- Argentinien: Kein Kredit! (Spiegel online) - Holmes, 06.12.2001, 13:39
Argentinien: Kein Kredit! (Spiegel online)
Milliardenkredit bleibt aus
Argentinien im Schockzustand
Die wirtschaftliche Lage in Argentinien war bereits dramatisch. Nun hat eine Entscheidung des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Finanzsystem des Landes an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
DPA
Ratlose Händler: Die Finanzwelt Argentiniens hat immer neue Hiobsbotschaften zu verkraften
Washington/Buenos Aires - Der IWF sei zurzeit nicht in der Lage, die Auszahlung zu empfehlen, sagte dessen Sprecher David Hawley am Mittwochabend (Ortszeit) nach einer informellen Sitzung des Exekutivrates. Damit rückt einer der größten Zahlungsausfälle der Finanzgeschichte wesentlich näher.
Konkret ging es um die Auszahlung einer Kredittranche von 1,3 Milliarden Dollar. Die Summe ist Teil eines IWF-Kreditprogramms im Umfang von rund 22 Milliarden Dollar. Etwas mehr als zwölf Milliarden Dollar davon sind bisher freigegeben worden. Ohne das Geld dürfte Argentinien nach Einschätzung von Finanzexperten nicht mehr in der Lage sein, die hohen Auslandsschulden zu bedienen.
Die Regierung ist hilflos
Die Regierung in Buenos Aires schwieg zunächst. Präsident Fernando de la Rúa erörtere in einer Krisensitzung mit Wirtschaftsminister Domingo Cavallo und einigen anderen Kabinettsmitgliedern die neue Lage, hieß es lediglich. Bargeldbeschränkungen vom Samstag, die die Wirtschaft vollends zu erdrosseln drohten, waren nur kurz vor der IWF-Mitteilung teilweise gelockert worden.
Argentinien wird das für dieses Jahr mit dem IWF vereinbarte Schuldenlimit von maximal 6,5 Milliarden Dollar nicht einhalten können. Finanzexperten rechnen bis zum Jahresende mit einer Neuverschuldung von mindestens 8,5 Milliarden Dollar. Auch das selbst gesetzte Ziel einer Politik des"Null-Defizits" ab August hat die Regierung von Präsident Fernando de la Rúa trotz einschneidender Gehalts- und Rentenkürzungen verfehlt. Für Dezember hatte der IWF die Auszahlung von 1,3 Milliarden Dollar vorgesehen.
Zahlungsverkehr abgewürgt
Das südamerikanische Land verhandelt zurzeit auch über eine Umschuldung von Staatsanleihen, um niedrigere Zinsen zu erreichen. Die Regierung hatte am Samstag überraschend Bargeldbeschränkungen erlassen. Privatpersonen und Unternehmen dürften pro Woche nur noch 250 Peso oder Dollar in bar abheben, hieß es. Alle anderen Zahlungen müssten per Scheck, Überweisung sowie Bank- oder Kreditkarte geleistet werden.
Die Bestimmungen wurden am Mittwochabend leicht gelockert. Nun dürften 1000 Dollar oder Peso pro Monat auf einen Schlag ausgezahlt werden, kündigte Cavallo an. Der Höchstbetrag bei Auslandsreisen sei von 1000 Dollar auf 10.000 Dollar erhöht worden. Die Regierung begründete die Beschränkungen mit der Abwehr"spekulativer Angriffe von Geier-Fonds". Eine Aufgabe der Dollarbindung des Peso oder eine Zahlungsunfähigkeit Argentiniens schloss der Minister erneut aus.
Arbeitslosigkeit bei 18,5 Prozent
Wegen fehlenden Bargeldes und verunsicherter Konsumenten waren die Einzelhandelsumsätze an den ersten beiden Tagen der Bargeldbeschränkungen um 50 bis 70 Prozent im Vergleich zur Vorwoche eingebrochen, teilte der Vorsitzende des Handelsverbandes, Osvaldo Cornide, am Mittwoch mit. Der Dezember mit dem Weihnachtsgeschäft ist auch in Argentinien die Zeit, in der normalerweise die höchsten Umsätze erzielt werden. Viele Geschäfte hätten die Weihnachtsware bereits geordert, auf der sie nun sitzen bleiben könnten, so Cornide.
Zehntausende Handwerker, Ladeninhaber und andere Kleinunternehmer fragten sich, wie sie ihre bisher ausschließlich in bar abgewickelten Geschäfte weiterführen könnten. Oft verfügen weder die Firmeninhaber noch ihre Angestellten oder ihre Lieferanten über Bankkonten. Die Eröffnung eines Kontos dauert aber wegen des Ansturms bereits bis zu drei Wochen.
Viele Zahlungen konnten nicht mehr abgewickelt werden, weil die Schuldner plötzlich kein Bargeld mehr hatten oder die Gläubiger noch kein Konto zur Einreichung von Schecks. Außerdem dürften die Zusatzkosten für Kreditkartenzahlung einen Teil der Geschäfte zur Aufgabe zwingen. Auch viele Arbeitsplätze im informellen Sektor wie etwa dem Baugewerbe, in dem die Löhne immer am Freitagabend in bar gezahlt werden, sind wegen Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeber gefährdet. Argentinien leidet bereits seit mehr als drei Jahren unter einer schweren Wirtschaftskrise.
Die Arbeitslosigkeit stieg unterdessen im Oktober auf 2,5 Millionen (18,5 Prozent). Das Länderrisiko, das den sinkenden Wert argentinischer Staatsanleihen widerspiegelt, stieg zeitweise auf den weltweit unerreichten Stand von 4000 Basispunkten.
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