jungewelt.de:
Matin Baraki
Die Genese einer Söldnertruppe
Die Taliban, das Ã-l in Zentralasien und die Perspektive Afghanistans (Teil II)
Wenn die Mudschaheddin den Auftrag ihrer internationalen Mentoren hätten erfüllen können, wären die Taliban nie zustande gekommen. Die Taliban sind nichts anderes als das Produkt der ökonomischen Interessen der USA und ihrer Verbündeten. Das historische Versagen der Mudschaheddin war die Geburtsstunde der Taliban als eigenständiger organisierter Kampfeinheit auf dem Kriegsschauplatz Afghanistan. Erst als sich in der ersten Hälfte des Jahres 1998 herausgestellt hatte, daß die Taliban nicht in der Lage waren, das ganze Land unter ihre Kontrolle zu bringen und die für eine Pipeline benötigte Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten, änderte sich die Politik der USA gegenüber deren Regime. Daraufhin zog die US-Ã-lfirma Unocal Anfang Oktober 1998 auf Empfehlung ihres Beraters Henry Kissinger ihre Pläne für eine Pipeline durch Afghanistan zurück.
Rekrutiert aus Waisenkindern
Obwohl die Taliban erst im September 1994 öffentlich auftauchten, wurden sie nach Angaben von General Aslam Beg, dem ehemaligen Generalstabschef Pakistans, schon 1985/86 im Nordosten Afghanistans als Kampftruppe aufgestellt. Sie waren zunächst dort an den »Madrasah« (religiösen Schulen) sowohl religiös-fundamentalistisch wie militärisch ausgebildet worden. Der französische Afghanistanexperte Olivier Roy beobachtete dagegen schon im Sommer 1984 die Aktivitäten an den Fronten der Taliban in Afghanistans südlichen Regionen Orusgan, Sabul und Kandahar. Dort »handelte [es] sich im Prinzip um die Umwandlung einer ländlichen Madrasah in eine militärische Front.« 1) Rekrutiert wurden die Taliban u.a. aus den Reihen der Waisenkinder Afghanistans in den Flüchtlingslagern in Pakistan. Sie wurden unter unmittelbarem Kommando der pakistanischen Armee und des Geheimdienstes ISI je nach Bedarf bei den verschiedenen Mudschaheddin-Gruppen eingesetzt. General Beg zufolge sind die Madrasahs großzügig von den Regierungen Pakistans und Saudi-Arabiens und vielleicht der USA finanziert worden.
Für die Entscheidung, die Taliban als selbständige militärische Formation im afghanischen Bürgerkrieg einzusetzen, waren m.E. vier Aspekte ausschlaggebend:
Erstens: Im Frühjahr 1994 wurden die Führer der in Afghanistan rivalisierenden Mudschaheddin vom Auswärtigen Ausschuß des US-Kongresses zu einem Gespräch nach Washington zitiert. Die Mudschaheddin schickten entweder ihre zweitrangigen Führungsmitglieder oder folgten dieser »Einladung« erst gar nicht. Den anwesenden Mudschaheddin wurde zum ersten Mal ein Plan vorgelegt für den Bau einer Pipeline von den Ã-l- und Gasfeldern in Mittelasien - weltweit die drittgrößte Reserve - durch Afghanistan zum Indischen Ozean, ein Plan, um den seit 1990 die größten westlichen Ã-lkonzerne einen »gnadenlosen Kampf« führen. (In diesem Kampf geht es auch noch um das nördlich von Afghanistan liegende Usbekistan, um die reichsten Goldminen der Welt mit einer Jahreskapazität von zirka 50 Tonnen und um das größte Silbervorkommen der Erde sowie um Uran in Kirgistan.)
Die Mudschaheddin wurden aufgefordert, sich so bald wie möglich zu verständigen, um die Verwirklichung des Projektes nicht zu verzögern. Sie versprachen der US-Seite, den Afghanistan-Konflikt bald friedlich zu lösen, ein Versprechen, das bis heute nicht eingelöst ist. Nachdem sich die Unfähigkeit der Mudschaheddin-Gruppen, die an sie gestellten Aufgaben erfolgreich zu Ende zu bringen, erwiesen hatte, überfielen - scheinbar aus dem Nichts entstandene - gut organisierte militärische Einheiten, nun als Taliban bekannt, von Pakistan aus im September 1994 die afghanische Stadt Kandahar.
Das Kalkül des US-Kapitals
Dies war der Beginn eines erneuten Versuchs einer militärischen Lösung des Afghanistan-Konflikts, die von den USA und ihren regionalen Verbündeten bevorzugt wurde. Die Mission der Taliban wurde darin gesehen, ganz Afghanistan zu besetzen, um die Bedingungen für die Realisierung der ökonomischen, politischen und ideologischen Projekte der USA, Pakistans und Saudi-Arabiens zu schaffen. Hinzu kam noch das spezifische geostrategische Interesse Pakistans am Nachbarland. »Am liebsten wäre uns eine Marionettenregierung in Kabul, die das ganze Land kontrolliert und die gegenüber Pakistan freundlich eingestellt ist«, stellte ein pakistanischer Stratege fest. (FAZ, 26.10.1996)
Zweitens: Gulbuddin Hekmatjar, der Supermudschahed der USA und ihrer Verbündeten im Afghanistan-Konflikt, fiel wegen antiwestlicher Äußerungen und seiner verbalen Unterstützung des irakischen Diktators Saddam Hussein während des Golfkrieges im Jahre 1991 in Ungnade.
Drittens: Der mittelasiatische Markt wurde als nicht zu vernachlässigendes Exportfeld für pakistanische Produkte angesehen; der einzige Transitweg dahin führt bekanntlich über afghanisches Territorium. Nach einem Treffen mit Vertretern saudiarabischer und US-amerikanischer Ã-lgesellschaften forderte der pakistanische Ministerpräsident Nawaz Scharif die Taliban ultimativ auf, die Besetzung ganz Afghanistans bis Ende des Sommers 1997 abzuschließen. (Der Spiegel, Nr. 22/1997) Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, daß die Kampfeinsätze der Taliban von pakistanischen Piloten geflogen wurden, um der Aufforderung N. Scharifs Nachdruck zu verleihen. »Auf sich gestellt, könnten die Taliban nicht einmal ein Dorf erobern«, schrieb Erhard Haubold in der FAZ vom 26. Oktober 1996.
Viertens: Sowohl die USA als auch Saudi-Arabien wollen den ideologischen Einfluß ihres Rivalen Iran in Afghanistan eindämmen. Da sich auch darin die Mudschaheddin-Gruppen als unfähig erwiesen hatten, mußten die Taliban an ihre Stelle treten.
Obwohl die USA jeglichen Kontakt zu den Taliban geleugnet haben, sind viele Afghanistan-Experten der Meinung, daß die Vereinigten Staaten engste politische Verbindungen zu den Taliban unterhalten. Nach einer Meldung des Guardian gab es regelmäßig gegenseitige Besuche auf hoher Ebene. Mitte 1996 nahmen hochrangige Taliban-Führer an einer Konferenz in Washington teil. Kurz bevor die Taliban die ostafghanische Stadt Dschalalabad besetzten, führten hohe Beamte des US-Außenministeriums Gespräche mit ihren Führern in Kandahar, wo sich das Hauptquartier der Taliban befindet. (International Herald Tribune, 5.11.1996)
Nun, da die Taliban die in sie gesetzten Hoffnungen offensichtlich nicht erfüllen konnten, hat das US-State-Department das heutige Afghanistan als weltweit wichtigsten Terroristensumpf eingestuft.
Marionetten Pakistans
Als die Taliban ihren Eroberungsfeldzug in Afghanistan am 27. September 1996 mit der Einnahme der Hauptstadt Kabul fortsetzten, versprach die US-Administration, ihnen Unterstützung zu geben. Die für Südasien zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium, Robin L. Raphel, kündigte die Anerkennung des Taliban-Regimes und die Wiedereröffnung der völlig intakten US-Botschaft in der ansonsten zerstörten Stadt Kabul an. 2) Der Vizepräsident der amerikanischen Ã-lgesellschaft Unocal Corporation, Chris Taggert, bezeichnete die Eroberung Kabuls durch die Taliban als »positive Entwicklung« und forderte die US-Regierung auf, das Taliban-Regime anzuerkennen. Die politischen Beobachter gingen davon aus, daß sich die Taliban in Afghanistan etablieren werden.
Jedoch haben die Taliban unabhängig von der territorialen Ausdehnung ihrer Herrschaft nicht die Bedingungen schaffen können, um die Realisierung der ökonomischen Vorhaben ihrer ausländischen Mentoren abzusichern. Die wichtigste Aufgabe der Taliban, die Absicherung des Weges für den Bau einer Gas- und Ã-lpipeline mit einem Investitionsvolumen von 1,9 Milliarden US-Dollar vom turkmenischen Daulatabad in Mittelasien durch Afghanistan nach Moltan in Pakistan bzw. zum Indischen Ozean, ist gescheitert. Die mit 54 Prozent am amerikanisch-saudischen Konsortium Centgas beteiligte Unocal Corp., die seit 1996 »aggressiv für ihr Projekt geworben und u.a. Henry Kissinger als Berater eingestellt« 3) und »die Anerkennung einer ›etablierten Regierung‹ in Afghanistan durch die USA und die UNO« verlangt hatte, hat inzwischen wegen »Verschlechterung der politischen Bedingungen in Afghanistan« 4) das Vorhaben einer Pipeline durch Afghanistan verworfen. Damit hatten die Taliban ihre zentrale strategische Funktion verloren.
Die afghanische Bevölkerung hat mit jeder neuen Bewegung Hoffnung auf Frieden in Afghanistan verbunden. Sie ist inzwischen, wie dem Verfasser aus Afghanistan kommende Landsleute während eines Aufenthalts in Peschawar berichteten, davon überzeugt, daß die Taliban Marionetten des pakistanischen Regimes sind. Diese Überzeugung wird u.a. dadurch bestärkt, daß die Kommandanten der Taliban von den beiden Hauptsprachen Dari und Paschto nur einen bestimmten Dialekt des Paschto beherrschen und bei einer Besprechung mit der Bevölkerung einen afghanischen Dolmetscher heranziehen müssen.
Die Herrschaftsmethoden der Taliban, die angeblich islamisch begründet sein sollen, sind den Afghanen fremd. Dies gilt auch für ihre extreme Frauenfeindlichkeit, die sich u.a. im Berufsverbot, in der Verstümmelung der Gliedmaßen von Frauen, die Hände oder Fingernägel bemalen, in der Entführung und im Verkauf von Frauen an reiche Araber, in Vergewaltigung und Steinigung zeigt. Dies alles steht in diametralem Gegensatz zu Kultur und Tradition der afghanischen Völker.
Weiterhin fremdbestimmt
Seit der Besetzung Afghanistans durch die Taliban existierte im Lande kein funktionsfähiger Staatsapparat, keine funktionsfähige Verwaltung. Das Bildungswesen wurde als überflüssig erachtet, und das Gesundheitswesen war faktisch zusammengebrochen. Es ist nur dort einigermaßen intakt, wo internationale Organisationen Regie führen. Wegen der Vorschrift, daß Frauen nur von Frauen behandelt werden durften, waren auch dort weibliche Ärzte und weibliche Hilfskräfte »einer brutalen Behandlung auf einer fast alltäglichen Basis ausgesetzt«. 5) Ansonsten wurden Ad-hoc-Maßnahmen nach Lust und Laune des jeweiligen Kommandanten umgesetzt. Es herrschte eine Gesetzlosigkeit, die in der afghanischen Geschichte einmalig war.
Die islamischen Gruppierungen haben in Afghanistan nur dann eine Perspektive, wenn sie sich auf einer breiten Basis zusammenschließen. Unter der Berücksichtigung der Geschichte und der Gegenwart dieser Gruppierungen spricht aber alles gegen eine solche Möglichkeit.
Seit dem 7. Oktober führen die USA und Großbritannien Krieg gegen Afghanistan mit dem erklärten Ziel, das Taliban-Regime zu beseitigen. Wiederum wurde einer militärischen statt einer politischen Lösung des Konflikts der Vorzug geben, wiederum auf Kosten der Zivilbevölkerung. Afghanistan hat aber nur dann eine Perspektive, wenn die ausländische Einmischung, deren Kräfte den Afghanistan-Konflikt gelenkt haben und immer noch lenken, aufhört und unter der Federführung der UNO oder - noch besser - der nichtpaktgebundenen Staaten, deren Mitglied Afghanistan immer noch ist, Bedingungen für einen zivilen Aufbau geschaffen werden.
Die Aufgaben, die die neue Regierung vor sich hat, sind so immens, daß sie ohne beträchtliche internationale Hilfe unmöglich gelöst werden können. Allein die Räumung der zehn bis elf Millionen Landminen - Afghanistan ist das größte Minenfeld der Welt - kann ohne internationale Unterstützung nicht geleistet werden. Mit der Kapazität der jetzigen Minenräumkommandos brauchte man mehr als 400 Jahre, um Afghanistan von diesen Teufelsprodukten zu befreien. Das wäre die allererste entwicklungspolitische Maßnahme, um das Land wieder bewohnbar zu machen.
Angesichts der Verantwortung der BRD für die indirekte Mitwirkung an der Zerstörung Afghanistans durch die jahrzehntelange Unterstützung der Mudschaheddin und für die gescheiterten bundesdeutschen Entwicklungsprojekte in Afghanistan bis 1978 ist die Bundesregierung moralisch wie politisch verpflichtet, an einem Wiederaufbau Afghanistans tatkräftig mitzuwirken. Darum und nicht um eine militärische Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen Afghanistan sollte die Bundesregierung ringen. Das wäre eine Politik mit nachhaltiger Wirkung zum Nutzen beider Länder.
1) Olivier Roy, Die Taleban-Bewegung in Afghanistan, in: Afghanistan-Info, Neuchâtel, Nr. 36, Februar 1995
2) Vgl. Richard Mackenzie, The United States and the Taliban, in: W. Maley (Ed.) Fundamentalism reborn? Afghanistan and the Taliban, London 1998, S. 91
3) Rückzug der Unocal aus Afghanistan, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 24.12.1998, S. 13
4) Rückschlag für Pipelineprojekt in Westafghanistan, in: NZZ, 27.8.1998
5) A. Faiz, Health care under the Taliban, in: The Lancet, London, Vol. 349, 26.4.1997, S. 1247 (eigene Übers.)
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