- Krisenherd Kaschmir: Spiegel online / Angst vorm atomaren Zündeln - Holmes, 19.12.2001, 16:33
Krisenherd Kaschmir: Spiegel online / Angst vorm atomaren Zündeln
Krisenherd Kaschmir
Angst vorm atomaren Zündeln
Seit dem Terroranschlag auf das indische Parlament fahren die Erzfeinde Pakistan und Indien scharfe Geschütze auf. Die Gefahr einer Eskalation des Konflikts zwischen den Atommächten wächst. In Kaschmir lieferten sich Artillerie-Einheiten erste heftige Gefechte. Die Staatengemeinschaft ist alarmiert.
AP
Blutbad in Neu-Delhi am 13. Dezember
Hamburg - Die Attentäter kamen mit einem gestohlenen Wagen. Sie warfen Granaten ab und feuerten mit Maschinenpistolen wild um sich. Acht Menschen - sieben Polizisten und ein Gärtner - starben im Kugelhagel, Dutzende wurden verletzt. Wenig später wurden fünf der Angreifer, die mit RDX-Plastiksprengstoff bewaffnet waren, von Sicherheitskräften getötet.
Das Blutbad vor dem indischen Parlament Ende vergangener Woche hat die ohnehin verfeindeten Nachbarn Indien und Pakistan an den Rand eines Krieges gedrängt. Am Mittwoch lieferten sich Truppen an der Grenze in Kaschmir bereits erste schwere Artillerie-Gefechte. Indien ließ daraufhin vier Dörfer im Distrikt Nowshera evakuieren
Für den jüngsten Terrorakt macht Indien das Nachbarland verantwortlich."Das ist der dreisteste und alarmierendste Terrorakt in der zwei Jahrzehnte alten Geschichte von pakistanisch unterstütztem Terrorismus in Indien", unterstrich Indiens Innenminister Lal Krishna Advani. Ziel des Anschlages in Neu Delhi sei es gewesen, die gesamte politische Führung des Landes auszulöschen, sagte Advani mit Blick auf den ursprünglichen Plan der Attentäter, das Parlament zu stürmen. Ein Plan, der jedoch misslang.
Drohgebärden
An martialischer Drohrhetorik mangelt es seitdem auf beiden Seiten nicht. Regierungschef Atal Behari Vajpayee kündigte an, die Täter - vermutlich muslimische Separatisten - hart zu bestrafen, und forderte vom Nachbarland, unnachgiebig gegen die Extremisten vorzugehen. Pakistan wisse, dass Terroristen aus seinem Gebiet heraus operierten, sagte der Ministerpräsident am Mittwoch in einer Rede vor dem Parlament. Dagegen könne sein Land diplomatisch vorgehen. Jedoch stünden auch andere Optionen offen.
Wer die Täter des Anschlages in Delhi sind, ist aus Sicht Indiens eindeutig: Militante Organisationen wie Lashkar-i-Toiba und Jaish-i-Mohammed sollen dahinterstecken. Beide Gruppierungen kämpfen für ein unabhängiges Kaschmir und würden vom pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützt, vermutet man in Neu Delhi.
In der Tat wird die islamische Organisation Lashkar-i-Toiba von Pakistan aus gelenkt, sie bildet gar ein eigenes Gebilde in dem Land. Mit ihren 160 Koran-Schulen sorgt die Gruppe immer wieder indirekt für Nachschub für die Freiheitskämpfer in Kaschmir.
Schon drei Kriege
AP
Ein indischer Soldat: Alarmbereitschaft in Kaschmir
Die mehrheitlich muslimische Region ist seit 1947 ständiger Streitapfel zwischen den beiden Nachfolgestaaten des ehemaligen Britisch-Indiens. Seit ihrer Unabhängigkeit führten Indien und Pakistan schon dreimal Krieg um das Gebiet. Und ein Ende des Konfliktes ist nicht abzusehen. Beide Seiten sind nicht bereit, ihre Ansprüche darauf aufzugeben.
Weil es sich als Heimat aller Muslime auf dem indischen Subkontinent versteht, reklamiert Pakistan Kaschmir für sich. Auf der anderen Seite besteht das mehrheitlich hinduistische und säkulare Indien auf die Zugehörigkeit des größeren südöstlichen Teils der Region. Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung - etwa zwei Drittel bekennen sich zum Islam - wollen entweder einen eigenen Staat oder einen Anschluss an das muslimische Pakistan.
Die Zeichen stehen auf Sturm
AP
Schießerei im Parlament: Indien macht Pakistan mit verantwortlich
Nach dem Attentat der vergangenen Woche könnte der Kampf um das ehemalige Fürstentum, das wegen seiner landwirtschaftlichen Schönheit auch als"Paradies auf Erden" gepriesen wird, erneut eskalieren. Indien verstärkte inzwischen seine Truppen an der Trennungslinie in Kaschmir und begründete die Militäraktion mit ähnlichem Vorgehen Pakistans. Die Zeichen in der Region stehen auf Sturm.
Noch im vergangenen Jahr hatte US-Präsident Bill Clinton Kaschmir als die"gefährlichste Region der Welt" bezeichnet. Dieser Ausspruch könnte sich jetzt bewahrheiten. Beide Seiten haben aus früheren Kriegen gelernt, dass der Konflikt mit konventionellen Mitteln nicht beizulegen ist. Seitdem Pakistan und Indien seit drei Jahren über Atomwaffen verfügen, besteht die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung.
DPA
Atal Behari Vajpayee: Auch militärische Optionen stehen offen
Die Staatengemeinschaft ist alarmiert und bemüht sich, die verfeindeten Parteien zu mäßigen. China und die USA forderten die beiden Atommächte am Mittwoch auf, ihren Streit friedlich beizulegen. US-Außenminister Colin Powell rief dazu auf, gemeinsam gegen die Verantwortlichen des Anschlags vorzugehen. Doch von Gemeinsamkeiten zwischen Neu-Delhi und Islamabad ist momentan wenig zu spüren. Islamabad will von einer Verstrickung Pakistans in die Machenschaften muslimischer Extremisten nichts wissen. Und Neu-Delhi beharrt weiter auf einem harten Vorgehen gegen die Drahtzieher.
In der Partei von Ministerpräsident Vajpayee werden inzwischen die Forderungen lauter, militärisch gegen die Stützpunkte der Moslemrebellen vorzugehen. Auch die Äußerungen des Regierungschefs lassen nichts Gutes ahnen. Die Frage sei nicht, ob es zum Krieg kommen sollte, betonte er mit Blick auf mögliche Vergeltungsschläge."Die Frage, die zu diskutieren ist, ist, unter welchen Umständen es zum Krieg kommen könnte."
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: