US-Zahlen systematisch aufs Fünffache geschönt
Fredmund malik
Fredmund Malik ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und VR- Präsident des Management-Zentrums St. Gallen. Er hat zahl- reiche Bücher über Probleme des Managements geschrieben.
Grösster Investmentboom in der US-Geschichte, solides Wachstum der Wirtschaft, Amerika investiert in die Zukunft - so hat es jahrelang geklungen. So stand es in allen Zeitungen, so ist es schon zum Frühstück über das Fernsehen gekommen. So wurde es naiv geglaubt, und es führte zum Nachäffen jedes US-Management-Unfugs. Und das alles ist noch immer Grund für wirtschaftliche Minderwertigkeitskomplexe in der Schweiz und in Deutschland. In Wahrheit ist es ein Riesenbluff und ein Meisterwerk der Zahlenschönung. Nicht nur Corporate America führt eine kreative Buchhaltung, auch Public America tut es.
Gemäss Zahlen der Nipa (National Income Product Accounts), die vom US- Department of Commerce veröffentlicht werden, stiegen die so genannten Nonresidential Fixed Investments von 1995 bis 2000 real um rund 533 Milliarden Dollar oder um 65 Prozent. Während desselben Zeitraums stieg den offiziellen Zahlen gemäss das GDP (Gross Domestic Product) um 22,2 Prozent.
Kein Wunder, dass das zu euphorischen Berichten Anlass gab. Nirgendwo auf der Welt wurden auch nur annähernd solche Zahlen erreicht. Amerika schien tatsächlich das Wunderrezept für eine anhaltend prosperierende Wirtschaft gefunden zu haben. Einer der auch bei uns bekannten US-Ã-konomen, MIT- Professor R. Dornbusch, erklärte im «Wall Street Journal» im Juni 1998: «The U.S. economy likely will not see a recession for years to come. We don't want one, we don't need one, and, as we have the tools to keep the current expansion going, we won't have one. This expansion will run forever.»
Wie sieht es wirklich aus? Amerika rechnet seit einiger Zeit in der nationalen Buchhaltung nicht mehr mit Netto-, sondern mit Bruttoinvestitionen. Wirtschaftlich sind aber nur die Nettoziffern relevant. Man weist die Investitionen somit um den Betrag der erforderlichen Abschreibungen zu hoch aus.
Ausserdem werden seit 1995 durch das so genannte Hedonic Price Indexing sämtliche Zahlen systematisch geschönt. Das Ergebnis ist: Von 1995 bis 2000 stiegen die Computerinvestitionen in der US-Wirtschaft um rund 23 Milliarden Dollar auf 87 Milliarden Dollar. Durch den Trick des Hedonic Price Indexing werden aus den eher bescheidenen 23 Milliarden Dollar aber stolze 240 Milliarden Dollar - allerdings nur statistisch, denn ökonomisch ist dadurch klarerweise nicht ein einziger zusätzlicher Dollar Faktoreinkommen bzw. Sozialprodukt entstanden. Hätten die Deutschen auch so gerechnet, hätten sich ihre IT-Investitionen von dürftigen sechs Prozent Zuwachs pro Jahr auf fast 30 Prozent pro Jahr gestellt - optisch wären sie also durch einen Rechentrick vom Entwicklungsland zum Mega-Hightech-Leader geworden.
Weiter hat man plötzlich die gerade in Zeiten sich überschlagenden technologischen Wandels besonders «weise» Entscheidung getroffen, die Aufwendungen für Computersoftware nicht mehr als Aufwand zu behandeln, sondern sie zu kapitalisieren, was nochmals 110 Milliarden Dollar Scheinverbesserung ausmacht.
Fasst man alles zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Von 1995 bis 2000 wurden statt der ausgewiesenen 533 Milliarden Gesamtinvestitionen - umgerechnet pro Jahr also rund 106 Milliarden - lediglich gesamthaft 110 Milliarden Dollar investiert oder bescheiden 22 Milliarden Dollar pro Jahr. Das ist der niedrigste Stand der Nachkriegszeit.
Amerikas Problem ist seit langem eine eklatante Investitionsschwäche. Und das ist auch der entscheidende Grund für die miserablen Gewinnzahlen. Die Gewinnentwicklung hat bereits seit 1994 zu erodieren begonnen, aber das konnte man nur durch detaillierte Analyse der Zahlen erkennen. Im Jahr 2001 ist das ganze Debakel dann für jeden sichtbar geworden - aber für viele erscheint es noch immer als unerklärlich. Die Erklärung ist einfach: Man könnte es das «Western-City-Syndrom» nennen - tolle Fassaden und dahinter nichts als Bruchbuden. Man könnte es noch einfacher als statistische Korruption und Hochstapelei bezeichnen.
Das US-Investitionsdebakel ist einfach erklärt: Man könnte es «Western-City- Syndrom» nennen - oder ganz schlicht Hochstapelei.
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