- Wege in die Pleite, Fortsetzungsroman, heute: Niedersachsen - Fontvieille, 08.12.2001, 23:10
- Re: Wege in die Pleite - durch korporatistische Politiker der angeblichen - André, 09.12.2001, 00:12
- Re: Wege in die Pleite: Hamburg, Berlin und Schampus aus roten Pumps - dottore, 09.12.2001, 09:38
- Re: Wege in die Pleite - durch korporatistische Politiker der angeblichen - Euklid, 09.12.2001, 11:07
- Re: Wege in die Pleite - durch korporatistische Politiker der angeblichen - André, 09.12.2001, 00:12
Wege in die Pleite, Fortsetzungsroman, heute: Niedersachsen
SZ 8./9. Dezember 2001
Niedersachsen baut bei seinem Doppelhaushalt 2002/2003 auf das Prinzip Hoffnung
Tiefe Löcher und Zeitbomben
Die angespannte Finanzsituation des Landes wird durch eine Milliarden- Rückzahlung an ein Erdgasunternehmen noch verheerender
Von Arne Boecker
Um die Schulden Niedersachsens zu senken, verpfändet Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) die Städte Meppen, Lingen und Nordhorn an Holland; Landesbeamten gibt er Schuldscheine statt Gehälter. Er beruft sich dabei auf Johann Heinrich von Justi. In einer Streitschrift hatte der 1766 dem Staat diese Wege aus der Schuldenfalle gewiesen. Alles Blödsinn: Natürlich wird Gabriel nichts dergleichen ankündigen, wenn der Landtag am Mittwoch um den Haushalt für die nächsten beiden Jahre streitet. Dabei täte dem Land ein große Portion Mut gut, weil ihm Schulden die Luft abzuschnüren drohen. In Hannover herrscht Einigkeit darüber, dass Finanzminister Heiner Aller (SPD) alle Reserven mobilisiert hat. Die Schulden des Landes haben sich von 9,3 Milliarden (1980) über 20,6 (1990) auf 34,1 Milliarden Euro (2000) aufgehäuft. Die Zielzahlen für 2002 und 2003 liegen bei 37,3 und 38,6 Milliarden Euro.
Zäher Schuldenabbau
In der Mittelfristigen Finanzplanung der Landesregierung findet sich der Satz: „Ein Ausbau des Schuldenstandes ist aus heutiger Sicht vorerst nicht möglich.“ Die Nettokreditaufnahme benennt die Schulden, die sich das Land zusätzlich zu dieser Altlast aufbürdet. Zwischen 1990 und 1994 verdoppelte Rot-Grün unter Gerhard Schröder fast die Neuschulden: von 0,9 Milliarden auf 1,7 Milliarden Euro. Seitdem haben es die allein regierenden Ministerpräsidenten Schröder, Glogowski und Gabriel geschafft, die Neukredite stabil zu halten. Eigentlich wollte Aller sie in den kommenden Jahren um jeweils 50 Millionen Euro verringern. Für 2002 hat er das Ziel aufgeben müssen - die Zahl verharrt bei 1,36 Milliarden -, für 2003 hält er tapfer am Plan fest. Einer deutlich höheren Neuverschuldung steht auch die Verfassung entgegen. Die Nettokredite dürfen nicht die Investitionen übersteigen, die das Land aus eigenen Mitteln finanziert; diese Spanne ist jedoch auf 42 Millionen Euro zusammengeschnurrt.
Wer den 60 Zentimeter dicken niedersächsischen Doppel-Haushalt 2002/ 2003 wälzt, findet Belege zuhauf dafür, dass das Land künftig auf Reserve fährt:
Eine Rücklage aus nicht abgerufenen Krediten in Höhe von 618,5 Millionen Euro wird aufgelöst. Mit dem Löwenanteil (513,5 Millionen Euro) wird der Haushalt 2002 wasserdicht gemacht.
Die Landestreuhandstelle, angebunden an die Norddeutsche Landesbank, fördert die Sektoren Wirtschaft, Landwirtschaft und Wohnungsbau. Aus dem Eigenkapital werden insgesamt 125 Millionen Euro abgezwackt; hier ist für das Land künftig nichts mehr zu holen.
Die SPD-Mehrheit wird am Mittwoch im Landtag beschließen, dass die kurzfristigen Kassenkredite, die die Regierung aufnehmen darf, von acht auf zwölf Prozent des Haushaltsvolumens steigen. Der „Bund der Steuerzahler“ in Hannover kritisiert die Folgen dieser Umwegfinanzierung, zu der das Land verstärkt greife: „Kassenkredite werden in der Regel im Folgejahr in langfristige Schulden umgewandelt.“
In den vergangenen elf Jahren floss mehr als eine Milliarde Euro dadurch in die Kasse, dass Unternehmen wie die Harz-Wasser- Werke oder die Toto-Lotto-Gesellschaft privatisiert wurden. Übrig geblieben ist das Tafelsilber: Beteiligungen an Volkswagen AG, Salzgitter AG und Norddeutscher Landesbank. Sie sind in der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft organisiert, deren Stammkapital Finanzminister Aller jetzt um 357 Millionen Euro erleichtert. Die Folge: Für den Fall, dass Volkswagen sein Stammkapital erhöht, darf das Land zur Finanzierung nicht mehr auf die skelettierte Gesellschaft hoffen.
Niedersachsen baut auf das Prinzip Hoffnung. So basieren die Einnahmen für den Haushalt 2002 auf einem Wirtschaftswachstum von 1,25 Prozent, während selbst Bundesfinanzminister Eichel nur noch von einem Plus von 0,75 Prozent ausgeht. Sollte es so kommen, tut sich im Haushalt ein 66 Millionen Euro tiefes Loch auf, wie Michel Golibrzuch, Haushaltsexperte der Grünen, errechnet hat. In Hannover erwartet man außerdem eine Erhöhung der Tarife im Ã-ffentlichen Dienst um lediglich 1,5 Prozent. Der Grüne Golibrzuch nennt die Zahlen für Wirtschaftswachstum und Tarifabschluss „reines Wunschdenken“. Und Christian Wulff, Vorsitzender der CDU-Fraktion, kritisiert, dass für 2003 ein Haushalt aufgestellt wurde, für den keine Steuerschätzung vorliege: „Das Werk ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde.“ Wulff unterstellt seinem Gegenspieler Gabriel den Versuch, mit dem Kunstgriff des Doppel-Haushalts die desolate Lage des Landes aus dem Wahlkampf herauszuhalten, der in Niedersachsen Ende 2002 toben wird.
Dass Niedersachsen - genau wie andere Länder - unter einer gewaltigen Schuldenlast stöhnt, liegt auch daran, dass der Bund beim Exekutieren von Politik wenig Rücksicht nimmt. Die Steuerreform kostet Niedersachsen mehr als 900 Millionen, die Erhöhung des Kindergeldes 153 Millionen Euro pro Jahr. „Dabei ist Kanzler Schröder mit dem Versprechen angetreten, unter ihm werde es den Ländern besser gehen“, sagt Christian Wulff. „Eigentlich müssten sich die Länder mal ohne den Bund zusammensetzen, damit der Teil des Grundgesetzes neu formuliert wird, der sich mit dem Föderalismus beschäftigt“, denkt er laut, weiß aber, dass diesen großen Wurf niemand wagt. Die Länderfürsten waren vor ein paar Monaten schon heilfroh, die Neuordnung des Finanzausgleichs vom Tisch zu bekommen, auch wenn sie keines der strukturellen Probleme beseitigen konnten. Die Explosion der Ausgaben, die ihre Haushalte rot färbt, können sie kaum verhindern, andererseits haben sie aber fast keine Möglichkeit, die Einnahmen zu erhöhen; höchstens an ein paar Gebühren oder Abgaben dürfen die Finanzminister drehen.
Das dicke Expo-Defizit
Den Niedersachsen verdirbt aber nicht nur der böse Bund die Bilanzen. So hat die rot-grüne Landesregierung unter Gerhard Schröder 8000 neue Stellen zwischen 1990 und 1994 geschaffen. Zwar kann Finanzminister Aller darauf verweisen, dass dieser Sockel langsam abgetragen wird. Doch der Posten der Pensionen, der in den kommenden Jahrzehnten den Etat belastet, „stellt eine Zeitbombe dar“, sagt Christian Wulff. Außerdem tut dem Land jede unkalkulierte Ausgabe weh. So musste es soeben dem Unternehmen „Brigitta Erdgas und Erdöl“ (BEB) nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 1,28 Milliarden Euro überweisen, die es irrtümlich an Förderzins zu viel kassiert hatte. Dass Hannover einen Großteil über den Länderfinanzausgleich zurückbekommt, scheint klar, aber die Festlegung der exakten Summe ist derzeit Gegenstand harter Verhandlungen. Und dass die Expo 2000 mit einem dicken Defizit abschließen würde, hat den Hannoveranern vorher auch niemand gesagt. In den Etats 2002/2003 finden sich je 18 Millionen Euro zur Tilgung des 358 Millionen großen Batzens, der am Land hängen bleibt.
Vor dem Hintergrund tiefroter Haushalte kann der niedersächsische Ministerpräsident „nur den Mangel verwalten und den Leuten das Blech dann als Gold unterjubeln“, sagt der Grüne Golibrzuch. Gabriel und seine Nachfolger werden sich jedenfalls anstrengen müssen, damit Meppen, Lingen und Nordhorn auf lange Sicht deutsch bleiben.
Ich dachte immer, Argentinien läge auf einem anderen Kontinent und die Menschen dort würden eine fremde Sprache sprechen...
F.
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: