-->Karl-Heinz Ohlig
Islam und moderne Wirtschaft [1]
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In der zwischen 900 und 1500 in der islamischen Welt entstandenen ErzĂ€hlsammlung"Tausend-und-eine-Nacht" schildern viele Geschichten, wie der jeweilige Held zu sagenhaftem Reichtum kam und diesen auch genossen hat. Ein armer Fischer z.B., der einen Dschinn, einen Geist, aus einer Flasche befreit hatte,"wurde der reichste Mann der Stadt. Und er stand allenthalben in groĂem Ansehen."[2] Besitz oder groĂes Vermögen wurden also im Islam hochgeschĂ€tzt.
Schon der Koran bejaht den Reichtum, den Besitz an Grund und Boden, an Untergebenen und Sklaven oder generell ein groĂes Vermögen. Sure 4,4 sagt, dass Gott den Reichtum gibt, allerdings nur zur Verwaltung. Der Erfolg wirtschaftlichen Handelns gilt als gottgefĂ€llig. DarĂŒber hinaus wurde die Wirtschaftsordnung der Stadt Mekka, in der der Prophet geboren war und die lĂ€ngste Zeit seines Lebens zubrachte, positiv angenommen. Mekka war durch den Handel reich geworden und wurde von wohlhabenden HĂ€ndlern regiert. SpĂ€ter wurde auch die Epoche von 622 bis 630 in Medina idealisiert, in der Mohammed durch BeutezĂŒge groĂe ReichtĂŒmer ansammeln konnte. So lĂ€sst sich sagen, dass der Islam von daher gute Voraussetzungen mit sich bringt, die Werte, auf die modernes Wirtschaften aufgebaut ist, zu akzeptieren und sich in ihnen zurecht zu finden.
Almosengeben soll nicht weh tun
Niemals kannte der Islam eine BezugsgröĂe wie den armen Jesus oder, wie etwa das abendlĂ€ndische Mittelalter, eine positive Wertung der Armut oder ĂŒberhaupt des Scheiterns. Idealbild ist immer der erfolgreiche und begĂŒterte Mann. NatĂŒrlich gab es auch in der muslimischen Geschichte immer Arme und Erfolglose, und zwar meist in groĂer Zahl. FĂŒr diese gab es den Trost, dass ihr Schicksal dem Willen Allahs entspreche - woraus sich oft ein politischer und gesellschaftlicher Fatalismus entwickelte -, und die Wohlhabenden waren zum Geben von Almosen verpflichtet. Das Entrichten von Almosen, Zakat, gehört zu den fĂŒnf SĂ€ulen des Islam.
Im Koran wird diese Sozialverpflichtung an verschiedenen Stellen angesprochen:
(S. 9,60)"Die Almosen sind nur fĂŒr die Armen und BedĂŒrftigen (bestimmt),... ferner fĂŒr diejenigen, die (fĂŒr die Sache des Islam) gewonnen werden sollen, fĂŒr (den Loskauf von) Sklaven, (fĂŒr) die, die verschuldet sind, fĂŒr den heiligen Krieg...". Hier sind ansatzweise so gut wie alle Bereiche aufgezĂ€hlt, fĂŒr die damals Geld erforderlich war. Aber S. 2,219 engt die Verpflichtung auf ein MaĂ ein, das den Spender selbst nicht zu EinschrĂ€nkungen zwingt:"Und man fragt dich, was man spenden soll. Sag: Den ĂberschuĂ". Almosengeben soll nicht wehtun.
In spĂ€terer Zeit waren die Angaben des Koran zu unprĂ€zise, um mit ihnen das Funktionieren der Umma, der Gemeinschaft, in den GroĂreichen zu regeln. So machte man Zakat zu einer festen Armensteuer, die auf Besitz erhoben wurde; sie schwankt zwischen 5 und 10 % der ErnteertrĂ€ge bei Obst, Getreide und Tieren. In manchen muslimischen LĂ€ndern wurde bald auch eine Steuer auf Landbesitz erhoben, die oft zu einer weiteren Verarmung der lĂ€ndlichen Bevölkerung fĂŒhrte. Heute werden die Abgaben in den islamischen Staaten meist im Rahmen der staatlichen Steuerregelungen erhoben.
Auf den ersten Blick also scheint das islamische Denken zu einer sozialen Marktwirtschaft zu passen. Nach dem Islamwissenschaftler und Ă-konomen Hans-Peter Raddatz - in seinem Buch"Von Gott zu Allah?" - sind persönlicher Besitz und Reichtum möglich,"verpflichten jedoch zu sozialen Ausgleichszahlungen"[3]. Weil in vielen islamischen LĂ€ndern die herrschenden Eliten aber, wenn man so sagen will, durch einen GlĂŒcksfall, nĂ€mlich besonders durch die VerfĂŒgung ĂŒber ergiebige Erdölvorkommen, unermesslich reich wurden und diesen Reichtum auch durch"das verbotene Horten und Akkumulieren von ZinseinkĂŒnfen exzessiv" vermehren, gilt dieser Reichtum als nicht ganz legitim. Deswegen bemĂŒhen sich die BegĂŒnstigten, einer Kritik vorzubeugen, indem sie gerade mögliche Kritiker mit hohen ZuschĂŒssen besĂ€nftigen. So haben sich nach Raddatz"lösegeldĂ€hnliche Zahlungen eingebĂŒrgert, mit denen sich die Machthaber von den Pressionen der Fundamentalisten freikaufen und damit insbesondere die radikalen Elemente der islamischen Expansion in Europa unterstĂŒtzen"[4].
Das Zinsverbot
Diese Praxis hĂ€ngt damit zusammen, dass die Reichen etwas tun, was im Islam verboten ist. Hier nĂ€mlich gibt es ein strenges Verbot, Zinsen zu fordern oder zu bezahlen. Schon im Koran wird dies untersagt: (Z.B. S. 2,278)"O ihr, die ihr glaubt, fĂŒrchtet Gott und laĂt kĂŒnftig, was an Zinsnehmen anfĂ€llt, bleiben, so ihr glĂ€ubig seid". Zinsnehmen gilt als Wucher, den Allah ausmerzen wird. Diese Meinung wurde auch von den spĂ€teren Rechtsgelehrten vertreten, so dass GeldgeschĂ€fte bis in die jĂŒngere Zeit von religiösen Minderheiten - Christen und Juden - wahrgenommen werden mussten. Zwar wollten einige das Verbot gelegentlich abschwĂ€chen, aber es blieb bis heute in Geltung. Eine moderne Volkswirtschaft kann natĂŒrlich nicht ohne eine Zinspraxis funktionieren, und so werden in islamischen LĂ€ndern Wege versucht, etwas Vergleichbares zu praktizieren. Es werden fĂŒr beliehenes Kapital ein Inflationsausgleich und DienstleistungsgebĂŒren erhoben, die faktisch einem Zins gleichkommen. Aber immer noch"enthĂ€lt die weitgehende LĂ€hmung der Zins- und KapitalmĂ€rkte einen Bremseffekt"[5], der lĂ€hmend wirkt und die reibungslose Zusammenarbeit im globalen Bankenwesen stört.
FĂŒr eine Integration islamischer LĂ€nder in das globale Wirtschaftssystem gibt es weitere Probleme. Die wichtigste Quelle reichen Einkommens war in der islamischen Geschichte - neben den durch Eroberungen erworbenen GĂŒtern - vor allem der Handel. Dieser wurde schon zu einer Zeit, als Europa noch in kleine Regionen aufgesplittert war, groĂrĂ€umig betrieben; Waren aus Samarkand wurden nach Damaskus und nach Spanien, aus Sudan und Ăgypten bis in die Mongolei hinein vertrieben. So war traditionell der Handel der bedeutendste Wirtschaftsfaktor, nicht die GĂŒterproduktion. Zwar war mit dem Handel das in den islamischen StĂ€dten betriebene Handwerk verbunden, das in seinen Fertigkeiten bis ins Hohe Mittelalter hinein Europa ĂŒberlegen war. Goldschmiedekunst, Tuch- und Waffenherstellung usf. waren weit entwickelt. Dieses Handwerk allerdings wurde von den HĂ€ndlern lediglich genutzt, sie selbst erzielten die eigentlichen Gewinne, wĂ€hrend die produzierende TĂ€tigkeit im Allgemeinen keinen Reichtum brachte. Vielleicht wurde von dieser Struktur her der Schritt in das industrielle Zeitalter erschwert; noch heute werden gröĂere Produktionsanlagen in islamischen LĂ€ndern oft von Nichtmuslimen in Gang gehalten. Wahrscheinlich ist von daher auch zu erklĂ€ren, dass heute noch reiche Muslime ihr Kapital nur selten in die Schaffung produktiver Industrie investieren; sie kaufen lieber im Westen groĂe Anteile an Besitzfonds oder Aktien.
Viele islamische Eroberer der frĂŒhen Zeit, und auch spĂ€ter noch, kamen aus beduinischem Umfeld; nach ihren Siegen grĂŒndeten sie StĂ€dte, in denen sie urbanisiert wurden. Der Islam war in seiner BlĂŒtezeit eine Stadtreligion. Dabei war wohl von Bedeutung, dass die arabischen StĂ€dte ihren Reichtum nicht auf der Basis einer Ackerbaukultur erreichten, sondern aus dem Handel bezogen, zu dem auch Nomaden eine Beziehung haben, so dass es keinen grundsĂ€tzlichen ökonomischen Bruch zum Beduinentum gab.
"Der Pflug entehrt"
Wenig Interesse besaĂen die Muslime infolgedessen fĂŒr die Bedeutung der Landwirtschaft. Oft war es so, dass intensiver Ackerbau nur noch im Umfeld der StĂ€dte, die diese Versorgungsgrundlage brauchten, betrieben werden konnte. Das sog. flache Land wurde meist beduinisiert.[6] Die Muslime kannten eine Verachtung fĂŒr den Ackerbau."Der Pflug entehrt. Sich seiner zu entledigen, ist ein sozialer, ja fast ein moralischer Sieg"[7]. Hinzu kam die Auffassung, dass aller Boden Besitz des herrschenden Stammes bzw. der Dynastie und so des Staates sei. Dieser Boden konnte nach GutdĂŒnken vergeben werden, aber es kam nur zu einer Art von"nichtpersönlichem Eigentum", eine Rechtspraxis, die sicher auf nomadische Wurzeln zurĂŒckgeht.[8]
Die Zuteilung erfolgte meist an verdiente TruppenfĂŒhrer oder Beamte, die dann in der Stadt wohnten und sich nicht persönlich um ihren Besitz kĂŒmmerten. Anders also als in Europa, wo die Grundbesitzer, Klöster und Adlige, mitten in ihrem Eigentum wohnten und es pflegten, wurde das Land nur ausgebeutet. Bis heute ist die Landwirtschaft im Islam ein Stiefkind.
Zwei weitere PhĂ€nomene behindern ein modernes Wirtschaftssystem: zum einen der weitgehende Ausschluss der HĂ€lfte der Bevölkerung, der Frauen, von einer Mitarbeit im GeschĂ€ftsleben, erst recht in einer selbstĂ€ndigen oder leitenden Funktion. Zwar werden diese EinschrĂ€nkungen in manchen muslimischen Staaten zögerlich aufgehoben, aber die Macht der religiösen Tradition ist so stark, dass diese Versuche nur marginale Erfolge zeigen. Zum anderen ist auch fĂŒr viele TĂ€tigkeiten das rituelle Fasten im Ramadan ein Problem. Industriearbeitern z.B., aber nicht nur ihnen, fĂ€llt es schwer, eine adĂ€quate Leistung zu erbringen, wenn sie vom Aufgang der Sonne bis zum Einbruch der Dunkelheit weder essen noch trinken dĂŒrfen. Deswegen haben manche LĂ€nder, wie z.B. Tunesien, das Fastengebot fĂŒr bestimmte Berufsgruppen aufgehoben, wiederum nur mit mĂ€Ăigen Erfolgen.
Eines der wichtigsten Prinzipien moderner Wirtschaft aber ist - und dabei zeigt sich fĂŒr unsere Frage ein schwerwiegendes Problem -, dass sie nach rationalen und - wenn man so will - nach sĂ€kularen Kriterien ablĂ€uft; Wirtschaft funktioniert ohne unmittelbaren Bezug zu Religion. Zwar kann diese durchaus MaĂstĂ€be aufstellen, die z.B. AuswĂŒchse eines hemmungslosen Kapitalismus mindern, soziale Gesichtspunkte oder den Gedanken der SolidaritĂ€t miteinbringem. Aber die wirtschaftlichen Prozesse selbst besitzen ihre eigene RationalitĂ€t.
Die GesetzmĂ€Ăigkeiten moderner Wirtschaftsprozesse werden aber in islamischen Gesellschaften als Bedrohung der ererbten Religion erfahren. Dies hĂ€ngt sicher teilweise damit zusammen, dass die modernen Wirtschaftsformen in christlichen oder westlichen Gesellschaften, von sog. UnglĂ€ubigen, entwickelt wurden, also als eine Art fremdreligiöser Import empfunden werden. Wichtiger aber noch ist die notwendige SĂ€kularitĂ€t wirtschaftlichen Vorgehens. Der Islam aber ist eine Religion, die von ihren AnfĂ€ngen an bis heute alle gesellschaftliche, politische, rechtliche und wirtschaftliche AktivitĂ€t in ihren Gesellschaften prĂ€gt. Alles ist vom Willen Allahs bestimmt und soll zum Wohle des Islam erfolgen. Eine Unterscheidung zwischen einem religiösen und einem nichtreligiösen Bereich, wie ihn das Christentum von seinen AnfĂ€ngen her kennt -"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist" oder die Unterscheidung zwischen einem geistlichen und einem weltlichen Schwert, zwischen Kirche und Staat -, ist fĂŒr Muslime bis jetzt nicht nachzuvollziehen.
"Der Islam ist eine sĂ€mtliche Lebensbereiche umfassende Religion (oder Ideologie), die nicht nur von ethischen Normen geprĂ€gte GrundsĂ€tze und Vorschriften fĂŒr die private LebensfĂŒhrung des einzelnen enthĂ€lt, sondern auch eine ganze FĂŒlle ebenfalls moralisch-ethisch bestimmter Ver- und Gebote fĂŒr das öffentliche, wirtschaftliche und soziale Leben."[9]
So muss sich auch die Wirtschaft einfĂŒgen in den Islam; er kennt nur eine"normative Ă-konomik".[10] Auch die Wirtschaft unterliegt dem Gesetz der scharia. Raddatz schreibt, dass
"die Ratio, nach der im Islam gewirtschaftet wird, im Prinzip derjenigen entspricht, die auch dem gesamten GefĂŒge aus Religion und Staat zugrunde liegt. Wirtschaften... bedeutet ein Verhalten, das sich im Wesentlichen nach den gleichen GrundsĂ€tzen zu richten hat, die von der shari'a fĂŒr islamisches Denken und Verhalten insgesamt vorgegeben sind."[11]
ModernitĂ€t aber ist notwendig weltlich und damit gegenĂŒber einem Glauben, der von der AllgemeingĂŒltigkeit der koranischen Offenbarung ausgeht, zersetzend. So findet die Adaption modernen Wirtschaftens ihre Grenzen an den gottgegebenen Regeln. Im Versuch, sich nicht ĂŒberfremden zu lassen, erfolgte eine RĂŒckbesinnung auf die eigenen Wurzeln und Fundamente. Schon seit dem 18. Jahrhundert sind fundamentalistische Bewegungen im Islam sehr stark, und seit dem letzten Jahrhundert haben sie eine solche PrĂ€senz erhalten, dass beinahe nicht mehr zwischen dem"eigent-lichen" Islam und ihnen unterschieden werden kann. So wird eine"ordnungs-theoretische Diskussion in den islamischen LĂ€ndern nicht mit dem Ziel der politischen Gestaltung gefĂŒhrt, sondern allein zur islamischen Rechtfertigung einer bereits vorgegebenen Ordnung."[12] Dennoch erzwingt die moderne Wirtschaft zu ihrem Funktionieren gewisse Korrekturen, die aber nicht wirklich akzeptiert werden.
Modernes Wirtschaften setzt die freien AktivitĂ€ten vieler Einzelner voraus, die vor allem ökonomisch zweckrational handeln. Die gesellschaftlichen Bedingungen fĂŒr freie Entscheidungen werden durch die ZwĂ€nge, die von der Glaubensgemeinschaft her und ihrem Rechtssystem, das nicht auf heutige VerhĂ€ltnisse passt, sehr erschwert."Die fĂŒr rationales Wirtschaften unverzichtbare unternehmerische Freiheit ist... weitgehend blockiert und... auf AusnahmefĂ€lle beschrĂ€nkt."[13]
Benjamin R. Barber weist in seinem Buch"Coca-Cola und Heiliger Krieg" besonders auf das Fehlen von Demokratie und Menschenrechten im Islam hin; er fĂŒhrt aus, dass die im Westen entwickelten Formen der Demokratie und der Menschenrechte im Islam als Bedrohung erfahren werden.[14]
Diese aber sind Grundlage der modernen Wirtschaftssysteme; erst die Entscheidungen vieler Einzelner ergeben einen Fortschritt, und wenn diese nicht autonom erfolgen dĂŒrfen und rechtlich geschĂŒtzt sind, wird sich eine blĂŒhende Wirtschaft nicht ergeben."Auf Dauer wird es daher bei dem eher hĂ€ndlerorientierten, konsumptiven System bleiben mĂŒssen, das sich in der... Ausbeutung vorhandener Potentiale erschöpft."[15]
Insgesamt ist also das VerhĂ€ltnis des Islam zur modernen und globalen Wirtschaft ambivalent. Durchaus vorhandene AffinitĂ€ten werden durch gegenlĂ€ufige religiöse Auffassungen und Traditionen behindert. Auch fĂŒr das Gelingen wirtschaftlicher Prozesse scheint im Islam eine AufklĂ€rung erfolgen zu mĂŒssen, die noch aussteht. Zwischen Religion und Gesellschaft bzw. Staat sowie Wirtschaft muss unterschieden werden. Wirtschaftliches Handeln erfordert die Autonomie und die Freiheit der Beteiligten, auch der Frauen, von religiösen EinschrĂ€nkungen.
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