GASTKOMMENTAR: Die Diskussion um den"blauen Brief" zeigt die Grenzen des Stabilitätspaktes - Ein unorthodoxer Vorschlag
<font size=5>Der Euro braucht eine Stabilitätssteuer</font>
Von BERNHRAD ZANGL und DIETER WOLF
Bernhard Zangl ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien an der Universität Bremen. Dieter Wolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Technischen Universität München.
<font color="#FF0000">Wie kann in der Euro-Zone verhindert werden, dass einzelne Staaten durch übermäßige Neuverschuldung die Inflation antreiben?</font> Die Grenzen des Stabilitätspakts, der die Euro-Länder unter Strafandrohung dazu zwingen soll, die jährliche Neuverschuldung unter 3,0 Prozent zu halten, werden immer deutlicher. <font color="#FF0000">Gefangen im Korsett des Stabilitätspakts, fehlt einigen Staaten in der EU die wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit, um auf die lahmende Konjunktur angemessen zu reagieren</font>. Darüber hinaus droht eine <font color="#FF0000">Unterhöhlung des Stabilitätspakts </font>- und damit des Vertrauens in den Euro - dann, wenn sich die großen Staaten der Euro-Zone auf eine Lockerung des Stabilitätspakts einigen, das heißt, straffrei eine höhere Neuverschuldung zulassen.
<font color="#FF0000">Mehr wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit bei gleicher Stabilitätsorientierung ist möglich: durch eine Stabilitätssteuer</font>. Die Euro-Staaten wären nicht in ein starres Korsett von Stabilitätskriterien gezwungen, sondern müssten einen bestimmten Prozentsatz ihrer Neuverschuldung als Steuer an die EU abführen. Der Steuersatz könnte dabei entweder fix sein (lineare Steuer) oder aber mit dem Anteil der Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt steigen (progressive Steuer).
Bei einem Steuersatz von 7,0 Prozent käme beispielsweise auf Deutschland bei einer Neuverschuldung von 4,0 Prozent seines aktuellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) <font color="#FF0000">eine Stabilitätssteuer von rund fünf Milliarden Euro zu</font>. Diese übersteigt zwar nicht die Strafe, die Deutschland bei gleicher Neuverschuldung auf Grund des gültigen Stabilitätspakts zu entrichten hätte. Trotzdem könnte sie die Inflationsgefahren in der Euro-Zone möglicherweise besser begrenzen als der Stabilitätspakt: Denn zum einen sieht die Stabilitätssteuer - anders als der Stabilitätspakt - jegliche Neuverschuldung eines Euro-Staates als Inflationsgefahr an, unabhängig davon, ob diese jenseits oder diesseits von 3,0 Prozent des BIP liegt. Im Unterschied zum Stabilitätspakt ist die Abschreckungswirkung der Stabilitätssteuer unabhängig von der Höhe der Neuverschuldung. Da alle Staaten entsprechend ihrem Beitrag zur Inflation der Stabilitätsbesteuerung unterliegen, werden sie nicht zu einer"Punktlandung" bei 3,0 Prozent des BIP verleitet, die ja ihrerseits selbst zur Inflation beitragen kann.
Zum anderen schließt die Stabilitätssteuer im Gegensatz zum Stabilitätspakt aus, dass Euro-Staaten hoffen können, trotz einer zu hohen Neuverschuldung"straffrei" zu bleiben. Während beim Stabilitätspakt der Europäische Rat die Strafen beschließen muss, werden Steuern ohne Beschluss automatisch erhoben. Kein Staat darf also erwarten, von anderen Staaten, die ebenfalls die Drei-Prozent-Grenze überschreiten, vor Strafzahlungen geschützt zu werden. Die Euro-Staaten müssen bei der Stabilitätssteuer mit Sicherheit davon ausgehen, dass eine höhere Neuverschuldung mit mehr Stabilitätssteuern verbunden ist. <font color="#FF0000">Wer sich verschuldet, hat den entsprechenden Steuersatz zu berappen</font>.
Nicht nur die Inflation könnte eine Stabilitätssteuer wirksamer bekämpfen als der Stabilitätspakt. Sie bringt wegen ihrer größeren Flexibilität weitere wirtschaftspolitische, demokratiepraktische und integrationspolitische Vorteile mit sich. Wirtschaftspolitisch hat die Stabilitätssteuer den Vorteil, dass sie den Euro-Staaten erlaubt, auch auf solche Krisen angemessen zu reagieren, die eine höhere Neuverschuldung nahe legen. Die Stabilitätssteuer weitet also die Handlungsfreiheit aus, die durch den Stabilitätspakt künstlich eingeschränkt wurde. In einer Beschäftigungskrise etwa stecken Regierungen nicht mehr im Dilemma, entweder mit einer höheren Neuverschuldung gegen den Stabilitätspakt zu verstoßen oder aber auf eine aktive Krisenbekämpfung zu verzichten. Sie können vielmehr gegen eine höhere Steuerlast eine höhere Neuverschuldung betreiben, um gegen die Beschäftigungskrise zu kämpfen. Der grundlegende Vorteil der Stabilitätssteuer gegenüber dem Stabilitätspakt liegt dabei nicht in einer gegenüber der Strafzahlung geringeren Steuerlast. Vielmehr wird eine höhere Neuverschuldung eines Staates, der gegen eine Beschäftigungskrise ankämpft, nicht von vornherein stigmatisiert. Er wird nicht bestraft.
Die Stabilitätssteuer bietet aber auch demokratiepraktische Vorteile. Die Euro-Staaten werden nicht von vornherein auf eine bestimmte Neuverschuldung festgelegt, sondern lediglich dazu angehalten, die Neuverschuldung einzugrenzen. Damit kann die Frage einer expansiven Fiskalpolitik Gegenstand des demokratischen Wettbewerbs bleiben. Regierungen sind nicht auf eine dem Austeritätsprinzip folgende Wirtschafts- und Finanzpolitik verpflichtet, sondern ihnen wird das Austeritätsprinzip lediglich als Grundlage ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nahe gelegt.
Die integrationspolitischen Vorteile der Stabilitätssteuer ergeben sich schließlich daraus, dass Steuerzahlungen weniger leicht anti-europäische Empfindungen entfachen als Strafen. Die EU kann in Wirtschaftskrisen, die nur durch eine höhere Neuverschuldung bewältigbar erscheinen, nicht mehr dafür verantwortlich gemacht werden, dass eine Krise unbewältigt bleibt. Kurzum: Die Gefahr, dass derartige Krisen instrumentalisiert werden, um anti-europäische Empfindungen zu schüren, scheint bei der Stabilitätssteuer letztlich geringer als beim Stabilitätspakt.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 13. Februar 2002, 06:01 Uhr
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