>>... was wäre wohl dabei herausgekommen, wenn
>>die brilliantesten Denker auf unserem
>>Planeten im Jahre 1930 zusammengesessen hätten,
>>um eine globale wirtschaftliche/soziale/kulturelle
>>Prognose für für die kommenden 15 Jahre abzugeben?
>>Hätten sie auch nur annähernd die Entwicklungen vorhersagen
>>können?
>>Ist der weitere Verlauf der Geschichte nicht völlig
>>unbestimmt?
>>Könnte es nicht sein, daß Geschichte manchmal bewirkt, daß
>>sich Geschichte nicht wiederholt?
>>
>>Rebecca
>>
>Liebe Rebecca,
>sehr interessante Fragen, vielen Dank.
>Geschichte als"Gesamtgeschichte" muss sich nicht wiederholen, aber Wirtschaftsgeschichte. Sie zeigt stets die gleichen Muster: Expansion-Implosion, Hausse-Baisse, Boom & Bust, Zyklen, Euphorie, Angst, Gier, Panik, Umverteilung, Überschuldung, soziale Unruhen, Umsturz, usw. Die Wirtschaftsgeschichte ist mit ziemlicher Präzision vorherzusagen, wenn auch auf der Zeitachse immer"Spielräume" bleiben.
>Das liegt daran, dass das Wirtschaften nicht jeden Tag neu beginnt, sondern ein steter Fluss ist. Und wie bei einem Fluss weiß man also wie es weiter gehen muss. Der Fluss verschwindet nicht. Er geht von der Quelle zum Meer. Und vom Meer über den Regen wieder zur Quelle. Das schöne Wort"Kreislauf" macht also durchaus Sinn. Allerdings läuft nicht alles im stets gleichen Kreis, sondern Du musst es Dir als Spirale vorstellen und wenn Du magst, diese auch noch im Raum, also nach oben oder unten. Spirale einwärts: Es wird weniger produziert, weniger Löhne, weniger Kaufkraft, weniger Nachfrage, weniger Produktion, usw. Sich ausdehnende Spiralen sind das Gleiche, nur mit einem"mehr" davor.
>Ein Mehr an einer Stelle führt automatisch zu einem Mehr an der nächsten Stelle, ebenso ein Weniger. Wir müssen also nur nach den Stellen suchen, wo das Mehr oder Weniger entsteht, bzw. verursacht wird. Da kommen einige Stellen zusammen, die sich aber ebenfalls meist gegenseitig bedingen und beeinflussen, z.B. hohe Zinssätze -> Abschreckung -> weniger Nachfrage -> weniger Produktion -> weniger Investition -> weniger Arbeitsplätze -> schlechtere Stimmung -> weniger Kredite -> sinkende Zinssätze -> aufkeimende Hoffnung -> zusätzliche Kredite -> mehr Nachfrage - also der klassische Zyklus.
>Aus dem Ganzen lassen sich grafische Bilder ableiten, die in Wellenform verlaufen. Die Wellen können kurz sein, mittelfristig, sehr langfristig sogar. Stichworte: Kitchin, Juglar, Kondratieff. Diese Herren haben dies entdeckt. Auch die gern belächelten Elliott-Wellen gehören hierher. Ihnen liegt nicht so sehr ein stringentes oder leicht erkennbares Zeit-, sondern ein massenpsychologisches Muster zu Grunde. Rauf und Runter bewegen sich Schüben, die, da sie sich - auch in ihren Relationen untereinander - in ziemlich vielen natürlichen Strukturen finden, so etwas wie ein"Gesamtprogramm" der Natur darstellen dürften. Auf den betreffenden Seiten im Web, z.B. Elliott-Waves findest Du sehr aufschlussreiche Darstellungen und Ergebnisse.
>Die Wellen können sich an kritischen Punkten überlagern, woraus dann eine enorme Wucht in beiden Richtungen entsteht. Die Zukunft lässt sich in der Wirtschaft, die bekanntlich über Zeit läuft, immer aus der Vergangenheit ableiten, die"Gegenwart" ist ein Nichts dazwischen.
>Steigen die Bestellungen, muss über kurz oder lang die Produktion steigen. Werden neue Kredite gewährt, muss die Nachfrage steigen, denn einen Kredit lasse ich nicht auf dem Konto sehen, sondern verwende ihn zu irgendetwas. Die Käufe müssen nicht im produzierenden Realsektor erfolgen, sie können auch ganz und gar in die Finanzwelt gehen oder in wenig oder nichtproduktive, also ertragbringende Dinge (Sammlungen, Edelmetalle usw.).
>Vor allem: Haben wir eine bestimmte Kreditsumme, haben diese Kredite Fälligkeiten. Wir wissen also schon im Voraus ganz genau, wie viel wann mindestens fällig ist. Denn zwischendurch können auf diesen Termin gerichtet weitere Kredite entstanden sein.
>In der Ã-konomie wurden dieser Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Zukunft schon früh erkannt, z.B. vom Franzosen Quesnay im 18. Jh., dann dem Engländer Say eingangs des 19. Jh., dann sehr ausführlich von Marx ("Circulation des Kapitals") und anderen (Walras). Im vorigen Jh. wurde dann daraus die"Input-Output"-Analyse, die jedem Input an irgendeiner Stelle einem Output an anderer Stelle zuordnete. Letztlich hieß das aber nur, dass ein Kauf auch ein Verkauf ist.
>Diese Sicht hat in der Tat zwei gravierende Mängel. Einmal: Sie blendet das Zeit-Moment aus. Alles findet sozusagen"gleichzeitig" statt, was leicht erkennbar nicht der Fall ist. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger wird es, da Zeit immer irgendetwas kostet. Daraus resultieren Termindruck, Stress usw. Auch Silvio Gesell hat mit seinem Freigeld-Vorschlag versucht, die Verzögerung zu eliminieren. Sein Freigeld-Vorschlag läuft darauf hinaus, die Zeit, die Probleme schafft (Waren bleiben liegen, Händler kommen in Schwierigkeiten, Arbeit wird später angefordert) mit Hilfe der Umlaufsicherung zu verkürzen, die zwischen den einzelnen"Stationen" verstreicht.
>Zweiter Mangel: Die Finanzsphäre wurde vergessen. Es gibt keine"Kreislauftheorie" der Kredite, die letztlich die Finanzsphäre definieren. Auch eine Kreislauftheorie des Geldes existiert nicht. Geld wird sozusagen als stets"irgendwie" vorhanden betrachtet. Deshalb wird Geld auch gern als"Menge" gerechnet so wie Sachen oder Dinge in Mengen gemessen werde. Tatsächlich aber ist Geld ein Schuldtitel. Und bei Schulden rechnet man in Summen, in Terminen und Fälligkeiten. Eine Sache hat keine Fälligkeit. Niemand würde von einer Pfandbrief-"Menge" sprechen oder von einer Staatsanleihen-"Menge". Geld kommt aber aus der Notenbank nur gegen die Verpfändung von Pfandbriefen oder Anleihen (Schuldverschreibungen) u.ä. Titeln.
>Früher waren Pfänder stets Sachen, inzwischen sind es Forderungen, alias Schulden bzw. Schuldtitel. Das Überschreiten der Grenze zwischen Sache und Schuld ist das Kennzeichen der heutigen Wirtschaft. Und ihr Fluch.
>Was allen Schulden bzw. gleich hohen Forderungen als Sachen, entweder vorhanden oder noch zu produzieren, inzwischen als reale"Deckung" zur Grunde liegt, ist winzig geworden im Vergleich zu dem, was als Forderungen vorhanden ist. Entsprechend gigantisch sind die"Umsätze" in der Finanzsphäre verglichen mit denen der Realsphäre. Etwa 30: 1. Die Umsätze der Finanzsphäre dienen inzwischen fast nur noch dazu, die Ausübung der Forderungen, die sich dann auf konkrete Sachen, Waren, Dinge richten würde, immer weiter hinaus zu schieben. So kommt es zu immer gigantischeren Prolongationen, Aufschuldungen und Hochbuchereien.
>Irgendwann kommt allerdings der Tag der Wahrheit. Dann müssen entweder die Forderungen auf die Güterwelt losgelassen werden (Hyperinflation). Oder die Forderungen werden als"nicht realisierbar" ausgebucht (schwere Deflation). Dazwischen bewegt sich das Ganze auf immer schmalerem Grad. In die eine oder andere"Lösung" muss es abkippen.
>Die heiß diskutierte Frage, was denn nun"kommt", Inflation oder Deflation, ist müßig. Denn es geht nur darum, was zuerst kommt.
>So wie das System angelegt ist, führt an der zeitlichen Priorität der Deflation kein Weg vorbei. Zuerst müssen Forderungen in immer größeren Summen uneinbringlich werden (Prozess läuft weltweit auf hohen Touren), bevor von der Politik"umgeschaltet" wird und letztlich alle Forderungen (und en masse neu fabrizierte - Stichwort: Notenpresse) zu"Geld" erklärt werden.
>Geld hat - als"Geld" - ebenfalls einen Kreislauf: Von der Notenbank zur Bank, von der Bank zum Kunden, vom Kunden an die Bank, von der wieder an die Notenbank. An die Notenbank muss immer mehr"Geld" zurück gegeben werden, als von ihr gekommen ist, was von Bankmaus schön dar gestellt wurde. In der Finanzsphäre herrscht ein eisiger Wind. Nur aus ihr leiten sich Erfüllungszwang, Liquiditätsdruck oder Vollstreckung ab.
>Ein Geschäftsmann, der außerhalb der Finanzsphäre arbeitet, also nur produziert und keine Verbindlichkeiten hat, kann notfalls auf den Absatz seiner Waren verzichten. Ihm"passiert" nichts. Hat er aber mit Krediten gearbeitet, muss er absetzen. Denn ohne Absatz kann er nicht die Mittel finden, die er zurückzahlen muss. Findet er sie nicht, wird in ihn vollstreckt und er verliert seien Existenz.
>Der Ablauf ist einstweilen noch zwangsläufig, es sei denn es wird immer weiter hochgebucht, bis ins Aschgraue, was aber auch nicht hilft. Denn die immer neu zur Schuld geschlagenen Zinsen sind nur gezeigte, aber nicht bezahlte (gegen Warenabforderung getilgte) Zinsen.
>Das System kann die Zinsen immer weiter zeigen und in Höhe der Zinsen neue Schulden machen. Dazu hat der Staat, als Letztschuldner dann, jegliche Macht, die er bekanntlich fleißig weiter ausbaut. Der Staat wird stets die Mittel und Wege finden, nicht leisten zu müssen. Die Konsequenz daraus ist die totale Abhängigkeit aller, die wirtschaften, vom"staatlichen" Backing. Es gibt heute kaum noch wirtschaftliche Tätigkeit"als solche", sondern sie wird subventioniert, siehe die aktuelle Existenzgründer-Darlehens-Diskussion. Alles wird inzwischen subventioniert: Löhne, Renten, Einstellung von Arbeitslosen, Aufnahme von Produktion, Investitionen, usw.
>Kommen größere private Schuldner in Probleme, werden sie"gerettet" (Staatsbürgschaften, siehe Berliner Bankgesellschaft, Staatszuschüsse, siehe Werften in der EU, auch Schutzzölle, siehe US-Stahl, usw.). Auch der hinter jedem Kredit, jeder Schuld lauernde Zwang, wird immer mehr aufgeweicht (Insolvenzrecht, Bilanzrecht). So geht allmählich jeder Druck flöten und alle warten nur noch auf den nächsten Scheck des großen Wohltäters. Am Ende stünden alle auf der Payroll des Staates und wer bezahlt, schafft an - eine (nicht-kommunistische) Staatswirtschaft par excellence. Ein elendes Dahinsiechen von Wirtschaft und Gesellschaft ist die logische Folge.
>Doch nun zu Deinen eigentlichen Fragen und sorry für den langen Exkurs.
>Natürlich gab es kluge Leute, die schon in den 1920er Jahren das Desaster kommen sahen. Ich darf an den Zürcher Bankier Felix Somary erinnern, der alles ganz präzise vorher gesehen hatte. Die meisten"klügsten Leute des Planeten" beschäftigten sich damals mit Larifari. Der Verein für Socialpolitik, das Obergremium aller deutschen Ã-konomen hielt beim Ausbruch der Krise eine Tagung ab, die sich mit der Reform der Arbeitslosenversicherung beschäftigte. Andere beteten alles gesund, wie der damals führende US-Ã-konom Irving Fisher, der mit heutigen Kollegen zu vergleichen ist (z.B. Rüdiger Dornbusch:"Streichen Sie das Wort Rezession aus Ihrem Wortschatz!", ähnlich Arthur Laffer u.v.a.m.). Es war schon damals schwer, sich das Phänomen der Überschuldung (Deutsches Reich!) mit all ihren wirtschaftlichen, sozialen und schließlich politischen Folgen vorzustellen.
>Heute leider eine Doublette dazu. Es wird zwar immer gesagt, Japan müsse"reformieren" ohne aber mitzuteilen, was dies konkret heißen soll. Konkret würde es heißen: Alle Banken gehen in Konkurs, der Staat gleich mit, die Bank of Japan ebenso, die Sparer verlieren ihre Guthaben, die Rentner ihre Einkommen, usw. Inzwischen sind die Überschuldungen (= Unmöglichkeit zur Leistung des"Geforderten" aus existenten Gütern oder laufendem BIP) in den meisten Ländern so gewaltig, dass ein größerer Einzel- oder Gruppen-Konkurs die gesamte Wirtschaft in den General-Konkurs reißen würde. Für China hat das Tobias im EW-Forum gerade subtil dargestellt, mit Zitaten aus dem in solchen systemkritischen Fragen unverdächtigen Handelsblatt.
>Was hätte man aus der Geschichte lernen können? Man hätte den hinter uns liegenden Ablauf möglichst früh stoppen müssen, angefangen bei dem durch massive Staatsverschuldung der 1970er Jahre (die damals als"Krisenbekämpfung" gedacht war) verursachten Inflationsschub. Die Krise hätte also durchgestanden werden müssen (Konkurse, Ausbuchung fauler Kredite usw.). Nach dem Ende der Sachwert-Hausse (Gold > 800 $ / oz.) musste zwangsläufig die Disinflation kommen und mit ihr die Finanztitel-Hausse. Ich bitte zu bedenken, dass sich die Kurse der US-Staatspapiere mehr als verdoppelten (wirkt wie Zinssenkung) und diese Finanz-Lawine musste die Wertpapiermärkte immer weiter anheizen.
>Greenspan hat erst 1996 von der"irrational exuberance" der Börsen gesprochen, aber weder er noch der Staat haben sie rechtzeitig verhindert. Die Notenbanken hätten ihre"Zinssätze" massiv erhöhen müssen, die Staaten die Aktiengewinne sofort abschöpfen. Aber man ließ den Ballon immer weiter aufpumpen. Dieser"Blow-off" war so typisch in seinem Verlauf, dass man die Kurskurven von 1929 (oder früheren Manien) fast deckungsgleich darüber legen kann. Südsee-Schwindel - Mississippi-Schwindel - 1929 - Japan - Nasdaq - Dow - Dax - Euro-Stoxx: stets der exponentielle Anstieg, dann die kurze Spitze (es gibt niemals"Stabilität auf hohem Niveau"!) und der Absturz in den bekannten Schüben.
>Und immer folgt dem Absturz der Finanztitel die schwere Krise im"realen" Sektor. Erst einige, dann immer mehr fühlen sich"ärmer", die Stimmung trübt ein, und es geht ab in die Krise, die ihren ersten Höhepunkt in einer Bankenkrise hat, ganz logisch, warum, und danach in die Depression mündet, wobei es keine Rolle spielt, ob den Banken das Hochbuchen erlaubt wird oder ob sie fallieren: Sie können keine Kredit mehr vergeben, und ohne Kredit läuft die Chose nicht und was sie an Zinsen"gut" schreiben, verpufft völlig, siehe oben.
>Jeder hat zwar"Guthaben", aber das"Gut", das er"haben" könnte, existiert nicht - es sei denn zu explodierenden Preisen. Das verhindert das System, welches die Guthaben immer weiter"einsperrt" so wie es die Zinsen immer nur zeigt.
>Damit sich Geschichte nicht wiederholt, müsste sie - einschließlich des diesmaligen zwanghaften"Durchlaufs" - komplett aufgearbeitet werden, konkret: Das Kredit-, Geld-, Zins- und Schuldenphänomen müsste in aller Ausführlichkeit diskutiert werden. Ich sehe niemanden, der dazu Kraft und Mut hätte. Denn das wäre eine Grundsatzdebatte über das menschliche Miteinander überhaupt.
>Die würde in die Generaldebatte über Reich und Arm, über Verteilung und Umverteilung, über Staatsmacht und privates Wirtschaften usw. münden. Über das"Geld der Zukunft" sowieso.
>In der Geschichte wird aber niemals diskutiert, sie ist auch nicht die Couch des Psychiaters. In der Geschichte wird gehandelt. Je später, desto dramatischer. Und dass sich alles immer mehr"zuspitzt", ist nun jeden Tag zu sehen. Geschichte wiederholt sich so lange, bis wir bereit sind, aus ihr zu lernen. Die Chancen dazu: ziemlich klein.
>Schönen Dank für die Lese-Geduld. Plus herzlichen Gruß!
>Baissier
>Und immer schööön vorsichtig bleiben. Wie schnell es gehen kann, zeigt dieses Bildchen (Hinweis darauf ebenfalls von Tobias):
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Quelle
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