-->Unter dem Druck der Abgabenlast
Arbeitgeber und Union erwarten Beitragsbelastung
von mehr als 42 Prozent der Einkommen
ami. BERLIN, 1. September. Unternehmen und
Arbeitnehmer müssen sich zum Jahreswechsel auf eine
deutliche Erhöhung der Sozialabgaben einstellen. Angesichts
der schwachen Konjunktur, steigender Arbeitslosigkeit und
wachsender Ausgaben der Sozialversicherung erwarten
Arbeitgeber und Opposition eine Erhöhung der
Sozialversicherungsbeiträge um rund einen Prozentpunkt auf
dann 42,3 Prozent der Arbeitnehmereinkommen. Die
Gewerkschaften schließen höhere Abgaben für die Kranken-
und Rentenversicherung nicht aus, verweisen aber auf
Tariflohnsteigerungen, die entlastend wirkten. Die
Bundesregierung bestreitet die Notwendigkeit höherer
Sozialbeiträge. Sie war 1998 auch damit angetreten, deren
Anteil auf 40 Prozent zu senken.
In der Rentenversicherung werde der Satz"zum 1. Januar
2003 auf mindestens 19,5 Prozent steigen", sagte der
Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, dieser Zeitung.
Nur durch die Absenkung der gesetzlichen Mindestrücklage
sei er bisher bei 19,1 Prozent stabil geblieben. Ohne die
Einnahmen aus der Ã-kosteuer stieg der Satz sogar auf 21,7
Prozent. In der Krankenversicherung sei mit einem Plus von
"mindestens 0,5 Prozentpunkten auf dann 14,5 Prozent" zu
rechnen, sagte Hundt. Da auch in der Pflegeversicherung
"vollkommene Tatenlosigkeit" herrsche und deren Reserven
in wenigen Jahren aufgezehrt seien,"brennen gleich drei
Lunten in der Sozialversicherung lichterloh", sagte Hundt.
Mit einem Beitragssatzanstieg in der Sozialversicherung von
"einem satten Prozentpunkt" kalkuliert der
CSU-Sozialpolitiker Horst Seehofer zum Jahreswechsel. Die
Finanzierungsprobleme der Sozialversicherung seien größer
als bisher befürchtet, sagte der Kandidat der Union für das
Amt des Sozial- und Gesundheitsministers dieser Zeitung. In
der Rentenversicherung müsse man mit einem Anstieg von
bis zu einem halben Prozentpunkt rechnen. Erschwert werde
die Lage durch die mit der Riester-Rente ermöglichte
Gehaltsumwandlung, die die Beitragseinnahmen schmälere.
In der Krankenversicherung erwartet der frühere
Gesundheitsminister ein noch höheres Defizit im dritten
Quartal, weil die Ausgabendisziplin vor den für die
kommende Wahlperiode angekündigten Reformen
nachlassen werde.
Im ersten Halbjahr haben die gesetzlichen Krankenkassen,
die annähend 90 Prozent der Bevölkerung versichern, ein
Defizit von mehr als 2 Milliarden Euro angehäuft (F.A.Z.
vom 29. August). Die offiziellen Zahlen will
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) an diesem
Montag vorlegen. Seehofer kalkuliert auch deshalb in der
GKV - wie Hundt - mit einer Erhöhung der Beitragssätze um
einen halben Prozentpunkt. Letztlich werde die schon
schwache Konjunktur damit abermals"in die Zange"
genommen. Der Bevölkerung würden Milliarden entzogen,
die sonst in den Konsum flössen.
Zurückhaltender äußerte sich die stellvertretende
Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftbunds (DGB),
Ursula Engelen-Kefer."In jedem Fall werden sich die
verschlechterte Konjunktur und die höhere Arbeitslosigkeit
auswirken", sagte sie auf Anfrage. Die genauen Folgen für
die Sozialversicherungsbeträge seien aber derzeit noch nicht
abzuschätzen, weil die negativen Einflüsse teils durch höhere
Tarifabschlüsse ausgeglichen werden könnten, die - wie in
der Metall-, Druck- oder Chemieindustrie - erst in der
Jahresmitte oder - wie im Bauhauptgewerbe - erst zum 1.
September in Kraft getreten seien.
Die Bundesregierung hatte Spekulationen über höhere
Beitragssätze bisher immer zurückgewiesen. Erst in der
Vorwoche hatte der Verband der Rentenversicherungsträger
erklärt, die Beitragssätze müßten auf 19,5 Prozent erhöht
werden. Aktuell liegen die Sätze in der Rentenversicherung
bei 19,1 Prozent, sie werden allerdings durch
Milliarden-Überweisungen aus der Ã-kosteuer stabilisiert. In
der Krankenversicherung liegt der Durchschnittssatz bei 14,0
Prozent, in der Pflegeversicherung bei 1,7 Prozent und in der
Arbeitslosenversicherung bei 6,5 Prozent. Erhoben werden
die Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung auf
Arbeitnehmereinkommen von bis zu 3375 Euro im Monat und
in der Renten- und Arbeitslosenversicherung auf
Monatseinkommen bis zu 4500 Euro im Westen und 3750
Euro in den neuen Ländern. Arbeitgeber und Arbeitnehmer
zahlen die Beiträge hälftig, wobei in Sachsen die
Arbeitnehmer mit 1,35 Prozentpunkten einen höheren Anteil
an der Pflegeversicherung tragen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.09.2002, Nr. 203 / Seite 9
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