- offtopic: Genozid an Armeniern? - nereus, 25.07.2007, 10:45
offtopic: Genozid an Armeniern?
-->Hallo!
Ein interessantes Fundstück gab es vor längerer Zeit in der FAZ.
Unter der Schlagzeile Genozid oder nicht? Hunderttausende Armenier kamen 1915/16 wohl ohne Absicht um hat ein US-Historiker versucht die verhärteten Fronten zwischen Armeniern und Türken aufzubrechen, in dem er beide Versionen kritisch prüfte.
Während die Armenier behaupten, sie seien die unschuldigen Opfer eines Genozids gewesen, ist die offizielle türkische Version, es habe sich um Umsiedlungen zur Abwehr einer Bedrohung gehandelt. Dabei wird im Grunde nicht bestritten, daß zahlreiche Armenier ums Leben kamen. Strittig ist, ob es sich um geplante Tötungen handelte.
Da war doch mal was..
In dieser Lage hat es jetzt ein amerikanischer Historiker unternommen, die gegensätzlichen Versionen geduldig und unvoreingenommen zu lesen, sie Absatz für Absatz einander gegenüberzustellen und sie kritisch zu vergleichen. Das Ergebnis ist überraschend.
Aha.
Unstrittig ist auch, daß sich die Deportationen unter extrem schwierigen Bedingungen vollzogen. Da es in Ostanatolien keine Eisenbahnen gab, gingen sie auf Landmärschen durch unwirtliches Land vor sich. Dabei stürzten sich die Kurden auf die Armenier.
Das alte Spiel, wenn zwei sich streiten, freut sich oder triumphiert ein Dritter.
Die türkischen Behörden waren unfähig, wohl teilweise auch unwillig, die Deportationen in einiger Ordnung durchzuführen. Das Elend und die Verluste der Armenier waren enorm, was auch von der türkischen Seite nicht bestritten wird. Die Frage ist nur, ob die türkische Regierung - wie die armenische Version behauptet - die Krise benutzte, um die Armenier auszurotten, oder ob sie sie lediglich umsiedeln wollte und dies nicht unter einigermaßen menschlichen Bedingungen vermochte.
Es scheint anderswo ein ähnliches Problem gegeben zu haben.
In diesem Fall wird aber die andere Version gesetzlich bekämpft.
Eine ausdrückliche Anordnung zum Massenmord ist bisher nicht gefunden worden. Aber das ist kein Beweis; manche Akten wurden vernichtet oder sind nicht frei zugänglich.
Oder vielleicht auch gefälscht.
Wer macht denn da was genau nicht zugänglich, die Türken oder die Armenier oder beide?
Mordbefehle sucht man auch woanders und ist bis heute nicht fündig geworden.
Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie viel Guenter Lewy ohne neue Quellen einfach durch kritische Sichtung der lange bekannten Literatur klären oder doch plausibel machen kann.
Man mag es kaum glauben.
Die Parallelen sind erdrückend.
Die Frage, ob das mit oder ohne Absicht geschah, kann er nicht zweifelsfrei beantworten. Aber wenn man berücksichtigt, daß auch die Türken und die Kurden schwere Verluste erlitten, und zwar weit mehr durch Krankheit als im Kampf, und wenn man ferner bedenkt, daß etwa von den 1916 in türkische Gefangenschaft geratenen britischen und indischen Soldaten ungefähr ein Drittel umkam, spricht viel dafür, daß keine Absicht vorlag.
Ein sehr großes Krankheitsproblem gab es woanders auch.
Widersprüchlich ist allerdings, ob die geplante Hilfe helfen oder töten sollte.
Am Ende erwähnt Lewy einige türkisch-armenische Kolloquien, die an amerikanischen Universitäten stattfanden, und greift den Appell eines Historikers auf, Türken und Armenier sollten endlich die sterile Debatte, ob es Genozid war oder nicht, die nur zu gegenseitigen Beschuldigungen führe, durch gemeinsame empirische Forschung ersetzen.
Prima Idee.
Das sollte man auch für andere Fälle aufgreifen.
Natürlich sei es nicht leicht, schreibt Lewy, die Geschichte dem Zugriff und den Polemiken der Politiker und Nationalisten zu entreißen.
Oh ja, das ist wirklich was dran.
Quelle: http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948B/Doc~E3E0055D9443C4696B61E5FE37258ABBE~ATpl~Ecommon~Scontent.html
mfG
nereus
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