Bisher habe ich diesen Laden für einen Fels in der Brandung gehalten. Dem scheint anscheinend nicht so zu sein.
„Mit 1,23 Milliarden Euro brutto war Holtzbrinck im vergangenen Jahr verschuldet - bei einem Gesamtumsatz von 2,4 Milliarden und 47,7 Millionen Euro Verlust.“
„geplante Aufstockung des Kreditrahmens mit der Dresdner Bank von rd. 80 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro werde voraussichtlich nicht realisiert werden können“
„Vorbehaltlich einer Kreditverlängerung sei das Unternehmen nun immerhin bis Ende des Jahres" flüssig.“
„die West LB, die sich ihren Kapital-Einsatz mit zwölf Prozent teuer verzinsen lässt,“
12%!!!! Da ist ja sogar das Überziehen vom Girokonto billiger...
Der ganze Artikel...
Dokument des Grauens
Im Juli will der Stuttgarter Holtzbrinck-Konzern den Berliner Verlag mit dem kränkelnden Hauptstadtblatt"Berliner Zeitung" übernehmen. Ein riskantes Unterfangen: Interne Unterlagen belegen, dass die Krise des schwäbischen Medienhauses weitaus gravierender ist als bislang bekannt.
Schon seit Monaten hatten sich die Mitarbeiter der"Berliner Zeitung" daran gewöhnt, mit allem zu rechnen. Kürzungen, Entlassungen, Verkaufspläne - sicher war bei dem einst so ambitioniert gestarteten Hauptstadtblatt des Hamburger Großverlags Gruner + Jahr ("Stern","Geo","Brigitte") nur eines: dass nichts mehr sicher war. Bis auf den Schwund in der Abonnentenkartei. Der lag zuverlässig bei mehreren hundert - Monat für Monat.
Seit vergangenem Mittwoch, seit einer kurzfristig anberaumten Betriebsversammlung, herrscht nun zumindest etwas Klarheit im Verlagsgebäude am Alexanderplatz. Denn kurz nach Redaktionsschluss hatte dort ein Mann seinen Auftritt, der meist im Verborgenen wirkt: Michael Grabner, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung des Stuttgarter Holtzbrinck-Konzerns ("Zeit","Handelsblatt", Rowohlt).
Gut gelaunt warb der gebürtige Ã-sterreicher für einen Deal, der sich zwar schon im Frühjahr vergangenen Jahres abzeichnete (SPIEGEL 23/2001), von allen Beteiligten aber bis zuletzt heftig dementiert wurde: Die Schwaben, die in der Hauptstadt das stetig schwächelnde Renommierblatt"Tagesspiegel" verlegen, übernehmen den Berliner Verlag - und damit auch die"Berliner Zeitung", den lästigsten Konkurrenten im lokalen Zeitungskrieg.
Doch wider Erwarten wurde der Holtzbrinck-Mann wie ein Retter begrüßt. Am Ende gab es sogar Lacher und Applaus. Grabner hatte die Charme-Offensive gewonnen, obwohl er ausdrücklich"keine Arbeitsplatzgarantie" abgeben wollte.
Gut möglich, dass ihm das solide Image des schwäbischen Traditionskonzerns bei seinem Auftritt geholfen hat. Der gilt in der Branche als ein zwar knauseriger, aber weltoffener, liberaler Verlag, der nicht nur auf die Rendite achtet - sondern vor allem auf Qualität.
Und so mochte auch niemand so recht nachfragen, wie man aus dem"Tagesspiegel", der allein im vergangenen Jahr 8,4 Millionen Euro Verlust produzierte, und der"Berliner Zeitung", die im gleichen Zeitraum fast 3 Millionen Euro verloren hat, wohl ein profitables Unternehmen basteln könnte.
Und auch eine zweite Frage wurde nicht gestellt: Kann sich Holtzbrinck den Deal überhaupt leisten? Ein Konzern, dessen einstiger Renditebringer, die Düsseldorfer Handelsblatt-Gruppe, 2001 fast 20 Millionen Euro Verlust produziert - statt knapp 50 Millionen Gewinn wie im Jahr davor. Ein Konzern, der in den letzten Wochen und Monaten mehrere Objekte wie die"Telebörse" oder die Internet-Suchmaschine"Infoseek" einstellen musste und mit einem drastischen Personalabbau verzweifelt versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen.
Fragen, die nicht gestellt wurden und die vermutlich auch niemand beantwortet hätte. Für ein Kommunikationsunternehmen ist der schwäbische Familienkonzern ausgesprochen verschwiegen.
Er hat auch allen Grund dazu. Denn interne Unterlagen, die dem SPIEGEL vorliegen, belegen, dass sich Holtzbrinck in einer schweren Krise befindet.
Vor gut einem Jahr hat Stefan von Holtzbrinck, 39, das Unternehmen von seinem Halbbruder Dieter, 60, übernommen, der in 20 Jahren aus einem deutschen Presse- und Verlagshaus einen internationalen Konzern aufgebaut hatte. Doch die schwäbische Erfolgsgeschichte ist zu einem plötzlichen Halt gekommen. Das Klima ist eisig geworden, einstige Renommierobjekte schreiben rote Zahlen, und das Unternehmen ächzt unter einem gewaltigen Schuldenberg.
Im Januar hatte Eberhard Köbe, der Abteilungsleiter Finanzen, die Führungskräfte in seinem"Finanzbericht" alarmiert,"die Liquidität der Verlagsgruppe" sei lediglich"bis Ende März gesichert". Drei Monate später konnte - nach offenbar hektischen Verhandlungen mit den Banken - Köbe im April 2002 eine leichte Entspannung melden. Vorbehaltlich einer Kreditverlängerung sei das Unternehmen nun immerhin"bis Ende des Jahres" flüssig."Erstmals", so hatte Michael Grabner in einem internen Vermerk an Stefan von Holtzbrinck ("SvH") schon Anfang Januar notiert, gebe es Anlass zu"'ernsteren' (...) Gesprächen mit den kreditgebenden Instituten".
Offenbar sind die Banken zunehmend nur noch bereit, kurzfristige, teurere Kredite zu geben."In dem Anstieg der kurzfristigen Finanzschulden", heißt es im Bericht der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young,"spiegelt sich sowohl die Verschlechterung der Betriebsergebnisse (...) als auch eine Verkürzung in den Vertragslaufzeiten bei Bankkrediten wider". Mit 1,23 Milliarden Euro brutto war Holtzbrinck im vergangenen Jahr verschuldet - bei einem Gesamtumsatz von 2,4 Milliarden und 47,7 Millionen Euro Verlust.
Köbes monatliche Berichte blieben düster. So musste er dem Vorstand im April mitteilen, die"geplante Aufstockung des Kreditrahmens mit der Dresdner Bank von rd. 80 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro" werde"voraussichtlich nicht realisiert werden können, bzw. nur in stark modifizierter Form und betragsmäßig geringer".
Die Vorsicht der Banker ist verständlich: Eine Aufstellung der Gewinne und Verluste der einzelnen Unternehmensbereiche des Konzerns, der traditionsgemäß nur seinen Gesamtumsatz veröffentlicht, liest sich wie ein Dokument des Grauens.
So machten allein die Verlagsgruppe Handelsblatt, der"Tagesspiegel" und"Die Zeit" zusammen ein Minus von 27 Millionen Euro. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2002 setzte sich der Trend mit einem Verlust von 12,3 Millionen Euro ungebrochen fort.
Nicht besser sieht es in der deutschen Verlagssparte aus, in der Holtzbrinck mit S. Fischer, Rowohlt, Droemer und dem erst vor gut einem Jahr vollständig übernommenen Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch inzwischen zum Branchenzweiten aufgestiegen ist. 2001 hat Holtzbrinck hier ein Minus von 10,6 Millionen Euro verbucht, von Januar bis Mai 2002 ist bereits ein Fehlbetrag von 7,7 Millionen Euro entstanden.
Auch die elektronischen Medien produzierten 2001 mit 14,3 Millionen Euro hohe Verluste.
Gute Nachrichten kommen von den Holtzbrinck-Regionalblättern wie der"Saarbrücker Zeitung", dem"Trierischen Volksfreund" und dem"Südkurier" aus Konstanz. Zusammen steuerten sie im vorigen Jahr 23,2 Millionen Euro zum Ergebnis bei; mit einem Plus von 16,5 Millionen Euro von Januar bis Mai ist ihnen auch ein guter Start ins neue Jahr gelungen. Ebenso wie dem traditionell starken internationalen Bildungs- und Wissenschaftsbereich, der in diesem Jahr bisher zwar noch im Minus, aber dennoch mit 5,3 Millionen über Plan liegt.
Doch die wenigen guten Zahlen reichen lange nicht aus, denn seit Anfang des Jahres wird die Lage immer schwieriger: Bis einschließlich Mai errechneten die Controller in der Firmenzentrale, einem tristen Betonklotz im bürgerlichen Stuttgarter Wohnquartier Gänsheide, bereits ein Minus von 65,5 Millionen Euro. Kein Wunder, dass der vertrauliche Monatsbericht zu einem ernüchternden Ergebnis kommt:"Völlig unbefriedigend" seien die Mai-Geschäfte verlaufen, das Betriebsergebnis gerate"weiter unter Druck".
"Die Zahlen wirken deutlich schlimmer, als sie sind", sagt Stefan von Holtzbrinck,"denn einerseits liegen alle Bereiche bis auf das 'Handelsblatt' im oder über Plan, andererseits werden wir in dem für die Medienbranche typischerweise starken zweiten Halbjahr unsere Planung von 70 Millionen Euro Gewinn erreichen."
Dass die Lage mehr als schwierig ist, hatte Holtzbrinck-Manager Grabner bereits im Januar erkannt. In einem streng vertraulichen Vermerk ("nur für SvH bestimmt") an seinen Chef ist von einer"operativ-faktisch als auch emotional-psychologisch nicht einfachen bis sogar schwierigen Situation in der Holding und für SvH" die Rede. Und so liefert das 14-seitige Papier vom 8. Januar 2002 eine"Zusammenfassung der ersten acht gemeinsamen Monate und einige strategische Ansätze".
Neben einem"generellen Umsetzungs- und Strategieproblem" ("Zu viel Strategie am falschen Platz, zu wenig Umsetzung im operativen Bereich") sieht Grabner für Holtzbrinck ein weitaus gravierenderes, grundsätzliches Dilemma: Um im Konkurrenzumfeld mithalten zu können, sei"geordnetes und zügiges Wachstum notwendig"; dafür indes brauche man"erhebliche Finanzmittel", die"aus der derzeitigen Sicht und Position der VG (Verlagsgruppe -Red.) nicht über den Cash flow bzw. zusätzliche Kreditaufnahme finanziert werden können".
Wie also sonst könnte Wachstum finanziert werden? Der Holtzbrinck-Deal mit der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr liefert die Antwort: mit einem Tausch. Die Stuttgarter übernehmen den Berliner Verlag, der mit über 150 Millionen Euro bewertet wird, ohne dass Geld fließt.
Stattdessen geben sie ihren 47-Prozent-Anteil am Nachrichtensender N-tv, ihre TV-Produktionsgesellschaft TV-Media ("Handelsblatt-Ticker","Telebörse") und ihre umfangreichen und hochprofitablen Radiobeteiligungen ab - an die Bertelsmann-Tochter RTL.
So zumindest ist es geplant, doch noch ist fraglich, ob der Handel überhaupt zu Stande kommt. Denn die Holtzbrincks haben 38 Prozent ihrer N-tv-Anteile der Düsseldorfer West LB übertragen, die es den Stuttgartern im Gegenzug im vergangenen Jahr ermöglichte, ihren Anteil bei N-tv für 110 Millionen Mark aufzustocken.
In der Ã-ffentlichkeit ist die West LB, die sich ihren Kapital-Einsatz mit zwölf Prozent teuer verzinsen lässt, bisher nicht in Erscheinung getreten - ihr Anteil wird treuhänderisch von Holtzbrinck gehalten.
So unsicher der Tausch-Deal mit Bertelsmann noch ist, so unsicher ist auch die Zukunft des Berliner Verlags. Bisher hatte sich das Kartellamt gegen eine Übernahme durch Holtzbrinck gesperrt. Und so hat Gruner + Jahr vertraglich das komplette Kartellrisiko auf die Stuttgarter abgewälzt. Sie müssen nun einen neuen Käufer für die"Berliner Zeitung" finden, wenn sich das Kartellamt quer stellt.
Bei den bisher so erfolgsverwöhnten Holtzbrinck-Mitarbeitern ist der Kurs des neuen Führungsduos Grabner und Stefan von Holtzbrinck heftig umstritten. Besonders der Tausch von Tafelsilber, wie den Radiobeteiligungen und der Verkauf der Druckereien Claussen & Bosse und Franz Spiegel Buch, sorgt für Unruhe.
"Unsere wenigen Ertragsbringer werden unter Preis verschleudert", klagt ein Manager. Allein ein Grundstück von Franz Spiegel in Ulm sei rund fünf Millionen Euro wert gewesen, der Käufer habe es sofort veräußert und damit den Kaufpreis der Druckerei fast refinanziert."Druckereien gehören bei Buchverlagen in keinem Land der Welt zum Kerngeschäft", sagt Holtzbrinck,"und dass wir unseren Radiobereich verkaufen wollten, ist für Insider schon lange kein Geheimnis."
Auch beim Verkauf des US-Verlags Hanley & Belfus ging einiges schief: Durch"höhere Transaktionskosten" hat sich der eingeplante Veräußerungsgewinn von 8,4 Millionen auf tatsächlich nur noch 4,1 Millionen Dollar mehr als halbiert.
Das Missfallen zwischen den Management-Ebenen beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. In seinem Protokoll für Stefan von Holtzbrinck geht Grabner mit der Führungsetage des Unternehmens hart ins Gericht."Wir dürfen", schreibt er an seinen Chef,"nie unser hohes Anspruchsniveau verlassen, aber wir müssen auch erkennen und akzeptieren, dass es eine der wesentlichen Managementaufgaben ist, oft mit 'second class people' 'first class results'" zu erzielen.
Besonders harsche Kritik übt Grabner in dem Papier vom Januar an den inzwischen entlassenen Managern Heinz-Werner Nienstedt und Axel Gleie. In einer"Persönlichen Einschätzung der Kollegen" bescheinigt er Nienstedt zwar,"fleißig" zu sein und über"hohe Intelligenz" zu verfügen; er sei allerdings"keine Integrationsfigur", habe"geringe medienwirtschaftliche Detailkenntnis und auch keine 'Liebe' zum Detail".
Dem erfolgreichen Manager der Regionalzeitungen, Gleie, attestiert Grabner zwar"hohe Fachkenntnis"; er verstehe indes"jede Anregung als 'Kritik'", sei"nicht sehr arbeitsam" und gehe"bei seinen Mitarbeitern eher an die Qualifikationsuntergrenze".
Beide Kollegen, so Grabner unter dem Stichwort"Die schwierigen Phasen und die 'Niederlagen'" weiter, akzeptierten seine Doppelfunktion -"einerseits 'Kollege', andererseits 'Vorgesetzter'" - nicht. Doch das könne er"zu großen Teilen auch verstehen", denn:"Ich stehe im Weg auf dem Weg zur 'Sonne'."
KONSTANTIN VON HAMMERSTEIN, MARCEL ROSENBACH
<center>
<HR>
</center>
|