- Eine apollinisch-dionysische Welt... - Morpheus, 28.07.2002, 20:59
- Vorsicht! - Turon, 28.07.2002, 21:21
- ;-) (o.T.) (owT) - Morpheus, 28.07.2002, 21:44
- Respekt!:-) Mit dankendem Gruß vom - silvereagle, 28.07.2002, 21:53
- Re: Vorsicht! - rodex, 28.07.2002, 21:56
- Wissenschaft? Ideologie? Pah! - silvereagle, 28.07.2002, 22:14
- Nachtrag - Morpheus, 28.07.2002, 21:43
- Vorsicht! - Turon, 28.07.2002, 21:21
Eine apollinisch-dionysische Welt...
Ein Artikel von mir vom Mai 2001. Müsste ich mal überarbeiten, aber lesenswert erscheint er noch immer. Für die meisten hier wohl nichts neues...
Eine apollinisch-dionysische Welt...
Ich bin gelernter Bankkaufmann und studiere BWL, womit mein bisheriges Dasein stark auf die Finanzwelt konzentriert ist. Sie fasziniert mich, weil sie die Basis unserer Weltordnung ist und speziell die Börse viel über das Wesen des Menschen offenbart. Und dennoch: Ich bin davon überzeugt, dass das kapitalistische Weltwirtschaftsystem eines Tages zusammenbrechen wird...
Das Hauptproblem sehe ich in der weltweiten Verschuldung respektive im Zinssystem. (Dazu sollte man sich die Seite www.Geldcrash.de ansehen). Jede Mark, die jemand als Zinsgewinn verbuchen kann, muss jemand anderes als Verschuldung registrieren. Wir in den westlichen reichen Ländern zählen zu denen, die davon profitieren, die armen Länder hingegen werden dadurch immer ärmer. Jemand der ohnehin schon reich ist wird durch das Zinssystem immer reicher, jemand der ohnehin schon arm ist immer ärmer. Das Kapital wird also nicht mehr im Sinne einer Zunahme, sondern es wird nur anders verteilt, und das mit den Jahren immer schneller. Dabei konzentriert sich das Vermögen auf immer weniger Menschen, die Schulden jedoch auf immer mehr. Eine Schere klafft immer weiter auseinander und ist schon in der Wurzel darauf angelegt, sich wieder zu schließen. Bis vor einigen Monaten glaubte ich, man könne durch Börse einen allgemeinen Wohlstand fördern. Ich dachte mir, wenn jeder Aktien hat und die Unternehmen immer mehr mit Kapital versorgt werden, dann könnte dadurch konstantes Wachstum erzielt werden. Jeder Aktionär würde seine Gewinne für Konsum verwenden und damit die Erträge der Unternehmen steigern, was wiederum steigende Aktienkurse zur Folge hätte. Auf dieser Basis ließe sich allgemeiner Wohlstand herstellen - glaubte ich. Leider ist es auch hier so, dass Menschen oder Institutionen mit mehr Kapital mehr profitieren und Menschen mit weniger Kapital entsprechend weniger oder gar nicht. Zudem neigen die Menschen bei traumhaften Renditen dazu, auf Basis von Krediten zu spekulieren, womit wieder die oben beschriebene Schere weiter auseinander klafft. Wirklich bedrohlich wird die Lage dann, wenn der Aktienmarkt beginnt zu drehen. Die Menschen mit viele Kapital können die Verluste eher vertragen als die mit wenigem. Sie verdienen auf irgendeine Weise immer, wenn nicht mit Aktien dann mit sonstigen Anlageformen. Der weniger mit Kapital ausgestatte Anleger, der vielleicht auch noch auf Kreditbasis investiert ist, wird nun auf die andere Seite der Schere gerissen. Um diesen Prozess zu vermeiden wird er seine Anteile zu jedem Kurs auf den Markt schmeißen infolgedessen die Kurse immer weiter nach unten brechen. Die Unternehmen verspüre den Kapitalentzug und auch die nachlassende Kaufkraft und beginnen mit Entlassungen. Da die Fundamentaldaten schlechter werden fällt die Börse immer tiefer und es kommt zu einem Crash - ob schnell oder schleichend ist weniger bedeutend. Leider trifft die Schuldkrise nicht nur den kleinen Aktionär, nein ganze Nationen sind die tief verschuldet und die Schuldenlast wird wegen des Zinssystems immer größer. Das fatale daran ist, dass diese Schulden unvermeidlich sind, solange jemand für gespartes Kapital Geld in Form von Zinsen erhält. Das Zinssystem verläuft exponentiell und kann damit nur in sich zusammenbrechen (was übrigens auch durch die Chaostheorie bestätigt wird.) Dazu eine Rechung von Marc Faber, die das Problem verdeutlicht: Bei einer Anlage von einem Dollar im Jahr 1000 zu 5% Zins würden die Zinsgewinne heute das gesamte Bruttosozialprodukt der Welt um das vier Millionenfache übertreffen!! Auf den Aktienmarkt kann eine ähnliche Rechnung angewendet werden - die Folge ist immer die Gleiche.
Generell sei gesagt, dass der Aktienmarkt fundamental betrachtet noch um ein Vielfaches zu teuer ist. Aus einem Artikel im „Spiegel 5/2000“: „Warum eigentlich sind die Börsenkurse weitweit seit 1980 inflationsbereinigt um 1032 Prozent gestiegen, wo doch die Wirtschaftsleistung nur um 80 Prozent zulegte?“ Bedenklich stimmte mich das alles schon immer, doch solange die Kurse stiegen erschien es „dumm“, nicht mit der Welle mitzuschwimmen. Als im letzten Sommer Ariba einen Marktwert von 40 Milliarden Dollar (ausgeschrieben: 40.000.000.000!!) erreichte, wurde ich zum ersten Mal nervös. Auch andere Werte waren unglaublich hoch bewertet. „Wie kann ein start-up wie Akamai über 20 Mrd. Dollar wert sein?“, fragte ich mich, doch die Konsequenzen zog ich wie Millionen andere Menschen nicht...
Nun, während ich nun überall von Börsencrash lese, warte ich auf das viel entscheidendere Ereignis: den Zusammenbruch des kapitalistischen Finanzsystems! Das muss nicht heute oder morgen geschehen, aber ich denke, dass sich dieses Ereignis innerhalb der nächsten 10 Jahre vollziehen wird. Es mag sein, dass damit große Ängste verbunden sind und es mag ebenfalls sein, dass ein solches Ereignis zu weltweitem Chaos führen dürfte. Andererseits bin ich der festen Überzeugung, dass dieses System eine der Urwurzeln für Ungerechtigkeit unter den Menschen und letztendlich sogar für Krieg und Zerstörung ist. Das System bedarf seines Zusammenbruches, es ist von Anfang an darauf angelegt, doch es scheint erstens niemanden wirklich zu interessieren, solange er/sie davon profitieren kann, und zweitens vollzieht sich die Entwicklung über mehr als eine Generation, sodass ein Zusammenhang oder ein Fehler im System „übersehen“ wird. Fakt ist, dass Länder in Folge einer lang andauernden wirtschaftlich schlechten Lage zu Krieg tendieren. Ich weiß nicht, warum das so ist, doch es scheint unvermeidlich. In der Regel wird ein Schuldiger gesucht, gegen den sich die geschürte Aggression dann richtet: „Ich habe aber auch keinen Zweifel darüber gelassen, dass, wenn die Völker Europas wieder nur als Aktienpakete dieser internationalen Geld- und Finanzverschwörer angesehen werden, dann auch jenes Volk mit zur Verantwortung gezogen werden wird, das der eigentlich Schuldige an diesem mörderischen Ringen ist: Das Judentum!“ (Hitler, 1945).
Denen, die Angst vor diesem Ereignis [dem Zusammenbruch] haben sei gesagt, dass es in der Regel nicht lange dauert, bis es von neuem beginnt und die Zeit „danach“ erscheint wie ein „Schlaraffenland“. So bleibt die Welt jedoch „apollinisch-dionysisch“*, ein steter Wechsel zwischen Euphorie und Panik, zwischen Krieg und Frieden, Zerstörung und Aufbau, eine scheinbar nie enden wollende Tragödie, die das menschliche Dasein begleitet. Viele vor mir haben das schon erkannt, doch die daraus resultierenden Ansätze sind alle gescheitert, weil sie ebenfalls nicht tragfähig waren. Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages eine Alternative zu diesem System geben, vielleicht ist es aber auch im Menschen selbst begründet oder gar ein Grundprinzip der Natur...
Marco Feiten
* Die Bezeichnung „apollinisch-dionysisch“ geht auf Nietzsche sowie Heraklit zurück. Dahinter steht die Idee einer Welt voller Gegensätze wie Licht (Apollon) und Dunkel (Dionysos), die sich ewig abwechseln und dennoch eine tiefere Einheit bilden.
P.S. Die Resonanz auf diesen Text zum damaligen Zeitpunkt war, dass ich übertreiben würde, keine Ahnung hätte, Panik verbreiten wolle,... heute dürfte das anders aussehen. Bildlich gesprochen ist unser Fahrzeug Finanzsystem ins Schleudern geraten und die Lenker versuchen alles Erdenkliche, es wieder zu stabilisieren. Vielleicht sollte man aber einfach das Auto (System) wechseln bzw. verbessern... oder langsamer fahren (die Notwendigkeit ständigen Wachstums hinterfragen)... ;-)
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