- Der Terrorist als Gesetzgeber - Fontvieille, 08.12.2001, 23:21
Der Terrorist als Gesetzgeber
SZ 8./9. Dezember 2001
Wie westliche Regierungen den Rechtsstaat demontieren
von HERIBERT PRANTL
Der Guerillero besetzt das Land, der Terrorist besetzt das Denken. Den islamistischen Terroristen ist es in kĂŒrzester Zeit gelungen, das Denken der westlichen Welt zu erobern. Die Terroristen sind nach dem 11. September nicht, wie befĂŒrchtet, in Atomkraftwerke und Wasserversorgungsanlagen eingedrungen; nicht dort haben sie Unheil angerichtet und Verderben ĂŒber das Land gebracht. Sie tun es auf andere, subtil- gefĂ€hrlichere Weise: Sie haben sich der Schaltzentralen der westlichen Demokratien bemĂ€chtigt, sie beherrschen die Apparate und Braintrusts, in denen Recht produziert wird; sie verseuchen den Geist der Gesetze. Ăberall, in Washington, London, Paris und Berlin, werden vergiftete Paragrafen und Gesetzesartikel produziert.
Die rechtsstaatlichen Grundprinzipien werden geopfert, die Strafverfolgung verkommt zur Inlandsspionage. Die bisherigen Fundamentalgewiss heiten sind nicht mehr gewiss: Die Ă-ffentlichkeit des Strafverfahrens. Die Trennung von Polizei und Geheimdienst. Die alsbaldige Kontrolle von Verhaftungen und sonstigen Grundrechtseingriffen durch unabhĂ€ngige Richter. Das Recht auf Akteneinsicht. Das Recht auf freie Wahl eines Verteidigers. Die öffentliche BeweisfĂŒhrung. Der Grundsatz im Zweifel fĂŒr den Angeklagten. Die Gleichheit vor dem Gesetz. Das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden. Der Grundsatz des fairen Verfahrens. Weltweit wird damit begonnen, all das unter Vorbehalt zu stellen. Der Vorbehalt lautet: Der rechtsstaatliche Katalog ist schön und gut - aber nur solange er die BekĂ€mpfung des Terrorismus nicht behindert.
Am weitesten geht dabei bisher die Bush-Regierung. Die Fahndungs-, Justiz- und Einwanderungsbehörden, so hat es in den USA Justizminister John Ashcroft angekĂŒndigt, werden âmobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert". Die Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungen ist praktisch aufgehoben, das Abhören von Telefonen kinderleicht geworden. 1200 Araber sind in GefĂ€ngnissen festgesetzt, ohne dass sich jemand dazu erklĂ€rt, was ihnen vorgeworfen wird. 5000 arabische Muslime wurden verhört, gegen die hauptsĂ€chlich die Erkenntnis vorlag, dass es sich um arabische Muslime handelt. Die GrundsĂ€tze des aufgeklĂ€rten Strafverfahrens stehen unter Kriegsvorbehalt, das heiĂt: VerdĂ€chtige AuslĂ€nder bleiben ohne Anklage inhaftiert, falls der Justizminister âeine Gefahr fĂŒr die Sicherheit der Nationâ ausmacht. Wer in den Dunstkreis des Terrorismus gerĂ€t, ist nahezu vogelfrei. Vogelfrei - das war im Mittelalter der friedlose StraftĂ€ter, ĂŒber den die Reichsacht verhĂ€ngt war. Niemand durfte ihn unterstĂŒtzen, beherbergen, ernĂ€hren, er war aus der Rechts- und Friedensgemeinschaft ausgeschlossen, der Verfolgung durch jedermann preisgegeben. Letztmals im Jahr 1698 hat in Deutschland das Reichsgericht zu Wetzlar offiziell die Reichsacht verhĂ€ngt. In den USA ist sie wieder eingefĂŒhrt: Acht, Bann und Rechtlosigkeit fĂŒr verdĂ€chtige AuslĂ€nder.
Per prĂ€sidialer Order hat Bush es ermöglicht, vermeintliche Terroristen und deren Helfer von geheimen MilitĂ€rtribunalen aburteilen zu lassen, die der Verteidigungsminister einsetzt und die tagen können, wo immer sie wollen: Im Pentagon, in einer afghanischen Höhle oder auf einem Schiff im Pazifik. Es richten Offiziere in Uniform, und fĂŒr ein Todesurteil reicht es, wenn zwei der drei Offiziers-Richter die Schuld fĂŒr erwiesen halten. Rechtsmittel gibt es nicht. Terroristen hĂ€tten den Schutz durch die US- Verfassung nicht verdient, erklĂ€rt US-VizeprĂ€sident Dick Cheney. Es handelt sich bei alledem um die amerikanische Variante der Scharia. Oliphant, der beliebteste Karikaturist des Landes, setzt dem Justizminister deshalb einen Turban auf und nennt ihn âMullah Ashcroftâ. Ăhnlich ist es in England: AuslĂ€nder sollen, wenn Polizei oder Geheimdienste sie terroristischer Verbindungen verdĂ€chtigen, beliebig lange festgehalten werden können - wenn nur der Innenminister die VerfĂŒgung alle sechs Monate bestĂ€tigt. Das widerspricht nicht nur dem Artikel 5 der EuropĂ€ischen Menschenrechtskonvention, sondern auch der englischen Magna Charta aus dem Jahr 1215. Und ĂŒberall werden solche Gesetze in jagender Hast verabschiedet.
In Deutschland haben vor 33 Jahren Hunderttausende von Menschen gegen die Notstandsgesetze demonstriert. Die Sicherheitspakete des Jahres 2001 verdienen diesen Namen wirklich. Sie gelten nicht, wie damals, fĂŒr einen ungewissen, in der Zukunft liegenden Fall. Sie gelten unmittelbar, sofort und ohne Eintritt einer weiteren Bedingung. Was im Kampf gegen die RAF begonnen wurde, wird mit diesen Gesetzen offensiv fortgesetzt. Der Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy hat vor einer Woche bei der SachverstĂ€ndigen- Anhörung im Innenausschuss des Bundestages anschaulich beschrieben, wie die Sicherheitsgesetze das deutsche Recht verĂ€ndern: âEs geht nicht primĂ€r um die Verfolgung begangener Straftaten. Es geht auch nicht um die Verhinderung einzelner krimineller Handlungen. Vielmehr geht es um die Etablierung eines FrĂŒhwarnsystems bei der Erkennung auch weiter entfernter Risiken.â Dabei werden freilich Mittel und Methoden angewandt, wie sie bisher nur gegen VerdĂ€chtige erlaubt waren. âEs entstehtâ, so konstatiert Gusy, âdie Notwendigkeit eines hohen MaĂes an Ăberwachung fĂŒr ein relativ geringes MaĂ an Ertragschancenâ. Das betrifft, zum Beispiel, den Bank- und Telefonverkehr: Den Terrorfahndern wird erlaubt, freihĂ€ndig hineinzugreifen - wobei als Terror auch jede irgendwie geartete Förderung und UnterstĂŒtzung gilt.
In den USA soll der Tatbestand des Terrorismus schon dann erfĂŒllt sein, wenn âdurch EinschĂŒchterung oder Zwang das Verhalten der Regierung beeinflusst wird oder wenn gegen MaĂnahmen der Regierung zurĂŒckgeschlagen wirdâ. Wenn dies so Gesetz wird, kann der Staat auch gegen aktivistische TierschĂŒtzer, Greenpeace oder Globalisierungsgegner vorgehen. In den neuen deutschen Sicherheitsgesetzen funktioniert das schon - wenn es gegen AuslĂ€nder geht: Da reichen Vermutungen, da reicht ein vager Verdacht, da werden FĂ€lle allgemeiner KriminalitĂ€t mit Terror gleichgesetzt - die Folge: Ausweisung und Abschiebung.
Als 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands vom Bundesverfassungsgericht verboten worden war und im Anschluss Zehntausende von Strafverfahren gegen echte und angebliche Kommunisten gefĂŒhrt wurden, wies der damalige Stuttgarter Generalstaatsanwalt Richard Schmid warnend darauf hin, worin das âWesen einer Diktaturâ bestehe: âDie Abwehr ihr feindlicher Tendenzenâ verlegt sie vor, nĂ€mlich âin RechtssphĂ€ren, die in einem freien Staat durch Individualrechte gesichertâ seien. Und âgerade diejenige Staatsformâ sei âdie vollkommenste Diktatur, die diese Vorverlegungen am vollkommenstenâ zustande bringe. Derzeit herrscht in den Staaten des Westens ein Wettlauf, der in diese Richtung geht.
Daher war es nicht abwegig, als der Berliner Juraprofessor Martin Kutscha im Innenausschuss des Bundestages davon gesprochen hat, dass die deutschen Geheimdienste durch die neuen Gesetze âeine KompetenzfĂŒlle erhaltenâ, die sie in die NĂ€he der Geheimdienste totalitĂ€rer Staaten rĂŒckten. Was bisher nur Staatsanwaltschaft und Polizei durften, dĂŒrfen kĂŒnftig auch Geheimdienste. MaĂnahmen, die bisher nur gegen VerdĂ€chtige zulĂ€ssig waren, sind jetzt auch gegen UnverdĂ€chtige statthaft. Der Rechtsstaat gibt die Unterscheidungen auf, auf die er bisher stolz war.
Die Geschichte kennt viele Beispiele fĂŒr Opferkulte, die ein UnglĂŒck abwenden sollten: Es gab Menschenopfer, Gabenopfer, SĂŒhneopfer, Speise- und Brandopfer. Opfern: das bedeutete, auf etwas zu verzichten, was hernach schmerzlich vermisst wurde. Die westlichen Demokratien opfern ihre RechtsgrundsĂ€tze. Aber ihre Politiker machen dabei nicht den Eindruck, als wĂŒrden sie diese schmerzlich vermissen.
Kommentar:
Es gibt in vielen juristischen Bereichen den Begriff der"VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit der Mittel". Das zu erreichende Ziel und die dazu gewĂ€hlten Mittel sollten in einem sinnvollen VerhĂ€ltnis zueinander stehen. Ob diese VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit im Ăbereifer der letzten Monate noch gewahrt ist, das sollte hĂ€ufiger und öffentlich diskutiert werden, um nicht am Ende das zu schĂ€digen, was wir schĂŒtzen wollen.
F.
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