- Kapitalmarkt-Experten-Schelte aus der"Süddeutschen" - Fontvieille, 02.07.2001, 19:18
- Re: Kapitalmarkt-Experten-Schelte / Prima Beitrag! (owT) - JüKü, 02.07.2001, 20:31
Kapitalmarkt-Experten-Schelte aus der"Süddeutschen"
Vom Fluch der Voreingenommenheit
Die Experten begründen ihre Fehler mit externen Faktoren - ein Verhaltensanalytiker widerspricht
Von Martin Reim
München - Der Dax fiel im abgelaufenen Halbjahr zeitweise so tief, wie es kaum jemand erwartet hatte. Und auch per saldo landete er im Minus. Nun korrigieren die Analysten ihre Vorhersagen reihenweise nach unten. Doch auch diese Prognosen basieren auf falschen Grundlagen, meint Joachim Goldberg, ein Experte für Kapitalmarkt-Psychologie.
Gottfried Heller ist einer, den Finanzjournalisten gerne um seine Meinung fragen - kein Wunder: Der geschäftsführende Gesellschafter der Fiduka Depotverwaltung war Geschäftspartner des verstorbenen Börsengurus André Kostolany und gehört zu den wenigen Stars am deutschen Kapitalmarkt. Doch zumindest mit seinen Vorhersagen für das laufende Jahr liegt Heller, soweit dies schon nachprüfbar ist, zumeist daneben. So prognostizierte er im Dezember, als der Dax weit über 6000 Zählern lag, dieser werde 2001 nicht unter 6600 Punkte fallen. Als der Index im März zum ersten Mal seit längerem unter diese Marke rutschte, sagte der Vermögensverwalter, die Aktienkurse würden „in drei bis vier Wochen abheben“.
Jetzt, gut drei Monate später, dümpelt das Börsenbarometer nach kurzem Aufschwung immer noch bei 6000 Punkten (Freitags-Schluss: 6058,38 Zähler). Heller ist bei weitem nicht der einzige Beobachter, dem solche Missgriffe passierten. Die SZ hatte im Dezember neben der Fiduka 34 weitere Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen um Tipps gebeten. Ergebnis: Keine einzige der befragten Gesellschaften rechnete damit, dass der Dax - wie geschehen - zeitweise unter 5400 Zähler abrutscht.
„Menschlich verständlich“
Was führte zu diesen Fehleinschätzungen? Heller argumentiert vor allem mit den amerikanischen Börsen, die die Entwicklung in Deutschland zum guten Teil vorgäben. Er habe auf die Leitzinssenkungen durch die US-Notenbank Fed gebaut - die dadurch vergrößerte Geldmenge sollte, so seine Erwartung, zu einem nennenswerten Teil in Aktien fließen und die Kurse heben. „Dass dies zu wenig passiert ist, ist auf die immer misslichere Lage der Firmen aus den Bereichen Technologie, Medien und Telekommunikation zurückzuführen. Die massenhaften Gewinn-Revisionen in diesen Bereichen haben die Stimmung auch für die restlichen Werte verhunzt, obwohl sie nicht so schlecht dastehen.“ Die Laune getrübt hätten auch die Konjunkturforscher, die ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr immer weiter nach unten setzten. Das verschlechtere die Aussichten für die Unternehmensgewinne, was die Kauflust an der Börse nicht gerade steigere.
Trotz der mehrmaligen Fehlschläge in diesem Jahr bleibt Heller nach eigenen Worten grundsätzlich optimistisch für den Aktienmarkt. Er erwarte, dass der Dax zu Jahresende zumindest über 6500 Punkten stehe. Seine Argumente ranken sich wiederum vor allem um die US-Leitzinssenkungen. Die erhöhte Geldmenge jenseits des Atlantiks sei in erheblichem Maße in Geldmarktfonds geflossen. Diese Fonds, die in kurzfristige Geldmarktpapiere investieren, seien inzwischen auf ein Gesamtvolumen von zwei Billionen Dollar (mehr als vier Billionen DM) angeschwollen. „Das ist eine gewaltige Grundlage für eine - möglicherweise rasante - Hausse am Aktienmarkt.“
Andere Beobachter reagieren ähnlich wie Heller auf die Tatsache, dass ihre Prognosen viel zu optimistisch waren: Sie nehmen ihre Vorhersagen zurück, ohne die Richtung zu wechseln. So hatte das Handelsblatt in der vergangenen Woche eine Reihe von Banken danach gefragt, wo sie den Dax zu Jahresende sehen. Die Institute reduzierten ihre Prognosen gegenüber Dezember im Schnitt um rund 1000 Zähler, glauben aber alle weiterhin an einen Anstieg im Vergleich zum jetzigen Stand.
Heftige Kritik an diesem Vorgehen kommt von Joachim Goldberg, Geschäftsführer der Cognitrend GmbH, die das Verhalten der Akteure am Kapitalmarkt erforscht. Aus seiner Sicht entspringt die Reaktion der Befragten „nicht dem Versuch, die Lage unvoreingenommen neu einzuschätzen“, sondern folge psychologischen Gesetzmäßigkeiten. Die Analysten wollten instinktiv vermeiden, sich dem als schmachvoll empfundenen Eingeständnis auszusetzen, mit ihrer Meinung komplett falsch gelegen zu haben. Deshalb werde nur zaghaft korrigiert. Zudem seien die Beobachter bemüht, ihren Kunden genau das zu präsentieren, was diese sehen möchten - und hier sei zurzeit ein nicht überschäumender, sondern gemäßigter Optimismus gefragt. „Das Verhalten der Analysten ist menschlich verständlich und entspringt wohl nur zum kleineren Teil dem Motiv, Aktien im Interesse des Arbeitgebers hochzuschreiben.“
Goldberg glaubt zudem, dass in der zu großen Zuversicht beider Seiten - Analysten wie Anleger - der Hauptgrund dafür liege, dass die Erwartungen nicht eingetroffen sind. Es handle sich gewissermaßen um eine Prophezeiung, die durch ihr bloßes Vorhandensein dafür sorge, dass sie nicht eintreffe. „Wer optimistisch ist, hat schon investiert und kauft normalerweise nicht mehr viel nach. Daher fehlt der Treibstoff für steigende Kurse. Und fängt es einmal zu bröckeln an, zieht das oft weitere Verkäufe nach sich.“
Nach Meinung Goldbergs ist auch jetzt noch die Zuversicht im Publikum zu groß, um nachhaltig steigende Kurse erwarten zu können. Das ergäben regelmäßige Umfragen, die sein Haus unter Investoren ausführe. Auf die Frage, ob der Dax in drei Monaten niedriger liege als heute, antworteten derzeit erst zehn bis zwanzig Prozent der Privatanleger mit „Ja“. Goldberg: „Erst bei einer Quote von 70 Prozent ist mit einem dauerhaften Anstieg zu rechnen. Die Pessimisten haben dann zumeist schon verkauft, würden aber wieder einsteigen, wenn die Kurse eine Zeit lang nach oben gingen. Außerdem ist in solchen Situationen zu wenig Angebot an Aktien da, sodass eine kleine, aber stetige Nachfrage ihre Wirkung entfalten kann.“
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