Gier und Angst - die massenpsychologischen Phänomene aus Elliott-Wave-technischer Sicht
von Werner H. Heussinger
Elliott Wave Analyse und Finanzmarktanalyse im allgemeinen
Die Elliott Wave Analysemethode (benannt nach Ralph Nelson Elliott, 1871 bis 1948) wird seit Jahrzehnten von erfahrenen Marktteilnehmern dazu benutzt, um in der augenscheinlichen Willkür bei der Kursbildung bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu erkennen.
Hinter den scheinbar zufälligen Kursverläufen verbergen sich Gesetzmäßigkeiten. Nichts wurde in den vergangenen Jahrzehnten unversucht gelassen, um die Trends an den Finanzmärkten zu prognostizieren.
Warum versagen sooft Analysemethoden?
Viele Analysten sind von Banken und Vermögensverwaltungen für viel Geld eingestellt worden. Doch leider versagt die Mehrzahl mehr oder weniger schnell, wenn es um den Blick in die Zukunft geht. Fundamentalisten glauben, mit Hilfe von volks- und betriebswirtschaftlichen Daten die Entwicklung in den Griff zu bekommen. In diesem Bereich sind die zum Teil eher peinlichen Schieflagen bei den Kursvorhersagen immer häufiger aufgetreten. Die Begründungen, warum welches Kursszenario wann eintreffen soll, hören sich meist sehr logisch und wissend an, konkurrieren aber von ihrem Aussagewert allzu häufig sehr hart mit der Zufallswahrscheinlichkeit. Die andere Spezies der Analysten nennt sich Technische Analysten und versucht mit der Kursen aus der Vergangenheit die Kurse der Zukunft zu ergründen. Fast wöchentlich lassen sich die neuesten Errungenschaften mit phantasievoller Namensgebung unter der Rubrik?Technische Indikatoren? in den einschlägigen Fachmagazinen bestaunen. Letztendlich haben sich die meisten dieser Hilfsmittel als unbrauchbar erwiesen. Die große Vielzahl an technischen Indikatoren ist bei genauerem Betrachten ähnlich aufgebaut. Keiner ihrer Entdecker hat die Mathematik neu erfunden und deswegen werden Kurs- und Umsatzzahlen mit den gleichen Formeln solange in Kurven oder sonstige graphische oder numerische Formen gepreßt, bis ein vermeintlich neues Analysehilfsmittel entstanden ist. Vom Grundprinzip arbeiten die meisten ähnlich und deswegen auch ähnlich schlecht. Oft hat ein Indikator einen Ausschnitt aus der vergangenen Kursentwicklung perfekt nachgebildet, versagt aber in der Zukunft.
In der jüngsten Vergangenheit kamen sogenannte Neuronale Netze in Mode. Diese Systeme lernen vergangene Strukturen auswendig. Trifft das Neuronale Netz auf völlig neue Bedingungen, fällt die Prognosegüte schlagartig ab. Je nach Art der Prognose, die es erstellen soll, wird ein Neuronales Netz anhand vergangener Daten trainiert. Dazu werden die für die Prognosegröße vermeintlich relevante Zeitreihen eingegeben. Dies können z. B. Zinssätze, Unternehmensgewinne, Auftragseingänge oder Währungsvergleiche sein. Parallel erhält ein Neuronales Netz den vergangenen Kursverlauf des zu untersuchenden Finanzmarktes. Im Lernprozeß findet das Netz nun heraus, wie In- und Output, also z. B. Zinssätze und Aktienkursentwicklungen, zusammenhingen. Es optimiert selbständig solange die Einstellung seiner Gewichte und Signale, bis es die Vergangenheit korrekt vorhersagen kann. Die erlernte Funktion projiziert das System dann in die Zukunft.
Abgrenzung der Elliott Wave Analysemethode zu anderen Technischen Analysemethoden
Leider kommt auch hier das Neuronale Netz als Fundamentalanalyst nicht an den zwei grundlegenden Problemen vorbei, die auch seinen menschlichen Kollegen in diesem Bereich schwer zu schaffen machen: Von der übermächtigen Vielfalt an Einflußfaktorn kennt der Fundamentalanalyst eine ganze Menge nicht rechtzeitig, auch bei bestmöglicher Kommunikation. Noch schwieriger ist die Gewichtung der verschiedenen Faktoren: Den individuellen Interpretationen bietet sich ein breiter Spielraum. Fundamentale Erklärungsversuche für bestimmte Kursmuster sieht man im Ablauf der Börsenphasen immer wieder neu entstehen: Die beobachtenden Sinne sind aufgrund der Unmenge an zu verarbeitenden Informationen oft Täuschungen unterworfen. Der arbeitende Verstand oder die Rechnerlogik des Computers verfällt dabei gar zu häufig voreilig Trugschlüssen. So beschränkt sich die Elliott Wave Analysemethode auf die Analyse der Grundverhaltensmuster der Marktteilnehmer und läßt die Bewertung und Gewichtung der möglichen Einflußfaktoren auf die Marktteilnehmer völlig außen vor.
Dieser Ansatz ist in dieser Form einmalig. Die Elliott Wave Analysemethode erhebt den Anspruch, die Finanzmärkte und ihre Kursbewegungen stets in einem bestimmten Rahmen prognostizieren zu können. Sie vermag sicherlich nicht, einschneidende wirtschaftliche Ereignisse im voraus zu bestimmen. Aber - und das ist entscheidend - sie vermag den Rahmen der Wellen, die von verschiedenen Ereignissen ausgehen können, vorherzusagen. Der Prozeß ist in dem Sinne dynamisch, daß die Kursentwicklung an den Finanzmärkten nicht durch das Streben nach Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ausgebildet wird, sondern im Gegenteil, daß die Finanzmärkte ihrem Wesen nach einem instabilen System von Wechselbeziehungen und Rückkopplungen unterliegen, die von Zeit zu Zeit mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Dieser gedankliche Ansatz liegt der Elliott Wave Theorie zugrunde, die von einer Überreaktion in Form von Gier und Angst von Seiten der Marktteilnehmer aufgrund unvollständigen Wissens ausgeht. Die Elliott Wave Theorie kann angewendet werden, ohne daß man die aktuellen Fundamentaldaten kennt. Sie basiert auf der Grundlage aktueller Entwicklungen des Charts. Bei einem Chart handelt es sich für einen Elliott Wave Analysten um eine graphische Aufzeichnung von Preisen entlang der Zeitachse, in denen sich die Informationen über die aktuellen fundamentalen Daten und - was noch viel wichtiger ist - die Einschätzung der Marktteilnehmer über deren Auswirkung auf die Marktentwicklung widerspiegeln.
Nicht-lineares Verhalten als grundlegendes Verhaltensmuster bei den Marktteilnehmern
Bis in die achtziger Jahre war es unter Mathematikern und Finanzanalysten üblich, die Entwicklungen an den Finanzmärkten mit Hilfe linearer Modelle in den Griff zu bekommen. Auch heute ist dieser Ansatz zum Teil noch vorzufinden. Die Ausgangsüberlegung hierzu ist, daß alle Investoren rational handeln und sämtliche Informationen sofort verarbeitet werden. Professor Amos Tversky von der amerikanischen Stanford-Universität bezweifelte dies und befragte deshalb eine Gruppe von Testpersonen, was ihnen lieber wäre: 85.000 Dollar in bar oder eine 85prozentige Chance, 100.000 Dollar zu gewinnen. Fast ausnahmslos entschieden sich die Testpersonen für das Bargeld. Als Tversky dieselbe Gruppe vor die Wahl zwischen einem sicheren Verlust von 85.000 Dollar oder einer 85prozentigen Chance, 100.000 Dollar zu verlieren, stellte, entschieden sich die meisten für die zweite Variante. Für Tversky war damit offensichtlich, daß menschliches Verhalten nicht linear ist. Einmal verhielten sich die getesteten Personen risikoscheu und ein anderes mal risikofreudig, obwohl es stets um dieselbe Summe ging. Zudem wurde deutlich, daß Investoren keine homogene Gruppe sind, deren Mitglieder Informationen alle gleichartig verarbeiten und entsprechend handeln. Vielmehr bietet sich den individuellen Interpretationen und Vorzügen ein breites Spielfeld.
[Börsenhändler]
Börsenhändler an der Frankfurter Börse
Die zweite These, daß die Kurse an den Finanzmärkten nur zufällig zustande kommen, nahm Tverskys Kollege Tim Bollerslev von der Northwestern University in den USA unter die Lupe. Er stellte zunächst fest, daß Tagen hektischer Kursschwankungen meist ähnlich turbulente folgten. Umgekehrt bewegten sich die Preise nach einem ruhigen Handelstag nur in geringem Umfang. Daraus folgerte Bollerslev, daß vergangene und zukünftige Kurse nicht völlig unabhängig voneinander sind, wie die Effizienzthese dies behauptet.
?Der Markt hat durchaus ein Gedächtnis?,
so Professor Tim Bollerslev.
Es gibt keinen Zufall an den Finanzmärkten
Dieser Ansicht schließen sich auch Blake LeBaron und William Brock, beide Professoren an der University von Wisconsin, an. Am Verlauf des Dow-Jones-Index über einen Zeitraum von 90 Jahren testeten die beiden Amerikaner zwei der von Chartisten bzw. Technischen Analysten am meisten beachteten Regeln: den gleitenden Durchschnitt und den Trendkanal. Sie erzielten dabei weitaus bessere Ergebnisse als sie zunächst selbst erwarteten. Nach einem Kaufsignal der Indikatoren stieg der Dow-Jones-Index um durchschnittlich zwölf Prozent pro Jahr an, nach einem Verkaufsignal verlor er im Schnitt sieben Prozent. Damit hatten die Wisconsin-Professoren den Beweis erbracht, daß es so etwas wie Vorhersagbarkeit in einigen Märkten gibt. Die Random Walk Theorie, die besagt, daß man nur durch Zufall ein überdurchschnittliches Ergebnis bei der Aktienanlage erzielt, ist damit für sie widerlegt. Eines ließ ihre Untersuchung jedoch unberücksichtigt bzw. offen: Über das Ausmaß der zu erwartenden Kursveränderungen sagten die Indikatoren nichts aus.
Die Elliott Wave Analysemethode basiert auf Fraktalanalyse
Hier setzt nun die Elliott Wave Analysemethode ein und versucht das Kursgeschehen an den Finanzmärkten nicht mittels mathematischer Formeln, sondern mit Hilfe von Fraktalen zu beschreiben. Der französische Wissenschaftler Benoit Mandelbrot, der als einer der Begründer der Chaostheorie gilt, spezifizierte Jahrzehnte nach den pragmatischen Überlegungen Ralph Nelson Elliotts, Fraktale als Teile eines Ganzen, das sich durch Selbstähnlichkeit auszeichnet. Elliott verinnerlichte diesen Ansatz automatisch und entwickelte die Elliott Wave Analysemethode zur Beschreibung von Kursentwicklungsszenarien.
Die eigene Position im Marktgeschehen erkennen
Eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung der Elliott Wave Analysemethode ist das Marktgeschehen - unter einem massenpsychologischen Aspekt betrachtet - zu analysieren. Hierzu sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Marktbewegungen zu identifizieren und zu benennen.
Diese Marktbewegungen werden anschließend vordefinierten Mustern zugeordnet. Anhand des Wissens um diese Kursmuster ist es möglich, Aussagen über die zukünftige Marktentwicklung treffen zu können. So einfach sich dies in der Theorie ausdrücken läßt, genauso schwierig gestaltet sich die Umsetzung der Elliott Wave Analysemethode in der Praxis. Zu viele Aspekte bzw. Regeln müssen berücksichtigt werden, und zu vielschichtig ist das Interagieren der zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten, als daß man auf einen Blick den Markt in den Griff bekommt.
Den vielleicht wichtigsten Gesichtspunkt, unter dem die Elliott Wave Analysemethode zu betrachten ist, stellt der Erkenntnisprozeß über den Umgang mit den eigenen Emotionen beim Agieren an den Finanzmärkten dar. Diesen vermag die Elliott Wave Analysemethode in Gang zu setzen. Schließlich geht sie davon aus, daß - überspitzt formuliert - die Gier und die Angst die Hauptantriebe für Kauf- und Verkaufentscheidungen sind. Das wechselseitige Beeinflussen einer Vielzahl von Marktteilnehmern und das Bündeln dieser Aktionen und Reaktionen zu einem nachvollziehbaren Kursentwicklungsschema drückt die Elliott Wave Analysmethode in ihren Kernaussagen aus. Dabei darf nie vergessen werden: Jeder unterwirft sich selbst diesen Gesetzmäßigkeiten, sobald er die Arena der Finanzmärkte betritt. Die Börse selbst ist es letztlich, die ihre Marktteilnehmer mit sanftem aber dennoch unnachgiebigem Druck dazu zwingt, sich so zu verhalten, wie sie es wünscht. Wenn die Elliott Wave Analysemethode hier einsetzt und dem Marktteilnehmer klar machen kann, wie bestimmte Abläufe und Mechanismen funktionieren, ist bereits der erste Schritt in die richtige Richtung unternommen.
Elliott Wave Analyse und Fundamentalanalyse
Eine Unmenge von Einflüssen beschert die Umwelt den zu beurteilenden Finanzmärkten. In ihrer Gesamtheit stellen sie die fundamentalen Faktoren dar, die die Marktteilnehmer in ihrem Entscheidungsfindungsprozeß beim Zustandekommen von Angebot und Nachfrage beeinflussen können. Der Fundamentalist geht davon aus, daß der Preis den Gleichgewichtszustand aller kombinierten Kräfte aus Angebot und Nachfrage reflektiert. Seine Aufgabe ist es, alle diese Faktoren zu analysieren, zu gewichten und in der gegenseitigen Beeinflussung richtig zu beurteilen. Der Fundamentalist hat hauptsächlich die folgenden Schwierigkeiten:
* Von der übermächtigen Vielfalt an Einflußfaktoren kennt er eine ganze Menge nicht rechtzeitig, auch bei bestmöglicher Kommunikation.
* Es ist schwierig, ein akkurates und vollständiges Bild von Angebot und Nachfrage zu erhalten, weil in der gegenseitigen Beeinflussung die Querbezüge so zahlreich sind.
* Noch schwieriger ist die Gewichtung der verschiedenen Faktoren: Den individuellen Interpretationen bietet sich ein breiter Spielraum.
* Dadurch ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im voraus nie als genaue Größe bestimmbar.
Unter dem Begriff Fundamentalanalyse versteht man, die Faktoren zu erfassen und in ihrer Gesamtheit zu bewerten, die die zukünftige Entwicklung eines Marktes bestimmen, genauer gesagt die Kauf- und Verkaufsentscheidungen der Marktteilnehmer beeinflussen.
Der massenpsychologische Aspekt der Elliott Wave Analysemethode
Die Elliott Wave Analysemethode bewertet ausschließlich das Kursverhalten des zu analysierenden Marktes in der Vergangenheit. Beiden Methoden - Fundamentalanalyse und Elliott Wave Analyse - liegt als Zielsetzung die Prognose der zukünftigen Kursentwicklung eines Marktes zugrunde. Der Elliott Wave Analyst verspricht sich von der Beobachtung der Preiskurve ein vollständigeres, aktuelleres und letztlich objektiveres Bild der momentanen Marktverhältnisse. Der Preis gibt viel mehr her als nur das echte Resultat aller fundamentalen Einflüsse und ihrer jeweiligen Gewichtung durch die Marktteilnehmer. Eine große Anzahl von Menschen legt nämlich ihre Zukunftserwartungen in den Preis; die aufgezeichnete Preisfolge spiegelt also nicht nur die äußeren Einflüsse auf den Markt wider, sondern ebenso die innere Verfassung der Marktteilnehmer. Dadurch, daß individuelle, emotional geprägte Erwartungen sich in einem großen Kollektiv verbinden, entstehen die immer wiederkehrenden irrationalen Überraschungen.
An den Finanzmärkten geht es nicht darum, das zu tun, was nach eigenem Urteil als das Beste erscheint. Es geht nicht einmal darum, was die durchschnittliche Meinung aller Beteiligten für das Beste hält.
?Entscheidend ist, was die durchschnittliche Meinung als das zukünftige Ergebnis dieser durchschnittlichen Meinung erwartet."
Das hat der englische Nationalökonom J. M. Keynes einmal verkündet - und es hat sich immer wieder als richtig bestätigt. Die Marktteilnehmer reagieren nicht physikalisch, sondern emotional, mit all ihren Hoffnungen und Befürchtungen. Das, was die Mehrheit denkt, braucht keineswegs logisch zu sein.
Die stärkere Partei bestimmt an den Finanzmärkten die Richtung der Preisbewegung. Sie legt fest, welchen fundamentalen Einflußfaktoren welche Gewichtung widerfährt.
Ausschlaggebend ist daher die massenpsychologische Verfassung der Marktteilnehmer als Ganzes. Genau hier setzt die Elliott Wave Analysemethode ein und liefert abgeleitete Prognosen über den Kursrahmen, in dem das zukünftige Marktverhalten sich bilden wird.
Die Finanzmärkte unterliegen einem instabilen System von Wechselbeziehungen und Rückkopplungen
Zu jedem Zeitpunkt herrscht eine Art Voreingenommenheit der Marktteilnehmer gegenüber der Marktentwicklung. Das Wissen um die fundamentalen Daten ist stets unvollständig und aufgrund des mangelnden Wissens ist auch das Verstehen der Kursentwicklung unvollständig und fehlerhaft. Selbst wenn jemand alle wichtigen und unwichtigen Fundamentaldaten zu einem Markt zu jedem Zeitpunkt sammeln und analysieren könnte, wäre ein Verstehen der Kursentwicklung dennoch unmöglich. Wenn man als Marktteilnehmer sein Denken sowohl zum Analysieren des Marktes als auch zum Handeln einsetzt, um aus der getätigten Analyse durch eine Handelsentscheidung Profit zu schlagen, verändert man durch seine eigene Marktaktivität den Kursverlauf des analysierten Marktes. Diese Veränderung kann sich sowohl positiv als auch negativ auf die zukünftige Kursentwicklung auswirken. Somit ist das Denken der Marktteilnehmer integraler Bestandteil der jeweiligen Marktsituation. Die Marktteilnehmer formen in der Gesamtheit gerade durch ihr Denken in der jeweiligen Situation den weiteren Kursverlauf mit, wodurch ein immer währender dynamischer Prozeß entsteht.
Die klassische Wirtschaftswissenschaft geht eindimensional davon aus, daß allein die fundamentalen Daten letztendlich die Kursverläufe bestimmen. Sie räumt selbstverständlich ein, daß es zu Spekulationsauswüchsen kommen kann, die sich aber aufgrund der zugrundeliegenden fundamentalen Daten wieder auf ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einpendeln werden. Hier setzt jedoch der Denkfehler der herkömmlichen Theorie ein. Der Kursverlauf an sich ist ein ständig währender dynamischer Prozeß, der sich aufgrund vielerlei Rückkopplungsmechanismen und Wechselbeziehungen sowohl mit den denkenden (interpretierenden) und beeinflussenden (handelnden) Marktteilnehmern als auch mit den Fundamentaldaten ständig am Laufen hält. Der Prozeß ist in dem Sinne dynamisch, daß die Kursentwicklung an den Finanzmärkten nicht durch das Streben nach Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ausgebildet wird, sondern im Gegenteil daß die Finanzmärkte ihrem Wesen nach einem instabilen System von Wechselbeziehungen und Rückkopplungen unterliegen, die von Zeit zu Zeit mehr oder weniger stark ausgeprägt sind.
Gier und Angst als Handlungsantrieb
Der gedankliche Ansatz liegt auch der Elliott Wave Theorie zugrunde, die von einer Überreaktion in Form von Gier und Angst von Seiten der Marktteilnehmer aufgrund unvollständigen Wissens ausgeht. Die Elliott Wave Theorie kann angewendet werden, ohne daß man die aktuellen Fundamentaldaten kennt. Sie basiert auf der Grundlage aktueller Entwicklungen des Charts. Bei einem Chart handelt es sich für einen Elliott Wave Analysten um eine graphische Aufzeichnung von Preisen entlang der Zeitachse, in denen sich die Informationen über die aktuellen fundamentalen Daten und - was noch viel wichtiger ist - die Einschätzung der Marktteilnehmer über deren Auswirkung auf die Marktentwicklung widerspiegeln.
Elliott Wave Analyse ist Chaosforschung an der Börse
Auf den ersten Blick scheinen die Kurse an den Finanzmärkten ohne Ordnung und ohne Muster zu schwanken. Für viele Betrachter werden die Kursentwicklungen als ein Durcheinander empfunden. Diese Form des Chaos wirkt zunächst wie ein bloßer Zufall, also nicht bestimmbar. Einer der denkwürdigsten Ereignisse in der jüngeren Börsengeschichte ist Montag, der 19. Oktober 1987 oder besser bekannt als der Aktiencrash von 1987. Hier wurden die Hintergründe und Erklärungsmodelle für das Auftreten von systemchaotischem Verhalten auf eindrucksvolle Weise vorgeführt. Bereits am frühen Morgen des 19. Oktober stiegen die Verkaufsaufträge in Tokio deutlich an. In Europa verschärfte sich der Verkaufsdruck auf Aktien zunehmend während er in New York seinen dramatischen Höhepunkt mit einem Minus von über 22 Prozent gemessen am Dow Jones Industrial Index fand.
Anhand dieser Entwicklung konnte man erkennen, daß relativ unbedeutende Nachrichten auf extreme Art und Weise verstärkt werden können. Die Angst der Marktteilnehmer entwickelte sich als massenpsychologisches Phänomen und irgendeine Nachricht reichte aus, um die Angst in Form von Aktienverkäufen kanalisieren zu lassen. Aus Elliott-Wave-technischer Sicht war dies eindeutig das Auftreten einer Korrekturformation. Das scheinbar zufällige und unabhängige Verhalten der Marktteilnehmer lief an diesem Tag für jeden sichtbar vernetzt und sich gegenseitig bedingend ab. Unter der Betrachtungsweise der Elliott Wave Analyse ist dies ein ständig auftretender Vorgang.
Darauf aufbauend kann man als Elliott Wave Analyst Ableitungen und Prognosen für das zukünftige Marktverhalten treffen. Ordnung zerfällt, geht in Chaos über, und aus diesem vermeintlichen Durcheinander entstehen neue Systeme und Regeln. Diese Marktbewegungen folgen Mustern, die innerhalb der Elliott Wave Analysemethode beschrieben werden können. Für die Dynamik solcher Bewegungen steht der Begriff nicht-linear. Wirkungen hängen nicht geradlinig von den Ursachen ab, sondern sie beeinflussen sogar rückkoppelnd die Ursachen. In einer Haussebewegungen verstärkt sich die Gier der Marktteilnehmer wechselseitig und umgekehrt bekommen die Marktteilnehmer immer mehr Angst, je tiefer die Kurse fallen.
Fraktalanalyse heißt, Strukturen im vermeintlichen Chaos zu finden
Die moderne Chaosforschung spricht von deterministischen und nicht-deterministischen Phasen. Elliott-Wave-technisch betrachet sind diejenigen Marktbewegungen deterministisch, das heißt bestimmbar, die aufgrund der im Elliott Wave Regelwerk definierten Anforderungsprofile Muster (sog. Fraktale, wie oben erwähnt) ausbilden, die eindeutige Aussagen über das zukünftige Kursverhalten zulassen. Genauso wie es für den Chaosforscher in der Natur nicht-deterministische Phasen gibt, existieren auch für den Elliott Wave Analysten eine Reihe von Kursformationen, die einen breiteren Rahmen für das zukünftige Kursverhalten ableiten lassen. Vor allem zusammengesetzte Korrekturmuster erschweren konkrete Aussagen über die sich zukünftig bildenden Kurse. Die Bandbreite ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist verhältnismäßig groß.
In der scheinbaren Regellosigkeit der Kursbildung an den Finanzmärkten existieren Strukturen, die man für Prognosen nutzen kann. Möglich sind Aussagen mit einer verhältnismäßig geringen Bandbreite an potentiellen Kursentwicklungsszenarien und es kommen auch Strukturen vor, die über einen großen Spielraum für das Ausbilden von bestimmten Marktbewegungen verfügen. Bei der konkreten Anwendung der Elliott Wave Analysemethode kommt es darauf an zu wissen, in welcher Phase sich der Kursentwicklungsprozeß momentan befindet und was im zukünftigen Verlauf zu erwarten ist.
Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften wird im wirtschaftswissenschatlichen Bereich die Möglichkeit von Prognosemethoden mit nicht-parametrischen Verfahren weitgehend vernachlässigt. Hier ist die Praxis viel weiter als die Forschung an den Universitäten. So ist es kaum verwunderlich, daß Pragmatiker wie Ralph Nelson Elliott bereits Jahrzehnte zuvor Meilensteine in der Anwendung von chaosmathematischen Ansätzen geschaffen haben. Erst seit einigen Jahren sprießen zaghaft erste Forschungsvorhaben, die den Bereich Chaostheorie und ihre Anwendbarkeit vor allem für Prognosen an den Finanzmärkten näher beleuchten wollen. Die ökonomische Forschung nimmt nicht-parametrische Verfahren und deren Entwicklung leider sehr langsam auf.
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