- Don't cry for me, Argentina FAZ - McMike, 22.12.2001, 23:52
- Toller Artikel! (owT) - YIHI, 23.12.2001, 09:40
- Argentinien und IWF - Jacques, 23.12.2001, 10:06
Don't cry for me, Argentina FAZ
Don't cry for me, Argentina
Die Gespenster des Ausnahmezustandes / Von Elsa Osorio
Als ich das Wort"Ausnahmezustand" hörte, die einzige Antwort der Regierung meines Landes auf den sozialen Aufstand, war meine erste Reaktion Angst. Eine tiefe Angst aus alten Zeiten. Ich hatte sofort die drei Assoziationen, die wie mit Feuer in das argentinische Gedächtnis eingebrannt sind: Ausnahmezustand, Militäraufmärsche und eine Stimme, die sagt:"Kommunique Nummer eins des Generalstabs der Streitkräfte". Es war nur ein kurzer Moment, denn glücklicherweise gewann die Empörung. Und so wie mir ging es meinem ganzen Volk, das sich aus freien Stücken friedlich versammelte, um"Schluß damit" zu sagen. Um 24 Uhr begann der Ausnahmezustand, um 1 Uhr waren Tausende und Abertausende im ganzen Land auf den Straßen. Etwas Neues geschah, etwas, das ganz sicher ein Vorher und ein Nachher in unserer Geschichte anzeigt. Denn diesmal war es nicht der Militäraufmarsch, der nach dem Wort"Ausnahmezustand" den Ton angab, sondern es waren Hupen und Töpferasseln, Tausende von Löffeln, die in Töpfen trommelten wie eine Beschwörung der damaligen Militäraufmärsche. Es war nicht das Kommunique Nummer eins des Generalstabs der Streitkräfte, das erklang, sondern der improvisierte Gesang Hunderttausender Argentinier, die der Regierung mitteilten, wohin sie sich den Ausnahmezustand stecken könne. Wir alle waren gemeinsam da (obwohl ich mich Tausende Kilometer entfernt aufhielt, so weilten doch meine Gedanken dort); Seite an Seite, erfüllt von einer Gewißheit: Wir haben keine Angst mehr.
Die einfache Tatsache, daß Männer und Frauen fast aller sozialen und ideologischen Gruppen auf die Straße gingen, um"Schluß" zu sagen, hat uns bewiesen, daß das Land auch uns gehört und daß wir eine Alternative suchen zu den letzten 25 Jahren. Der Kampf all dieser Jahre war nicht umsonst. Diejenigen, die sonst bereitwillig an die Tore der Kasernen klopften, wissen nicht mehr, wo sie sich hinwenden sollen. Es gibt keine Militäraufmärsche mehr, keine Kommuniques des Generalstabs der Streitkräfte, die uns zitternd in unsere Häuser sperrten oder uns unseres Landes verwiesen, und keine korrupten Politiker mehr, die einen Wirtschaftsplan durchsetzten, der zu Ausbeutung und sozialer Ausschließung führte.
Es war auch die Kette Ausnahmezustand-Aufmarsch-Kommunique, die eine der grausamsten und blutigsten Militärdiktaturen einläutete und mit der sie versuchten, den Widerstand gegen das Wirtschaftsmodell, das sie einführen wollten, zu besiegen. 30000 Tote, Hunderttausende Vertriebene kostete der"neue argentinische Mensch", der in dem kriminellen Delirium erschaffen werden sollte. 25 Jahre später leben 45 Prozent der Bevölkerung in Armut, sehen breite Schichten ihre Mittel verringert und versuchen verzweifelt, das Nötigste für ihre Familien zu ergattern.
Ich erinnere mich an einen mythischen Satz meiner Kindheit:"Die Priviligierten in Argentinien sind die Kinder." In Dantes Hölle gibt es nicht ein einziges Kind, führte einmal Julio Cortazar an, aber in Argentinien gab es Kinder, die zusammen mit ihren Eltern entführt wurden, geraubt wurden, Kinder, die in der Hölle der Lager geboren wurden und in vielen Fällen von den Folterern ihrer Eltern behalten wurden. Heute sterben viele Kinder in dieser anderen Hölle, die extreme Armut heißt; anderen Kindern fehlt es an medizinischer Versorgung, viele können nicht schreiben und lesen, junge Leute verlassen das Land, weil sie in ihm keine Zukunft haben.
Es ist ein und dasselbe Wirtschaftsprojekt, das diese beiden Höllen schuf.
Ich bin sicher, daß hinter dem"Prozeß der nationalen Reorganisation", wie sie den systematisierten Horror während der Diktatur nannten, dieses Wirtschaftsprojekt stand, das ein Land voller außergewöhnlicher Bodenschätze und Arbeitskraft in eine solche Krise stürzte. Warum sonst haben sie das gemacht? Die Streitkräfte hatten bereits weitreichende Rechte von Isabel Peron erhalten, um die bewaffnete Stadtguerrilla zu kontrollieren und niederzuschlagen. Wie aus den Berichten des Generalstabs des Heeres vom 23. Dezember 1975 hervorgeht, meinten sie, daß nach dem gescheiterten Überfall auf ein Waffenarsenal 95 Prozent der Subversion niedergeschlagen war. Gegen welche bewaffneten Gruppen richteten sich also die Aktionen des"Kampfes gegen die Subversion", die sie als Ausrede benutzten, um im März 1976 an die politische und wirtschaftliche Macht zu kommen? Die Mächtigen und ihre militärischen Verbündeten wollten - und schafften es - eine drastische Lösung: das absolute Auslöschen ihrer politischen Gegner, die sich ihrer Ideologie und ihrem Projekt wiedersetzten.
Es ist schwierig, daß die Empörung nicht die Oberhand gewinnt, wenn ich an all diese verlorenen Leben denke, weil Lateinamerika auf unheilvolle Weise das verheerende neoliberale Wirtschaftsmodell auferlegt wurde. Und die Menschenleben, die jetzt verlorengingen - 26 heißt es in den Nachrichten - die Mehrheit durch Polizeirepressionen. Fünf junge Männer wurden getötet, mehr als 500 Verletzte gibt es unter denen, die"Schluß" sagten und die Mütter von der Plaza de Mayo, die sich seit 1977 mit ihren weißen Kopftüchern jeden Donnerstag versammeln, begleiteten. Die Polizei forderte sie auf zu gehen, weil Ausnahmezustand herrschte, doch sie blieben, umzingelt von Polizisten. Die Demonstranten sangen das traditionelle"Mütter des Platzes, das Volk umarmt euch", bis sie mit Tränengassalven vertrieben wurden.
Aber nicht der Ausnahmezustand, weder Tränengas noch Kugeln, konnten die Antwort eines Volkes aufhalten, das die Plünderungen, die Korruption, die Straffreiheit für die Schergen der Diktatur, die Ungerechtigkeit und täglichen Menschenrechtsverletzungen und eine Politik, die an den elementarsten Bedürfnissen vorbeiging, satt hatte und"Schluß" sagte. Schluß mit einer Demokratie, die von der Wirtschafts- und Finanzmafia geknebelt wird. Schluß mit einem Wirtschaftsplan, der in keinem sozialen und politischen Rahmen steht. Schluß mit einer politischen Führung, die gezeigt hat, daß sie weit hinter den Menschen zurücksteht, die sie mit ihren Stimmen wählten.
Drei Tage vor dem sozialen Aufstand haben fast drei Millionen Argentinier auf eine Volksbefragung der Nationalen Front gegen die Armut (FreNaPo) für einen Vorschlag gestimmt, der erreichen will, daß es keine Armut in Argentinien mehr gibt. Dieses Gesetz gehört zu einem Wirtschaftsplan, der sich gegen die strengen Austeritätspläne richtet, welche die Argentinier ausbluten lassen. Die vielen Stimmen, die dieser Alternativplan bekam, und der gute Ruf der Organisatoren sprechen deutlich für den politischen Mißkredit der Regierung und die Suche nach einer Alternative im Volk. Dieser Front gegen die Armut gehören Repräsentanten von Menschenrechtsorganisationen, von der Gewerkschaft Central Trabajadora, von mehreren Religionsgruppen an, von Industrie- und Unternehmerverbänden sowie viele Privatpersonen. Ihr Alternativprogramm hat mehr Stimmen erhalten als die stärkste Partei bei den letzten Wahlen, die Peronisten.
Die Regierung und einige Oppositionspolitiker nahmen das nicht ernst, aber kaum drei Tage später hat der Überfall auf Supermärkte, der Aufstand und die Wut, die in verschiedenen Städten Argentiniens ausbrachen, ihnen gezeigt, daß das, was sich in der Volksbefragung zeigte, nicht auf die leichte Schulter hätte genommen werden dürfen.
Meine Freude hat nichts zu tun mit der Absetzung eines Ministers oder einer Regierung, denn die, welche folgen, sind genauso oder schlimmer. Die Freude kommt durch die frische Brise, diese Stimme, die zu sagen scheint, man muß von vorne anfangen, das Land neu gründen. In diesen Tagen haben wir Argentinier aufgehört, nach unten zu gucken oder nostalgisch zurückzublicken auf die Zeiten, als unser Land der"Kornspeicher der Welt" genannt wurde. Wir haben aufgehört zu klagen und angefangen zu handeln.
Vielleicht mußte man erst bis an die tiefste Stelle des dunklen Loches gelangen, um diesen Schritt tun zu können, der, obwohl noch ungewiß, doch einen breiten Weg der Hoffnung eröffnet: einen Weg, in dem die verzweifelten und unorganisierten Proteste der letzten Zeit in einen Vorschlag münden, der die Beteiligung der Bürger, die Wiederherstellung der verlorengegangenen Ehre und eine gerechte Verteilung des Reichtums erreicht.
Aus dem Spanischen von Clementine Kügler
Neoliberal? Wohl kaum! Genausowenig wie die USA (Neo)liberal ist!
Schönes Deckmäntelchen, um die US-Konzerne bals billig in Argentinien einkaufen zu lassen!!!!!!!!!!
gruss mcmike
<ul> ~ FAZ am Sonntag</ul>
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