Norbert Wiener starb 1964 als einer der genialsten Mathematiker.
Nebenher sprach er mal 13 Sprachen.
Schauen wir uns mal an wie dieser Mann damals die Krise so gesehen hat:
Die Jahre zwischen der Rückkehr von meiner Europareise von 1926 bis zu meiner Rückreise 31/32 waren die Jahre der Coolidge-Prosperity und der Wirtschaftskrise.
Selbst in unserem verhältnismäßig geschützten akademischen Leben verspürten wir die starke Wirkung beider Daseinsphasen Amerikas un der Welt.Die Gehälter in Harvard waren,wie ich schon erwähnte,in den Jahren der Hochkonjunktur in sehr beträchtlichem Maße erhöht worden,und wenn die Gehälter des Tech auch nachhinkten,rechneten doch viele damit,daß sie allmählich wenn nicht auf das Niveau von Harvard,so doch auf einen einigermaßen entsprechenden Stand steigen würden.
Infolgedessen redeten viele meiner Kollegen an beiden Hochschulen nur über die Börse und benahmen sich wie Kapitalisten.
Man konnte keine fünf Professoren zusammen sehen,ohne Vergleiche der meistgefragten Börsenwerte des Tages zu hören.
Ein paar meiner jüngeren Kollegen kümmerten sich mehr um den Kursverlauf als um ihre akademische Arbeit.
Ich habe niemals so recht an die Hochkonjunktur geglaubt,obwohl ich mir ihrer Auswirkungen auf unser Leben durchaus bewußt war.Zu viele der Werte waren Papierwerte,die,wie selbst ich damals erkannte,über Nacht zerrinen konnten.
Die Farmer fielen auf Silberfuchsfarmen herein,die durch den kleinsten Rückschlag ihren Markt verlieren mußten.
Einige meiner Kollegen versuchten ihre Einkommen zu verbessern,indem sie Modehunde und siamesische Katzen züchteten,und bei diesen lagen die Verhältnisse ähnlich ungünstig.
Zur selben Kategorie der vorgegaukelten Prosperität gehörte die Bodenspekulation in Florida und die Konjunktur für Steuben-Glas und antike Möbel.
Wir hatten nie genug Geld,um es in solche Dinge zu stecken,und,offen gestanden,
verspürte ich auch nie die Versuchung dazu.
Ich war also darauf vorbereitet, daß die Hochkonjunktur mit einem Krach enden würde,indem der Verlust einer Anzahl von Wertpapieren zum Verlust einer ganz üppig wuchernden Struktur führen mußte.
Mit den Scheinwerten geldlicher Art hing eine ganze Reihe moralischer Scheinwerte zusammen.Ich war erstaunt und empört über die Art und Weise,in der eine große amerikanische Zeitschrift ihre Spalten für ein Loblied auf den schwedischen Zündholzkönig Ivar Kreuger hergab.
Noch weniger hatte ich die Anerkennung der selben moralischen Werte in akademischen Kreisen erwartet.
Ich hoffte und betete,daß der Rückschlag zeitig kommen möge,bevor er zu dem völligen Bankrott ausartete der in der Regel eintritt,wenn eine spekulative Seifenblase platzt.
Ich sprach darüber mit meinem guten Freunde Phillips und war überrascht festzustellen,daß er bei seiner angeborenen Skepsis und seiner persönlichen Gerissenheit tatsächlich hoffte,die Konjunktur würde ewig anhalten.
Hinter diesem Gefühl steckten seine bitteren Erfahrungen als junger Bursche in den ruinierten Südstaaten nach dem Bürgerkrieg und die Angst,daß wir wieder auf eine solche Zeit zusteuern könnten.
Großenteils war sein Optimismus mit dem Verhalten eines Menschen zu vergleichen,der im Dunkeln pfeift,um sich selber Mut zu machen,aber auf jeden Fall teilte er nicht meine Hoffnung,eine milde Depression möge uns von den Fleischtöpfen Ägyptens weg zu einer höheren Bewertung moralischer und geistiger Dinge führen.
Als die Krise kam,sah ich,daß seine Befürchtung,ein Zusammenbruch würde nicht nur kommerzielle,sondern auch moralische Werte vernichten,gerechtfertigt gewesen war.
Der Rückschlag mußte jeden treffen,aber wir an den Hochschulen waren für eine Weile noch am besten dran.
Die Preise gingen in gewissem Maße zurück,und wenn auch unsere Hoffnung auf schnelle Gehaltserhöhungen enttäuscht wurde,so hatten doch viele von uns - so wie ich - eine feste Anstellung,und wer sie nicht hatte,besaß einen moralischen Anspruch darauf,der nicht ohne weiteres widerrufen werden konnte.
Jedenfalls litten wir nicht unter der Epidemie der Selbstmorde,die in der Wirtschaft grassierte,und ein hohes Fenster bedeutete,keine moralische Versuchung.
Damals Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre,mochten wir an vielen Dingen zweifeln,wir hegten jedoch keine grundsätzlichen Zweifel daran,daß die Welt,in der wir lebten,auf die Dauer wieder genesen würde.
So führten uns der Fall Sacco und Vanzetti,die Scheinkonjunktur und die anschließende Wirtschaftskrise,die fast ebensosehr Schein war,mehr und mehr zur Besinnung auf uns selbst und auf unsere wahre Aufgabe,die akademische Arbeit.
Zitiert aus Norbert Wiener Mathematik mein Leben April 1965
Gruß EUKLID und schönes Wochenende.
<center>
<HR>
</center> |