-->Von allen Behörden verlassen
Freitaler fühlen sich nach der Weißeritz-Flut oft im Stich gelassen /"Aktion Lichtblick" versucht finanziell zu helfen
Ihre Geste wirkt so verloren wie der Ort dem sie gilt. Der dunkle Keller, in den Heike Wolf weit ausholend deutet, ist schlammverschmiert und leer. Bis vor kurzem stand dort die Heizung."Die ist hin. Dabei ist sie doch lebensnotwendig für unser Haus", sagt sie und kann die Tränen kaum zurück halten. Die überschäumende Weißeritz hat vielen Freitalern den Traum vom Häuschen regelrecht weggespült. Das Haus der Wolfs steht zwar noch. Die Ausbauarbeit von 13 Jahren ist aber zum großen Teil hin."Unsere Tochter sollte jetzt eigentlich ihr Zimmer beziehen und …" Der Rest geht im Schluchzen unter. In den neuen Zimmern im Erdgeschoss stand das Wasser einen halben Meter hoch. Frau Wolf sieht sich in den kahlen, feuchten Räumen um und fühlt sich vor allem hilflos."Das Einzige, das wir bis jetzt gekriegt haben, war warmes Essen beim DRK."
Vor der Flut gewarnt habe man sie nicht."Wir waren die ganze Zeit im Haus und niemand hat sich blicken lassen." Die Soforthilfe für die Schäden habe man ihr im Rathaus mit der Begründung verweigert, dass die nur für Gewerbetreibende sei. Den Müll, der vor der Flut noch Sofa, Schrank oder Fußboden war, musste ihr Mann selbst entsorgen,"weil niemand kam". Selbst die alte DDR-Hausratversicherung mache ihr das Leben schwer:"Der Vertreter sagt, dass Hochwasserschäden 1993 gekündigt wurden. Nur ein Anwalt könne uns da helfen." Wo sie welche Hilfen bekommen kann, weiß die arbeitslose Mutter zweier Kinder nicht so recht. Ein behördliches Faltblatt mit solchen Infos, das wünscht sie sich. Wie es jetzt weiter geht, weiß sie auch nicht."Der Kredit fürs Haus läuft ja weiter. Einen neuen können wir nicht aufnehmen." Ihre Augen hellen sich auf, als sie von den 30 Helfern vom Dresdner Karnevalsklub erzählt, die das Haus vom Schlamm befreit haben. Als sie plötzlich einige 100-Euro-Scheine in der Hand hält, bricht der Redefluss ab. In zitternden Händen hält sie Spendengeld, dass die"Aktion Lichtblick" verteilt."Das ist wirklich ein Lichtblick für uns. Vielleicht reicht es für die neue Elektrik" sagt sie dann und steckt das Geld in die Tasche.
"Ich stand in Unterhemd und Jogginghose mitten in der Nacht bei Bekannten vor der Tür", erzählt Steffen Kaiser. Die Flut habe von der Wohnung nichts übrig gelassen. Eine neue findet der Sozialhilfeempfänger nicht."Ich habe es wohl falsch gemacht. Statt woanders Schlamm zu schippen hätte ich mich gleich um mich selbst kümmern sollen", sagt er resigniert. Beim städtischen Wohnungsamt würde man jetzt nur mit den Schultern zucken."Seit einer Woche renne ich jeden Tag hin. Nichts!" Aber die Hoffnung hat er noch nicht aufgegeben, von der Spende etwas für eine neue Wohnung kaufen zu können.
Irene Pohle geht es ein wenig besser. Ihre Tochter Rosemarie hat sie aufgenommen und nun, nach tagelangen Laufereien, zumindest eine neue Bleibe für sie gefunden. Die neue Wohnung der alten Frau wird aber erstmal ziemlich leer bleiben. Bei einer Spendenstelle habe man eine Waschmaschine für die Mutter reservieren lassen, die merkwürdigerweise 120 Euro kosten sollte. Bekommen hat Frau Pohle sie dennoch nicht."Die hat jemand anderes gekriegt, wurde uns am nächsten Tag gesagt." Alle Wege erledigt die Tochter für ihre schwerhörige Mutter, zwischen den Diensten als Krankenschwester. Grund zur Klage habe sie nur bei einigen Vermietern."Die verlangen zwei Kaltmieten Provision von den Hochwasseropfern", schimpft sie. Von der Lichtblick-Spende will sich Irene Pohle Bett und Schrankwand für die neue Wohnung weit weg vom Wasser kaufen.
Nachts kommen die Flutwellen wieder
Ganz anders macht das Hochwasser Gerhard Hille und seiner Frau zu schaffen. Sie wurden bei der Flut der Weißeritz in letzter Minute gerettet, vom Dach des überfluteten Hauses mit dem Helikopter."Wir hätten nie gedacht, hier heil rauszukommen", erzählt sie. Er erinnert sich an ohrenbetäubendes Krachen, als Wassermassen und Treibgut sämtliche Türen und Fenster aufdrückten. Das Drama ist für die beiden lange nicht zu Ende."Nachts können wir nicht schlafen." Sie schließen die Augen und sehen Wellen und reißende Strömungen auf sich zukommen. Jetzt sind sie äußerlich heil zurück im Haus und überwachen die Luftentfeuchter, die das Wasser aus den Wänden saugen. Ob das Haus noch bewohnbar ist, wissen die Hilles nicht. Der Gutachter war noch nicht da. Bis der seinen Bericht schreibt, gibt es keinen Cent von der Versicherung. Lichtblick versucht mit Spendengeldern, auch in Freital den am schwersten Betroffenen über die erste Not zu helfen, wieder ein bisschen Mut zu machen.
Mut brauchte besonders Renate Deutschländer. Die 77-Jährige hat ihren Mann verloren. Er lag im Kreiskrankenhaus Freital und musste evakuiert werden, zuerst in eine vor dem Hochwasser sichere Schule, dann in eine Klinik in Leipzig. Dort ist er gestorben. Die Ärzte haben ihr gesagt, dass ihr Mann sehr schwach war, bedingt durch einen Tumor, aber auch durch die Verlegung."Warum müssen wir so leiden?" Renate Deutschländer blickt stumm ins Nichts. Hinter ihr an der Wand stehen die Krücken ihres Mannes."Keiner hätte gedacht, dass er nicht wieder nach Hause kommt. Jetzt bin ich ganz allein." Mit dem Geld der"Aktion Lichtblick" will sie die Überführung ihres toten Mannes von Leipzig nach Freital bezahlen. Keine Spende kann ihr den Verlust ersetzen. Aber die alte Frau lächelt und freut sich, dass jemand an sie denkt, ihr helfen will.
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<ul> ~ Quelle - Sächsische Zeitung 2002-08-30</ul>
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