Gerhard Feldbauer / Junge Welt / 18.06.2002
Ausland
<h1>Der mysteriöse Tod des Michele Landi</h1>
Italien: Steckt Geheimdienst hinter Ermordung des Regierungsbeamten Biagi?
Ende März hatten die italienischen Gewerkschaften in Rom zu einer Massendemonstration gegen den Demokratie- und Sozialabbau der Regierung von Silvio Berlusconi aufgerufen. Als vier Tage vorher der Regierungsbeamte Marco Biagi in Bologna angeblich von neuen »Roten Brigaden für den Kommunismus« erschossen wurde, drohte die Manifestation zu scheitern. Berlusconi und sein lnnenminister Scajola bezichtigten die Gewerkschaften sofort der Mittäterschaft. Der Aufzug und ein angekündigter Generalstreik lägen auf derselben Linie wie der Terror der neuen Roten Brigaden. Die Organisatoren blieben jedoch standhaft und die Demonstration gestaltete sich mit drei Millionen Teilnehmern ebenso wie der folgende Generalstreik zu einer unüberhörbaren Kampfansage an die Regierung und brachte auch den Versuch einer Neuauflage der berüchtigten Spannungsstrategie der 70er und 80er Jahre zum Scheitern.
Der Mord an Biagi aber erscheint nun mehr und mehr als eine Provokation des Inlandsgeheimdienstes SISDE. Die Fakten: Als Beweis für die angebliche Ermordung des Regierungsbeamten durch die Roten Brigaden wurde ein 26 Seiten langes Bekennerschreiben vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft beauftragte den Informatikexperten Michele Landi, in einer Computerrecherche die Identität des angeblichen Bekenner-Mail festzustellen. Dieser stieß offensichtlich bei seinen Untersuchungen auf ganz andere Täter als die Roten Brigaden. Nach Vorlage seines Berichts wurde Landi am 5. April in seiner Wohnung in Rom tot aufgefunden. Obwohl die gerichtsmedizinische Untersuchung Fremdeinwirkung nicht ausschloß, teilte das Innenministerium umgehend »Selbstmord durch Erhängen« mit. Mehrere Personen bezeugten, daß Landi vor seinem Tod die Echtheit des »Bekenntnisses« der Roten Brigaden bestritten und von »wichtigen Entdeckungen« gesprochen hatte, die einen der Hauptverdächtigen entlasteten. Freunden hatte er zudem anvertraut, er werde beschattet.
Nachdem die Familie des Toten bei der Staatsanwaltschaft Mordanzeige erstattet hatte, erschütterten weitere Untersuchungsergebnisse die Selbstmordbehauptung. An der Leiche gefundene Fasern stammten nicht von dem in der Wohnung gefundenen Seil, mit dem sich Landi erhängt haben soll. Ferner wurden Haare gefunden, die weder von dem Toten noch Freunden oder Verwandten stammten. Der mit der Untersuchung befaßte Staatsanwalt Matassa, erklärte unumwunden, daß der Geheimdienst den Selbstmord Landis inszeniert hat, da dieser mit seinen Untersuchungsergebnissen zur vermeintlichen linksextremistischen Terrorszene zu einem Sicherheitsrisiko geworden sei. lnnenminister Scajola trat darauf hin im Fernsehen den Ermittlungsergebnissen entgegen, erklärte, es sei unverändert von Selbstmord auszugehen und forderte von den Medien, sich zurückzuhalten.
Die Drohung zeigte Wirkung. Die Medien schwiegen, von Ausnahmen wie der Liberazione oder Il Manifesto abgesehen mehrere Wochen. Der Schriftsteller Umberto Eco bezeichnete das als einen Ausdruck dafür, daß Pressezensur herrsche und der Regierungschef »die Medien manipuliert«.
Mitte Mai wurden weitere Untersuchungsergebnisse bekannt, welche die Selbstmordbehauptung des Innenministers widerlegten. Danach zeigten sich am Hals des Opfers Verletzungen durch Fremdeinwirkung. Außerdem stand Landi zum Zeitpunkt des Todes unter derart schwerer Alkoholeinwirkung, daß eine eigene Erhängung nahezu völlig ausgeschlossen war. Schwerwiegendstes Indiz: Eine von Landi geführte Geheimdatei über seine Recherche-Ergebnisse zum Mord an Biagi war in seinem Computer gelöscht worden.
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