- Sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt - die Stagflation! - yatri, 22.06.2001, 14:43
Sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt - die Stagflation!
Sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt - die Stagflation!
Ende Mai, als so mancher Börsenstratege, sowie viele Marketing-Strategen von Investmentbanken angesichts schrumpfender Börsenumsätze den Sommerbeginn herbeisehnten und Anleger mit oft reisserischen Parolen anreizten, Fonds und Aktien zu kaufen, um an der kommenden Sommer-Rallye teilzuhaben, warnte ich in meiner Kolumne vor einem neuen Börsengewitter: « Inzwischen hat sich die allgemeine Lage an den Börsen so verschlechtert, dass ich heute nochmals verstärkt auf das Mitnehmen von Gewinnen pochen muss... » Es fiel mir nicht leicht, diese Warnung auszusprechen. Einmal hatte ich gerade Ende März mich zum Wiedereinstieg bei Aktien entschlossen, nachdem ich so lange (seit 1996) vom Crash gesprochen hatte, zum zweiten lag mir eine Studie der SSSB (Schroder Salomon Smith Barney) vor mit der Prognose: Dax in 12 Monaten bei 8.000 (Ende Mai 6.220) und Eurostoxx bei 5.800 (Ende Mai 4.513), das wären immerhin 30% Kurszuwachs. Ausserdem wusste ich wie jeder, der sich mit Aktienbörsen beschäftigt, dass seit Monaten enorme Mittelzuflüsse, besonders bei institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds und Versicherern, in die Geldmarktfonds strömen. Das Vermögen der institutionellen Geldmarktfonds stieg seit Jahresbeginn um 200 Milliarden Dollar, verglichen mit den kümmerlichen 17 Milliarden Dollar im Jahre 2000. Damit liegen in Geldmarktfonds über 2.000 Milliarden Dollar, was fast 15% des Marktwerts aller Aktien an der NYSE bedeutet. Das lässt viele Börsianer träumen, und die Verkaufsstrategen bei den Investmentbanken ebenso. Aber vielleicht träumen einige Aktionäre inzwischen vom Immobilienvermögen.
Hätte SSSB recht und würden sich diese Geldmarktfonds in die Aktienfonds ergiessen, dann dürfte der « Hohepriester der Blasen » Alan Greenspan Freude an der Bubble II haben. Der prognostizierte Kursanstieg von 30% beim Dax zum Beispiel würde bei gleichzeitigen unveränderten Gewinnen der Unternehmen in diesem Jahr die KGV, die gerade von Analysten als Anlagekriterium wiederentdeckt wurde, auf die schwindelnde Höhe von 30 bringen. Zur Erinnerung: 1995 lag die KGV des Dax bei 12 bis 13 und stieg auf 30 im Jahre 2000. Ähnliches kann natürlich auch von der KGV des Standard & Poors 500 gesagt werden, die 1995 zwischen 15 und 16 lag und im Zuge der « irrational exuberance » bei 35 landete. Wenn Greenspan weiterhin die Geldschleusen öffnet, und die EZB trotz hoher Inflationsraten die Zinsen ebenfalls senkt, dann kommt nicht nur die Bubble II zur vollen Blüte, sondern dieses Mal hat der Anleger gelernt und wird verstärkt Immobilien kaufen und vielleicht dort für eine Blase sorgen. In einem Land wie Portugal, in dem die Inflationsrate inzwischen bei 5% ist, haben wir seit über einem Jahr an der Algarve einen Immobilienboom, der seinesgleichen sucht.
Das Schönste an den Börsen aber ist die Tatsache, dass man mit Aktien 100, 200 ja 1.000 und mehr Prozent verdienen, aber nie mehr als 100% verlieren kann, die « risk reward ratio » ist also traumhaft. Im Moment gehen die Börsen auf und ab, je nachdem welche Meldung von Unternehmen gerade in den Vordergrund gestellt wird. Am vergangenen Freitag wurden die Börsen durch die Verlustankündigung von über 19 Milliarden Dollar des führenden kanadischen Telekommunikationsausrüsters Nortel (einer der grössten Quartalsverluste eines Unternehmens in der Geschichte der Wall Street) erschüttert. Der Aktienkurs der Nortel, der noch im vergangenen Jahr stolze 89 Dollar errreichte, fiel unter 8 Dollar. Mehr als 250 Milliarden Dollar Kapital wurden vernichtet. Am vergangenen Montag konnten sich die Börsianer dagegen wieder richtig freuen, nachdem Oracle die geschätzten Quartalsergebnisse auch erreichen konnte. Dabei spielte keine Rolle, dass der Reingewinn und der Umsatz eingebrochen sind. Gestern kündigte Infineon seinen Aktionären an, dass ein Verlust für das laufende dritte Quartal von 600 Millionen Euro droht und der Umsatz um 30% gegenüber dem Vorquartal sinken wird. Prompt bekam die Börse wieder einen Knacks. Der Kurs von rund 28.50 Euro ist ungefähr ein Viertel weniger als der Kurs, bei dem sich Anleger glücklich schätzten, einige Stücke bei der Emission zu erhaschen.
Während die Inflationsrate im Euroraum im Mai auf 3,4% bzw in Deutschland auf 3,5% gestiegen ist, werden die Wachstumsraten der Wirtschaft ständig revidiert. Der Anleger braucht also seine Margeriten im Garten nicht zu pflücken um abzuzählen, ob die Stagflation kommt oder nicht: Sie ist schon da. Wie verworren unsere Notenbankpolitiker bereits sind, beweisen zwei Dinge: Einmal erklärte der britische Notenbankchef Eddie George bei der monatlichen BIZ Sitzung am 7. Mai in Basel, dass « im zweiten Semester 2001 der Aufschwung in Amerika einsetzen wird ». Derselbe Mann, der übrigens der Sprecher der Zentralbanken ist, sagte am 31. Mai in Wien auf einem Währungskolloquium: « Der amerikanische Aufschwung wird nicht vor 2002 stattfinden ». Wir werden sehen, was uns Herr George das nächste Mal zu sagen hat. Oder was soll man vom Euro halten, der von einer Zentralbank gemanagt wird, die noch vor einem Jahr behauptete und immer wiederholte, dass die Preisstabilität von 2,0% Inflation im Euroland nicht überschritten wird. Und nun toleriert sie 3,4%!
Fazit für den Anleger: Halten Sie Ihr Pulver trocken, die Tiefststände von Ende März dieses Jahres werden noch einmal getestet, und erst dann sollten Sie sich entscheiden, ob Sie wieder einen Teil Ihres Cash in Aktien anlegen. In der Zwischenzeit müssen Sie sich in Geduld und Geldmarktfonds üben. Wenn dabei die Kurse der Lieblingsaktien fallen, kann das auch sehr reizvoll sein.
Roland Leuschel
22.06.2001
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