-->In Großbritannien kennen
Immobilienpreise kaum Grenzen
Größte Spekulationsblase der westlichen Welt? /
Optimisten verweisen auf niedrige Zinszahlungen
chs. LONDON, 23. September. In Großbritannien bildet sich
die größte Immobilienblase der westlichen Welt. So sehen es
jedenfalls die Skeptiker, die auf die zweistelligen Zuwächse bei
den Hauspreisen seit Jahresanfang verweisen. Die meisten
Indikatoren zeigen einen Anstieg von 20 Prozent oder mehr.
Der Preis für ein durchschnittliches Haus hat sich in den
vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Im Großraum London,
wo die Verdoppelung in vielen Gegenden schon in fünf Jahren
erreicht wurde, zeichnet sich jedoch eine Verlangsamung der
Nachfrage ab. Dies ist vor allem mit der stärkeren Einbindung
der Region in die Weltwirtschaft zu erklären - besonders
wegen der Londoner City, in der viele Investmentbanker
entlassen werden. Doch dafür holen nun andere Regionen
Großbritanniens wie Nordengland, East Anglia und die East
Midlands mächtig auf.
Die Hoffnungen auf eine Verlangsamung des Anstiegs sind
bisher enttäuscht worden. Die jüngste Meldung kommt von der
Online-Beratungsgesellschaft Rightmove, die allein für
September von einem Preiszuwachs von 2,3 Prozent berichtet,
was den Anstieg seit Jahresbeginn auf 22,2 Prozent treibt.
Beunruhigend ist für viele Beobachter, daß der Anteil der
Hauspreise am durchschnittlichen Einkommen - eine Art
Kurs-Gewinn-Verhältnis des Immobilienmarktes - sich wieder
jenen Höchstständen nähert, die Großbritannien Ende der
achtziger Jahre erreicht hatte. Der kurz darauf einsetzende
Einbruch der Hauspreise trug wesentlich zur schweren
Rezession Anfang der neunziger Jahre bei. Die Inflation der
Immobilienpreise bringt die britische Notenbank in ein
Dilemma. Denn sie erschwert die Senkung der Leitzinsen, die
angesichts der langen Rezession im verarbeitenden Gewerbe
und einer weiteren weltwirtschaftlichen Abschwächung
erforderlich werden könnte.
Großbritannien übertrifft mit seinen atemberaubenden
Wertgewinnen selbst die Vereinigten Staaten spielend. Stephen
Roach, Chefökonom von Morgan Stanley, glaubt, daß die Blase
auf dem amerikanischen Immobilienmarkt bald platzen werde.
Für den britischen Markt gelte dies erst recht. Wenn
Immobilienmärkte kollabieren, hat dies meist schwere
volkswirtschaftliche Konsequenzen: In den westlichen
Industrienationen ist deutlich mehr Geld in Immobilien
investiert als in Aktien oder anderen Anlagen. Auch in Amerika
ist dies wieder der Fall, nachdem Ende der neunziger Jahre die
Aktien den Hausbesitz kurz übertroffen hatten. Im Vergleich
zum Aktienbesitz haben sich die Menschen für den Hausbesitz
zudem stark verschuldet, was Immobilienkrisen aufgrund der
zu befürchtenden Hebeleffekte so gefährlich macht.
In Großbritannien, wo 70 Prozent der Bevölkerung
Immobilieneigentum besitzen, halten zudem die meisten
Hauskäufer ihre Zinsen flexibel. Die monatliche Belastung
ändert sich mit der Schwankung der Leitzinsen. Nach Angaben
von FPD Savills, einem der größten Immobilienmakler des
Landes, haben nur 40 Prozent der Investoren einen Festzins
von zwei oder mehr Jahren vereinbart. Eine Zinserhöhung
dürfte viele Hausbesitzer also empfindlich treffen. Anfang der
neunziger Jahre schoß der Leitzins von 8 auf 14 Prozent und
brachte die Hauspreise erstmals seit den sechziger Jahre zum
Fallen. Die steigende Arbeitslosigkeit tat ein übriges, um für
viele Hausbesitzer die monatliche Hypothekenrechnung
unbezahlbar zu machen.
Am Punkt der Leitzinsen setzen freilich die Optimisten unter
den Immobilienexperten an. Sie glauben, daß die Zinsen auf
absehbare Zeit nicht vergangene Hochständeerreichen werden.
Der durchschnittliche Hypothekenzins liegt derzeit bei 4,3
Prozent. Auf dem umkämpften Markt der Hypothekenkassen,
der 4000 verschiedene Produkte bietet, sind sogar
Zweijahresdarlehen zu wenig mehr als 3 Prozent zu haben.
Weil die britische Regierung seit der Wahl von Labour
vorsichtig mit der Staatsverschuldung umgehe und die in die
Unabhängigkeit entlassene Bank von England erfolgreich die
Gesamtinflation unter Kontrolle halte, sei ein Zinssprung wie in
der Vergangenheit nicht zu befürchten, hoffen die Optimisten.
Richard Donnell, Ã-konom bei FPD Savills, weist ähnlich wie
die Notenbank zudem auf die Tatsache, daß die monatliche
Hypothekenbelastung im Vergleich zum Einkommen seit rund
zehn Jahren stabil bei rund 25 Prozent liege und damit weit
entfernt sei von den Höchstständen Anfang der neunziger
Jahre. Auch gebe es fundamentale Gründe für die
Preiszuwächse. Aufgrund der restriktiven Genehmigungspraxis
werden derzeit nur rund 140 000 Häuser und Wohnungen im
Jahr gebaut, rund ein Prozent des gesamten Bestandes -"relativ
zur Bevölkerung die niedrigste Rate unter den westlichen
Industrienationen", sagt Donnell. Gleichzeitig erleben
verschiedene Regionen wie London weiterhin einen erheblichen
Zuzug von Menschen, und auch demographische
Entwicklungen wie"Single-Haushalte" sorgen für mehr
Wohnraumbedarf."Wir haben wegen der Knappheit von
Immobilien, die auf den Markt kommen, vor allem zu
niedrigeren und mittleren Preisen einen Verkäufer-Markt", sagt
Miles Shipside, Rightmove.
Ein Spiegelbild der weltwirtschaftlichen Entwicklung liefert
alleine der Markt für gemietete Immobilien, wo die Mieten in
diesem Jahr stark gesunken sind, in den guten Lagen Londons
etwa um 15 Prozent.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2002, Nr. 222 / Seite 31
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