<font size=5>Japanischer Höhenrausch</font>
In Tokio überbieten sich die Unternehmen mit neuen Wolkenkratzern
Angela Köhler
TOKIO, 10. März. Wer nach Tokio kommt, staunt und wähnt sich in einer riesigen Boom-City. Inmitten der schlimmsten Rezession nach zehnjähriger Wirtschaftsflaute wird in Nippons Metropole gebaut wie nie zuvor. Rund 100 neue Wolkenkratzer verpassen Tokio bis 2007 eine völlig neue Skyline. Als gäbe es keine Krise und Angst vor der Zukunft buhlen Japans Großkonzerne und Immobilienkönige um die größten Prestigeobjekte der Innenstadt. Weithin sichtbar und gerade bezugsfertig geworden sind die beiden"Atago-Türme" mit je 42 oberirdischen Etagen, mit denen die führende Immobilienfirma Mori die Innenstadtansicht verändert hat.
In zwei Jahren wird Mori mit dem"Roppongi-Hill-Komplex" ein weiteres Wahrzeichen setzen, auf dessen 11,5-Hektar-Areal ein 54 Stockwerke hoher Büroturm thronen wird. Rund fünf Milliarden Euro steckt der größte Tokioter Grundstücksbesitzer derzeit in 17 zentrale Gebäude der Metropole, die nach dem Willen des 67-jährigen Firmenpatriachen Minoru Mori endlich in großem Format in eine vertikale City umgebaut wird. In Schwindel erregende Höhen treibt es auch die Konkurrenz. Als kompletter Rohbau steht bereits das neue Marunouchi-Gebäude im gleichnamigen Banken- und Finanzdistrikt, mit dem die Mitsubishi-Gruppe nun ihre Nachbarn überragt.
Leichtbauweise aufgegeben
Gleich daneben am Tokioter Hauptbahnhof setzt Mitsubishi Real Estate gemeinsam mit mehreren Versicherungen eine neue"Firmenstadt" hin. Bis 2004 soll ein Verbund aus drei Bürogebäuden sowie einem Hotel- und Einkaufskomplex die Bauten in der Umgebung in den Schatten stellen. Nicht weit davon entfernt werden die Rivalen aus dem Hause Mitsui mit dem futuristischen"N 1 Projekt" in Nihonbashi ein neues Konzernsymbol setzen.
Alte Größe und Macht demonstriert Mitsui auch mit weiteren"ultramodernen Wolkenkratzern", die seit zwei Jahren in Toplagen der Innenstadt für gewaltigen Lärm und Umbruch sorgen. All diese Projekte werden jedoch vom Bauprojekt Shiodome ausgestochen. Auf 310 000 Quadratmetern des früheren Güterbahnhofs schießt ein gigantisches"New Tokio" mit zwölf Wolkenkratzern aus dem lange brach liegenden Gelände. Hier residieren Japans größte Werbeagentur Dentsu mit einem 48 Etagen hohen Koloss, Mitsui mit dem 43-stöckigen Shiodome-Center, das neue Hauptquartier der privaten Fernsehstation Nippon TV mit 32 sowie der Turm für die größte Nachrichtenagentur Kyodo mit 34 Etagen.
Der Drang nach oben und damit die völlige Abkehr von den bisher bevorzugten Minihäusern in Leichtbauweise ist auch im Wohnungsbau zu beobachten. Die neuen Apartmentgebäude in Tokio-City sind zwischen 30 und 50 Stockwerke hoch. Selbst die Furcht vor Erdbeben ist kein Thema mehr. Japanische Experten sind überzeugt, dass die modernen Hochhäuser den drohenden Naturgewalten standhalten können. Trotz der wirtschaftlichen Misere drehen sich die Baukräne überall in Tokio also weiter, noch ist keine einzige Investitionsruine zu sehen. Wie das funktioniert, können auch die Beteiligten nur schwer erklären.
Die Strategen der Firma Mori verweisen darauf, dass diese Projekte vor rund 15 Jahren begonnen wurden. Damals konnte oder wollte noch keiner wahrhaben, dass Nippons Wirtschaftsboom in erster Linie eine gewaltige Seifenblase war. Somit könnte der jetzige Baurausch auch das Ende des Höhenflugs sein - finanziert von den Steuerzahlern. Nur mit großzügigen öffentlichen Geldern - so mutmaßen europäische und amerikanische Experten - sind die Gewaltakte überhaupt bezahlbar geworden. Rund 1,3 Milliarden Euro schießt die Tokioter Stadtregierung allein zum"städtischen Entwicklungsprojekt" Shiodome zu. Großzügige Unterstützung räumen Vertreter der japanischen Entwicklungsbank auch für andere Großvorhaben ein, die"dem Wohl der Stadt dienen".
Gewaltiges Überangebot
Rechnen werden sich die Riesen zumindest absehbar nicht. Pessimistisch schauen Experten nicht nur auf die Grundstückspreise, die in Tokio seit zehn Jahren fallen. Sorgen bereiten auch die Dimensionen der Bauaktivitäten. Schon im Jahr 2003 dürften Tokios 23 Stadtbezirke mit zwei Millionen Quadratmeter Büroflächen ein gewaltiges Überangebot besitzen. Eine ähnliche Flut rollt auch auf dem Wohnungsmarkt heran. Allein 2002 kommen in den 48 großen Wohnkomplexen 24 000 Apartments auf den Markt. Viele Japaner, die in diesen unsicheren Zeiten im Prinzip gern in eine Immobilie investieren würden, warten deshalb lieber ab. Ihr Kalkül: Bei diesen Überkapazitäten müssen die Preise zwangsläufig weiter fallen.
Deflation pur?
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