Popeye hat einen interessanten Link hier hereingestellt, zu dem ich nachstehend einige Bemerkungen verliere:
Der Aufsatz enthält - abgesehen von den im weiteren erörterten Gesichtspunkten - viele interessante Gedanken. Insbesondere der anthropologisch-historische Befund, daß es kaum Beweise für die noch heute weit herum vertretene Auffassung gibt, der Zins würde nach Maßgabe der Produktivität des geborgten Kapitals für den Ausleiher festgesetzt, verdient Interesse. Daß dies eine völlig abwegige Meinung ist, steht theoretisch seit langem fest.
Der Autor zeichnet zunächst die unstrittige Tatsache nach, daß sich das Phänomen der Zinsnahme in ökonomischen Schuldverhältnissen bis ins 4. Jahrtausend vor Chr. nachweisen läßt und zwar vornehmlich dort, wo sich die Wirtschaft am dynamischsten entwickelt hat (z.B. in Mesopotamien, wo es die Tempel-Banken waren, die für ihre Kapitalausleihungen ganz selbstverständlich Zinsen verlangten).
Die These des Autors allerdings, daß der Zins"zweifellos" aus dem Geschenketausch, aus dem Phänomen der Geldbußen, aus dem Brauch des Hochzeitsgeschenks und aus der Nachbarschaftshilfe hervorgegangen sei, erscheint mir indes als fragwürdig; jedenfalls liefert der Autor für diese Feststellung ("No doubt like trade and commerce, debt is found from the outset as gift exchange, restitution fines for personal injury, and bridal or related marriage arrangements as well as the omnipresent mutual aid.") nur dürftige Beweise: Er zitiert etwa u.a. Tacitus, der Kap. 26 seiner GERMANIA, tatsächlich mit der Bemerkung beginnt, daß Zinsnehmen bei den Germanen"unbekannt" war. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß die Germanen nach demselben Tacitus (ib. 5,14) überhaupt fast kein Geld in Gebrauch hatten. Ein kenntnisreicher Kommentator der Germania (H. Schweizer-Sidler in Eduard Schwyzer, Tacitus' Germania, Halle a.d.S. 1912; S. 58, FN 2) bemerkt deshalb:"[D]er ganze Satz [sei daher] im Grunde überflüssig und nur aus der beständigen vergleichenden Heranziehung der römischen Verhältnisse [durch Tacitus] zu erklären."
Ich darf daran erinnern, daß ich in meiner Auseinandersetzung mit XSurvivor über den Zins mehrfach darauf hingewiesen hatte, daß es auch in einer Naturalwirtschaft notwendigerweise zu einer Art Natural-Zins kommen müsse. Der genannte Kommentator der Germania des Tacitus setzt denn auch nach seiner erwähnten Bemerkung fort:"Daß übrigens auch auf einer Kulturstufe, deren Wertmesser die Kuh ist, Schuld- [und Zins-]Verhältnisse entstehen können, zeigen Zustände im alten Irland, wo die Häuptlinge überschüssige Beutekühe gegen bestimmte Leistungen gewöhnlich auf sieben Jahre an ärmere Freie überlassen, die dadurch oft zu Hörigen herabsinken."
Man darf deshalb auch einige Fragezeichen hinter die Behauptung Michael Hudsons anfügen, daß erst die"Standardisierung" und das"Silbergeld" der Tempel und Paläste im alten Sumer die Entwicklung des Zinses und damit die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft erlaubt habe. Ich halte diese Schlußfolgerung für diskussionsbedürftig und die noch viel weiter reichende Aussage des Autors, in der seine anthropologische Sicht des Zinses gipfelt, daß dies beweise, daß"Planwirtschaft" durchaus zu einer stabilen Gesellschaft führe, ist meiner Meinung nach abwegig. Hudson erliegt hier genau der Gefahr vor der er eingangs gewarnt hatte: daß nämlich heutige Verhältnisse in ein urgeschichtliches Umfeld projiziert werden.
Grüße
G.
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