-->Editorial: Über den Sinn und Unsinn von Nachrichten (15.08.2002)
Bewegungen der Märkte werden von den Medien gewöhnlich an Ereignissen oder Nachrichten festgemacht. Das ist an sich schon vermessen, denn welche Nachricht aus dem prallvollen Korb der Ereignisse sind es denn wirklich, die Märkte bewegen könnten? Da muss ausgewählt werden, und dies unterliegt in der Regel höchst subjektiven Kriterien. Früher waren es die Nachrichtenagenturen, die Meldungen massenhaft verbreitet haben. Sie hatten eine Art Auswahl- und Meinungsmonopol. Die Medien haben die Nachrichten und ihre Deutung meist unbesehen übernommen und in Kommentaren noch einiges an Mutmaßungen draufgesetzt. So konnten Eigengesetzlichkeiten entstehen, die immer gut begründbar waren: Ein Hinweis auf die zugrunde liegende Agenturmeldung reichte stets als Feigenblatt aus, um ein Thema ins Bizarre übersteigern zu können.
Heute hat sich das verändert, doch im Kern ist alles beim alten geblieben. Über die elektronischen Medien, das stets präsente Fernsehen eingeschlossen, kann „jeder und sein Bruder“ loswerden, was er unters Volk bringen will. Einzelne, im Grunde völlig unbeachtliche und vielleicht sogar an der Sache vorbeigehende Äußerungen werden zur Nachricht sui generis.
Im übrigen wird schon seit einigen Jahren bei der Berichterstattung über die Finanz- und Rohstoffmärkte der Eindruck erweckt, als beruhte die eine oder die andere Bewegung auf einer konkreten Nachricht. Tatsächlich scheint dies bestätigt zu werden, denn täglich ist gleich mehrfach zu beobachten, dass sich Kurse oder Preise auf Nachrichten hin hochprozentig in Bewegung setzen. Meist wird übersehen oder ignoriert, dass es sich dabei nur um Strohfeuer handelt.
Entscheidend ist die Tendenz, die erst beim Betrachten grafischer Kursdarstellungen (Charts) von mindestens einigen Wochen, besser aber noch Monaten erkannt werden kann. Diese Tendenzen sind in den meisten Fällen mit einem kurzen Blick klar auszumachen. Vor den Grafiken verblassen die Nachrichten. Niemand kümmert sich im nachhinein noch darum, wie einzelne Bewegungen, die Bestandteil einer Tendenz sind, zustande gekommen sind.
Was am Dienstag und Mittwoch vor allem an der Wall Street geschah, ist ein Paradebeispiel für das, was Nachrichten bedeuten können. Am Dienstag herrschte angeblich Hochspannung, weil in Washington eine Zinsentscheidung bevorstand. Als sie, wie weithin erwartet, gefallen war, brach der Markt ein. Begründet wurde dies weithin mit Enttäuschung über den unverändert gebliebenen Leitzins. Als wäre gerade dieses nicht erwartet worden!
Am Mittwoch folgten die europäischen Börsen. Später legte die Wall Street noch einmal nach und fiel weiter, bis dann zum Börsenschluss hin eine kräftige Erholung einsetzte und den Vortagesverlust gut wieder wettmachte. Begründet wird dies mit der Nachricht, dass die von der Aufsichtsbehörde SEC geforderten eidesstattlichen Erklärungen der Leiter bedeutender amerikanischer Unternehmen, mit denen sie die Wahrhaftigkeit ihrer Bilanzen bestätigen sollen, fast komplett termingerecht eingegangen seien. Als wäre auch dies nicht erwartet worden!
Wer auf der Grundlage solcher Nachrichten nachzudenken und den Märkten auf die Schliche zu kommen versucht, muss verzweifeln. Die Wahrheit liegt wohl in der demütigen Erkenntnis, dass solcher Versuche untauglich sind. Die Tendenz jedenfalls sagt, dass die Baisse an den Aktienmärkten noch nicht vorüber ist. Die Hoffnung, es könne besser werden, kann bleiben. Doch auf Hoffnungen sollten keine Strategien für die Finanzmärkte gegründet werden.
Arnd Hildebrandt
Herausgeber
(1959)
<ul> ~ http://www.terminmarktwelt.de/tauros/freiartikel.php3?bereich=haus&artikel=6</ul>
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