-->Argentinier horten lieber goldenes
Korn als buntes Papier
Getreide ersetzt den Peso als Zahlungsmittel / Farmer
produzieren ihre Währung / Von Carl Moses
BUENOS AIRES, 20. September. Argentiniens Landwirte
kommen in der dramatischen Wirtschaftkrise des Pampalandes
bisher relativ glimpflich davon. Sie verfügen über etwas, das
die meisten ihrer krisengeplagten Landsleute schmerzlich
vermissen - eine stabile Währung. Noch besser: Sie können
diese Währung selbst"emittieren" beziehungsweise
produzieren. Argentinien gehört zu den größten Exporteuren
von Getreide und Ã-lsaaten in der Welt. Soja, Weizen, Mais und
ähnliche Erzeugnisse werden weltweit in Dollar gehandelt. Zu
Beginn dieses Jahres hatte Argentiniens Regierung die
Zahlungsunfähigkeit erklärt und den Peso vom Dollar
abgekoppelt - und damit dem freien Fall preisgegeben. Parallel
dazu wurden die Bankkonten der Argentinier eingefroren und
Dollarguthaben mit einem Federstrich des
Übergangspräsidenten Eduardo Duhalde in Pesos
umgewandelt. Seither horten viele Landwirte ihre Ernten. Vor
allem Sojabohnen, bei denen Argentinien im Agrarjahr
2001/2002 (Oktober bis September) eine Rekordernte von 30
Millionen Tonnen eingefahren hatte, werden nur langsam
verkauft."Die Bauern sitzen auf großen Beständen", bestätigt
Nils Krage, Getreidehändler bei Alfred C. Toepfer in Buenos
Aires."Wir verkaufen nur so viel, wie wir zum Leben und für
den Erwerb von neuem Saatgut und anderen Vorprodukten
benötigen", erklärt der Landwirt Ricardo Grether, der mit
seinen 500 Hektar Ackerland im ausgedehnten Flächenstaat
Argentinien zu den mittelgroßen Produzenten gehört. Mit dieser
Strategie sind Grether und seine Kollegen bisher gut gefahren.
Während der Peso in wenigen Monaten mehr als 70 Prozent
seines Wertes verloren hat, sind die Weltmarktpreise der
wichtigsten argentinischen Agrarprodukte sogar deutlich
gestiegen. Doch selbst bei weniger günstigen Preistendenzen
würden die Argentinier vermutlich lieber goldenes Korn als
"papel colorado" (buntes Papier) horten."Was sollen wir sonst
machen?" fragt Grether."Wenn wir verkaufen, bekommen wir
nur Pesos, denn alle Dollars müssen bei der Zentralbank
abgeliefert werden." Vertrauen in den Peso kann angesichts der
wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit niemand haben.
Die Pesos gleich wieder in Dollar zu tauschen und im Hause
aufzubewahren ist heute auch keine gute Alternative mehr. Zu
unsicher ist die Lage selbst auf dem ehemals so friedlichen
Land geworden. In den vergangenen Monaten sind mehrfach
Farmer und Landarbeiter bei Raubüberfällen ermordet worden.
"Zur Bank bringen will das Geld erst recht niemand, keiner
weiß, was man da wiederbekommt", sagt Grether.
"Getreide im Silo ist wie Dollars im Safe", erklärt Marcela
Cristini von der Forschungsstiftung FIEL."Gegen Abwertung
und Inflation schützt das Silo besser als ein Bankkonto." Nicht
nur zur Wertaufbewahrung, auch als Recheneinheit und
Zahlungsmittel werden Getreidetonnen allgemein anerkannt.
"Auf dem Land werden viele Preise in Getreideäquivalent
angegeben", schildert Krage. Langfristige Tauschabkommen
(Planes Canje) mit Chemiefirmen wie BASF und Monsanto
über die Lieferung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln
gegen Agrarprodukte sind schon lange üblich. Inzwischen
werden auch Landmaschinen und Autos gegen Getreide
verkauft. Der Wert der Maschine wird durch den Tagespreis
der Getreidetonne dividiert, so ergibt sich die zu liefernde
Menge an Korn. So kostete der Pick-up Hilux von Toyota
zuletzt 90 Tonnen Sojabohnen, das entspricht etwa drei
Lkw-Ladungen. Mit Rückgriff auf Terminmarkt-Preise können
auch Kreditverkäufe zur Bezahlung aus kommenden Ernten
vereinbart werden.
Seit einigen Jahren verfügen die meisten Landwirte zudem über
Ausrüstungen, um ihre Erzeugnisse an Ort und Stelle in
Kunststoffsäcke oder ähnliche provisorische Lagerbehältnisse
abzupacken. Damit sparen sie nicht nur Silokosten, kleine
Mengen zur Bestreitung des Lebensunterhalts sind immer
verfügbar."Meine Soja liegt noch in den Säcken", sagt
Landwirt Grether.
Falls sich Argentinien durch drohende Zahlungsausfälle
gegenüber dem Internationalen Währungsfonds endgültig aus
dem Weltfinanzsystem verabschieden sollte, könnte der
Barterhandel mit Getreide womöglich auch bei internationalen
Geschäften an Bedeutung gewinnen. Einen Vorgeschmack
liefert die Verwaltung der Agrarprovinz Santa Fé: Die
verhandelt mit der Regierung Südkoreas über den Kauf von
Polizeiautos, kugelsicheren Westen, Waffen und Munition.
Bezahlen will Santa Fé mit Soja, Weizen, Mais und
Sonnenblumenkernen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.09.2002, Nr. 220 / Seite 19
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