angegangen würden. Diese liegen nach Ansicht von Jose Natanson im Machtvakuum der Regierung, dass dadurch nicht beseitigt würde. Der Run auf die Banken würde durch die Devisenverkehrskontrollen nur verzögert, das Misstrauen der Bürger verstärkt, meinte seinerseits der Wirtschaftswissenschaftler Jorge Avila.
IWF mischt mit
Möglicherweise erhöhen sich dadurch aber die Chancen für den Schuldenswap mit ausländischen Gläubigern, der Anfang kommenden Jahres beginnen soll. Damit will Cavallo nochmals ein bis zwei Milliarden Zinszahlungen einsparen. Beobachter gehen davon aus, dass die Maßnahme mit der Mission des Internationalen Währungsfonds (IWF) abgestimmt war, die derzeit vor Ort prüft, ob Argentinien die Auflagen für die Auszahlung einer weiteren Kredittranche erfüllt.
Trotz eines drastischen Sparprogramms hatte Argentinien weder den Null-Defizit-Plan noch die Haushaltsvorgaben des IWF erfüllen können. Dies lag vor allem an den wegen der anhaltenden Rezession ständig sinkenden Steuereinnahmen. Die argentinische Regierung hofft aber auf einen"Waiver" des IWF.
Regierung mit Rücken zur Wand
Während der Diskussion der Devisenverkehrskontrolle wurde innerhalb des Kabinetts nach Informationen der Zeitung Pagina 12 Kritik an den ausländischen Banken und Gläubigern laut. Sie würden mit allen Mitteln versuchen, einen erfolgreichen Schuldenswap in Argentinien zu verhindern, da dies einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte.
Die Regierung, deren Rückhalt im Kongress und bei der Bevölkerung ohnehin schwach ist, dürfte ihre Glaubwürdigkeit nun völlig eingebüßt haben und steht mit dem Rücken zur Wand. Weil der von den oppositionellen Peronisten kontrollierte Kongress seinen Widerstand gegen weitere Sparmaßnahmen angekündigt hat, konnte die Regierung bislang noch nicht einmal einen Haushalt vorlegen und erwägt, auf Basis der jetzigen Haushaltsvorgaben (keiner darf mehr ausgeben, als eingenommen wird) weiterzuwirtschaften.
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