DIE ZEIT
05/2002
D-Land, einig Stillstandland
und die Kandidaten Schröder und Stoiber wagen nicht einmal, vom Aufbruch zu reden
von Josef Joffe
Einen solchen Auftakt hat die Republik in der Geschichte ihrer Wahlkämpfe noch nicht erlebt. Kaum war der Herausforderer gekürt, da machte er den Dreisprung nach links und schob sich wie ein Abziehbild über das Konterfei des Kanzlers. Homo-Ehe, Ã-kosteuer, Atomausstieg, Zuwanderung: Die Abscheu war nicht so ernst gemeint, alles, was Rot-Grün in den Augen der Union verbrochen hat, sei bedenkens-, vielleicht gar erhaltenswert. Selbst die wohlgesinnte Presse ist baff; die Welt verspottet den Kandidaten gar als"Edhard Schroiber".
Nun gut, die Stoiberisten mussten rasch handeln, um einen offenkundigen Eröffnungszug der SPD abzuwehren, der ihren Mann in die rechte Ecke abdrängen sollte: als Eisenfresser und Bayern-Haider. Trotzdem verweist die vorauseilende Rochade des Edmund S. auf ein tieferes, ja tragisches Problem dieser Republik: Sie wird sich am 22. September zwischen zwei Kandidaten entscheiden müssen, die gleichermaßen den Stillstand verkörpern. Reformpolitisch hat der Kanzler schon nach der Halbzeit alle Viere von sich gestreckt; der Herausforderer hat (bislang) noch nicht einmal den rhetorischen Versuch gewagt. Warum sollte er auch? Seine Karriere als äußerst erfolgreicher Ministerpräsident eines äußerst erfolgreichen Landes weist ihn (wie die Majorität unserer Abgeordneten) als Etatisten, Interventionisten und Subventionisten aus - als weiß-blauen Sozialdemokraten sozusagen.
Doch geht die Sache noch tiefer. Hoch intelligent und mit allen politischen Wassern gewaschen, wissen beide, dass in Deutschland auf den Barrikaden keine Wahlkämpfe zu gewinnen sind. Alle wollen Reformen, aber mit dem Zusatz:"Bitte nicht bei mir!" In Wahrheit lauten die beiden wichtigsten (ungeschriebenen) Verfassungsartikel: 1. Es darf sich nichts verändern. 2. Aber wenn doch, müssen die Verlierer kompensiert werden - Bauern, Kumpel, Stahlkocher oder Pleitiers ab einer gewissen Größe (Holzmann, SchmidtBank, zuletzt Bombardier). Das Alte bleibt, das Neue kommt zu kurz. Die Probleme sind mit Händen zu greifen, und sie werden immer mehr: von der Arbeitslosigkeit, die nach jedem Aufschwung höher ist als bei der Erholung davor, bis zu den Universitäten (und jetzt auch den Schulen), die in der Zweitklassigkeit versinken; vom Kapitalabfluss, der anderswo hübsche Jobs anschwemmt, bis zum"Schlusslicht D".
Kartell mit staatlichem Segen
Warum dann die Angst der Kandidaten vor dem Wahlvolk, warum drängen beide in die wabernde Wärme des Status quo? Weil es diesem Land in Wahrheit (noch) recht gut geht. Dies ist zwar keine Vollbeschäftigungs-, aber doch eine"Volleinkommensgesellschaft", in der zweierlei geschieht. Auf der einen Seite verschafft die Kombination von staatlicher Alimentierung und Schwarzarbeit dem Erwerbslosen ein stolzes verfügbares Einkommen; auf der anderen versperrt ihm die Kartellierung des Arbeitsmarktes, der die Jobhabenden, nicht aber die Jobsuchenden begünstigt, den Ausweg in die Erwerbstätigkeit. Das Symbol dieser erstarrten Welt ist das Bündnis für Arbeit, wo die Kartellisten mit staatlichem Segen Preise und Zugangsbedingungen absprechen. Doch wer repräsentiert die vier plus x Millionen Arbeitslosen an diesem Tisch?
Die müssen draußen bleiben, genauso wie - buchstäblich - die Kunden, die sich nach Ladenschluss die Nase am Fenster platt drücken dürfen, weil es die Verbände so wollen. Oder die Zuwanderer, die im Schwarzmarkt schwitzen, weil der Billiglohnsektor verrammelt ist. Denn die Regeln bestimmen die Gutorganisierten, die ständestaatlich formierten Kräfte, und die zielen auf Konkurrenzabwehr und Besitzstandsvereisung. Schröder und Stoiber wissen beide sehr wohl, wo die Macht in dieser Gesellschaft zu Hause ist, und deshalb hat der eine aufgehört zu reformieren, derweil der andere selbst den Versuch verweigert.
Gewiss, die beiden verhalten sich absolut systemrational; gewiss, diesem Land geht es trotz seiner Beharrungswut besser als anderen. Aber das Wuchern von Defiziten, Staatsschulden und Arbeitslosigkeit, der Verlust von Real- und Humankapital (siehe Jobexport und Pisa) signalisieren: Bella Germania - wo Arbeit sich nicht lohnt oder nicht zu haben ist - ist so schön nicht mehr, weil die Ansprüche schneller wachsen als das Bruttosozialprodukt. Wir alimentieren die Nichtarbeitenden auf höchstem Niveau, aber wer fragt je nach den psychischen Kosten von 20 Prozent Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt und 12,5 Prozent in Bremen? Nicht die IG Metall, nicht Gesamtmetall. Das müssen Schröder und Stoiber tun, sie müssen all jene repräsentieren, die nicht repräsentiert werden in unserem perfektionierten Neoständestaat.
Ein erster Schritt wäre getan, wenn Stoiber gegen Schröder anträte, nicht das Abziehbild gegen das Original.
Also:
Alles wie gehabt: Markt, Eigeninitiative und Eigenverantwortung, etc.pp. bleiben dank der Korporatisten in SPD, CDU, PDS und CSU auf der Strecke.
Und der Rest liegt unter dem Mantel des Schweigens
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