aus dem RT-Forum:
<h2>Weiße Folter, stiller Tod</h2>
Käfighaltung: Wie Amerika mit Al-Qaida-Kämpfern umspringt.
Eine Bildbeschreibung von Oliver Fahrni
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(In der Druckausgabe der Zeitschrift zeigt ein Bild knieende, verkrümmte
gefangene Menschen in seltsamen knallroten Overalls. Bildbeschriftung:)
TORTUR DURCH ENTZUG DER SINNE:
1) Eine Brille hält blind,
2) Eine Maske versperrt Mund und Nase,
3) Ohrenklappen machen taub,
4) Ein Handschuh raubt den Tastsinn,
5) Arme und Beine 6) sind fixiert
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Manche Bilder schreien. Die Männer, die hier unserem Blick ausgeliefert
werden, sind in Ketten gelegt. Hand- und Fußschellen verkrümmen sie zur Demutshaltung.
Man hat sie geknebelt und kahl geschoren. Eine Brille macht sie blind.
Man hat ihnen Nasen und Ohren versperrt, und man hat ihre Hände in Säcke gesteckt.
Käfighaltung, Modell US-Army 2002.
Kein aufklärerischer Journalist hat die Fotos der gefangenen Taliban und
Al-Qaida-Kämpfer im Lager X-Ray auf der Marinebasis Guantánamo (Kuba)
geschossen, sondern ein Presseoffizier im Auftrag des Pentagon. Es
sollten Bilder siegreicher, rächender Härte sein. Bilder gegen das
Trauma. In den Köpfen der Bürger soll der Film in die Zeit vor dem 11.
September zurückgespult werden, als Amerika sich unverletzlich wähnte.
Denn Osama Bin Laden ist noch immer nicht gefasst, der Krieg geht
weiter, die Wirtschaft lahmt, und bald stehen Parlamentswahlen an.
Was bleibt von einem Menschen, wenn er nichts mehr sieht, hört, riecht,
fühlt, wenn ihm Sprache und Bewegung verwehrt sind? Nicht viel:
verstümmelte Biomasse.
Eine alte, hochwirksame Form der Folter. Die Vernichtung des Menschen
durch Isolation. Ärzte nennen die Lähmung aller Sinne"sensorische
Deprivation",Menschenrechtler schlicht"Weiße Folter" oder"stiller
Tod".
Universitäten erforschten sie für medizinische Zwecke, zum Beispiel das
Laboratorium für klinische Verhaltensforschung der Universität Hamburg
in seiner"stillen Zelle". Geheime Militärlabors verfeinerten sie
in Menschenversuchen, Michel Foucault hat sie in"Überwachen und strafen"
beschrieben.
Gegen Schläge, Elektroschocks, Verletzung kann der Gefolterte innere
Widerstände aufbauen. Geschunden bleibt er doch Mensch. Die Weiße Folter
aber zielt auf seine Essenz. Sie enzieht ihm, was ihn erst zum Menschen
macht: ein Bild von der Welt, der Kontakt mit außen. Er verliert jede
Orientierung, Halluzinationen lassen ihn irre werden. Herzstörungen,
Zuckungen, Atemstillstand drohen. Werden dem Opfer unvermittelt
Sinneseindrücke zugeführt, kann sein Hirn die Reize nicht bewältigen -
die Persönlichkeit zerfällt.
Entmenschlichung."Es ist der tiefste, irreversibelste,
destruktivste Eingriff am Menschen durch Folter", schrieb die
RAF-Terroristin Ulrike Meinhof aus ihrer Zelle in Stammheim, wo sie der
Stille eines isolierten Trakts ausgesetzt war.
International geächtet, wird die Isolationsfolter von Diktaturen aller
Couleur praktiziert, in der Türkei, in Nordkorea und anderswo. Was
Wunder, reagierten die Europäer bestürzt auf die Bilder des Pentagons.
Menschenrechtsgruppen, das Rote Kreuz intervenierten. Der britische
Außenminister Jack Straw räumte Spannungen mit Washington ein. Londons
Konservative, US-Präsident George W. Bush innig verbunden, forderten
dringliche Aufklärung."Gefoltert", titelte ihr Blatt"Mail on Sunday",
das jeden Widerstand gegen den Krieg gegeißelt hatte, und fragte:
"Verteidigen so Bush und Blair unsere Zivilisation?" Genervt versicherte
Bush, die Gefangenen würden korrekt behandelt, und ließ eine permanente
Beobachtergruppe des RotenKreuzes in das Lager.
Die Häftlinge von Guantánamo werden beschrieben als gefährlich,
fanatisiert, zu jeder Mordtat bereit. Aber was auch Nazi-Völkermörder,
Hutu-Schlächter oder Südafrikas Rassisten bekamen, will ihnen Bush
verwehren - einen transparenten Prozess.
Den islamistischen Kämpfern menschliche Eigenschaften abzusprechen ist
seit dem 11. September ideologisches Mantra Amerikas. Das negiert die
Werte, für die Bush Krieg zu führen vorgibt. So kann jeder, der sich
gegen das neue Reich der Mitte auflehnt, die Botschaft lesen: Nicht
Regeln zählen, sondern allein Gewalt. Stärke sollten die Fotos
demonstrieren - sie offenbaren nur Schwäche.
OLIVER FAHRNI
Quelle: DIE WOCHE 05/02, 25. Januar 2002
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