Kommentar: Warum der Dollar abstürzt
Von Wolfgang Münchau
Ausländische Investoren waren der Motor des US-Booms. Jetzt ziehen sie sich zurück - mit gutem Grund.
An den Finanzmärkten setzt jetzt genau das Szenario ein, das ich vor einigen Monaten an dieser Stelle prognostiziert habe. In den USA bildet sich ein Teufelskreis der Staatsfinanzen und der Finanzmärkte: Japanische Investoren ziehen ihr Geld aus den USA ab, das Leistungsbilanzdefizit wird nicht mehr durch Wertpapierkäufe aus dem Ausland gedeckt; unabhängig davon fallen die Aktienmärkte, was die Investoren weiter verschreckt und den Dollar nach unten treibt. Wir sind noch längst nicht am Ende dieser Wirkungskette.
In den letzten zwei Wochen ist der Dow Jones um 5,1 Prozent, und der Dollar gegenüber dem Euro um 2,5 Prozent gefallen. Auch am Montag setzte sich der Abwärtstrend an einigen Börsen fort. Was wir hier erleben, ist ein klassischer Bärenmarkt: mittelfristige Tendenz nach unten mit starken Schwankungen.
Das US-Finanzministerium bestätigte in der letzten Woche, dass die Kapitalströme aus dem Ausland im ersten Quartal diesen Jahres stark gefallen sind. Im vergangenen Jahr hatten die USA ein Leistungsbilanzdefizit von 417 Mrd. $. Dem gegenüber standen Nettokäufe von US-Wertpapieren von 522 Mrd. $. Das Defizit wurde also nicht nur finanziert, sondern"überfinanziert". Das erklärt zum Teil die Stärke des Dollar im letzten Jahr.
Der Wind dreht
Anfang des Jahres änderte sich die Situation schlagartig. Auf den Monat umgerechnet benötigen die USA rund 35 Mrd. $ an Netto-Kapitalzuflüssen, um das Defizit zu finanzieren. Im Durchschnitt der ersten drei Monate haben Ausländer aber nur 31 Mrd. $ an Wertpapieren gekauft.
Gerade japanische Investoren - einst begeisterte Käufer von US-Papieren - ziehen sich immer stärker zurück. Im ersten Quartal haben die Japaner 7,7 Mrd. $ netto an Wertpapieren verkauft. Amerika ist somit jetzt ein Nettoexporteur von Kapital nach Japan. Die Europäer sind zwar noch Nettoexporteure von Kapital in die Vereinigten Staaten, kaufen aber weitaus weniger Wertpapiere als im vergangenen Jahr.
Einer der Gründe hierfür ist die schwache Performance der US-Börsen. Das wiederum liegt zum einen an den ohnehin schon Schwindel erregenden Bewertungen. Zum andern hat sich bei vielen Investoren die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Chance einer heftigen Dollar-Abwertung erheblich größer ist als die einer auch nur geringen Dollar-Aufwertung.
Zum anderen haben eine Reihe von Ereignissen in den letzten Wochen erhebliche Unsicherheit unter den Investoren ausgelöst: Der Bilanz- und Steuerskandal um Tyco-Chef Dennis Kozlowski und der noch längst nicht in Vergessenheit geratene Skandal um Enron lassen Investoren an der Glaubwürdigkeit veröffentlichter Bilanzen zweifeln. Gleichzeitig gibt es eine Reihe externer Unsicherheiten. Die Nachricht von Montag, dass das FBI einen Anschlag mit einer schmutzigen Atombombe vereitelt hat, verstärkt die allgemeine Unsicherheit noch. Investoren haben Angst, sie haben Zweifel, und darüber hinaus haben sie eine Reihe rationaler Gründe, sich aus den USA zurückzuziehen.
Die Rückkehr des doppelten Defizits aus Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit wird den Dollar über eine längere Zeit schwächen. Wir reden hier nicht von den Schwankungen um wenige US-Cent, wie wir sie in den letzten Tagen und Wochen erlebt haben, und die den Preis des Euro auf mittlerweile etwas über 94 US-Cent gebracht haben. Auch wenn der Euro mittlerweile weit von seiner Talsohle entfernt ist, bleibt er im Verhältnis zum Dollar noch unterbewertet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in nicht allzu ferner Zeit wieder eine Parität zwischen den beiden Währungen erleben werden. Dann kann es auch sein, dass der Euro kräftig aufwertet bis weit über 1,20 $, oder noch höher.
Wachstum ohne steigende Kurse
Es ist nicht leicht, Wechselkurse vorherzusagen. Es existiert noch kein allgemein akzeptiertes ökonomisches Modell, das dazu in der Lage wäre. Doch es steht fest, dass bestimmte Umstände, wie die Kombination eines hohen Leistungsbilanzdefizits und eines wachsenden Haushaltsdefizits, mit einer starken Währung unvereinbar sind.
Jetzt werden einige Leute einwenden, dass die relativ guten Konjunkturaussichten in den USA diese Entwicklung bremsen oder gar umkehren:"Wachstum erzeugt Börsengewinne", so hört man immer wieder. Das ist blanker Unsinn. Wer so argumentiert, versteht zu wenig von den Finanzmärkten. Zum einen ist die Erwartung einer kräftigen Konjunkturerholung in den jetzigen Preisen enthalten, sodass nur darüber hinausgehendes Wirtschaftswachstum einen kurssteigernden Effekt haben könnte. Des Weiteren ist längst nicht klar, dass höheres Wachstum unbedingt den Aktionären zu Gute kommt.
Es gab immer noch ein weiteres, allerdings gefährliches Argument für Marktoptimismus, nämlich überschüssige Liquidität. Die Kapitalfluss-Statistiken des US-Finanzministeriums zeigen allerdings, wie schnell Kapitalströme austrocknen oder sich umkehren. Auch in den USA selbst wird die Zentralbank nicht ewig den Geldhahn aufdrehen können, um überschüssige Liquidität im Inland zu erzeugen.
Somit handeln die Investoren, die sich jetzt aus den USA zurückziehen, rational. In den USA ist nichts mehr zu holen.
Ungekürzt aus der FTD vom 11.6.2002
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