-->24.11.2002 - 13:45 Uhr
EICHELS STEUERPAKET - Der entblößte Anleger
Spekulationsfrist und Bankgeheimnis werden abgeschafft.
Die Finanzbehörden bekommen Einblick in alle Geldgeschäfte der Anleger.
Experten erwarten eine neue Kapitalflucht ins Ausland.
Die Wege sind bereits geebnet.
von Thorsten Schüller / Euro am Sonntag
Als Infineon im März 2000 an die Börse ging, nahmen Tausende von Anlegern Zeichnungsgewinne von 100 Prozent mit. Wer damals, auf dem Höhepunkt des Booms, Aktien von Intershop, Morphosys oder Mobilcom, den einstigen Stars des Neuen Marktes, verkaufte, fuhr mehrere hundert, teilweise mehrere tausend Prozent Gewinn ein. Dem Finanzamt erzählten viele Anleger davon nichts.
Das könnte sich rächen."Steuervergünstigungsabbaugesetz" heißt der Knüppel, mit dem Bundesfinanzminister Hans Eichel Steuersünder kleinkriegen will. Nach vielem Hin und Her hat Eichel jetzt den endgültigen Entwurf zu diesem Gesetz vom Kabinett absegnen lassen. Das Werk fällt zwar weit weniger harsch aus als ursprünglich befürchtet; doch vor allem ein Punkt hat es in sich: Der Finanzminister will das Bankgeheimnis abschaffen.
Einmal jährlich sollen die Banken künftig dem Bonner Bundesamt für Finanzen Kontrollmitteilungen ihrer Depotkunden zuschicken, das diese an die Finanzämter weiterleitet. Das heißt für Anleger: Der örtliche Finanzbeamte kann aus diesen Mitteilungen erkennen, welche Zins- und Kapitaleinkünfte der Steuerpflichtige im vergangenen Jahr hatte und ob er Gewinne mit Wertpapieren gemacht hat. Axel Diebold, Leiter des Finanzamtes Augsburg-Land:"In Zukunft ist es nicht mehr Zufall, wenn wir verschwiegenen Veräußerungsgewinnen auf die Spur kommen, sondern Systematik." Der gläserne Bürger wird Wirklichkeit.
Viele Anleger bringt nun die Erinnerung an längst vergangene Trades um den Schlaf. Denn wer bislang keine Gewinne oder Verluste aus Wertpapiergeschäften deklariert hat, könnte jetzt den Argwohn der Finanzbeamten wecken."Wer bisher nie etwas angegeben hat, nun aber mit einem Mal mit 20000 Euro Verlust oder Gewinn in der Steuererklärung auftaucht, muss damit rechnen, dass der Finanzbeamte in der Vergangenheit dieses Anlegers forscht", sagt Medard Fuchsgruber vom Bund der Kapitalanleger. Denn in diesem Fall könnte der Finanzbeamte vermuten, dass der Bürger bereits seit längerem über einen erheblichen Grundstock an Wertpapieren verfügt. Im Übrigen ist dem Beamten sehr wohl bekannt, dass in den Jahren 1999 und 2000 schnell hohe Kursgewinne zu machen waren. Auch der Augsburger Finanzamts-Chef Diebold weiß, wann er tiefer in den Finanzen der Bürger bohren muss:"Wenn jemand deutlich über dem Sparerfreibetrag liegt oder ein Grundstück verkauft hat, schauen wir genauer hin."
Ausflüchte wie"Ich habe die Belege nicht mehr" lassen die Finanzbeamten dabei kalt. Entweder schätzen sie in diesem Fall die verschwiegenen Gewinne der Vergangenheit oder sie wenden sich an die Banken, die die Belege ihrer Kunden zehn Jahre lang aufheben müssen. Allerdings schränkt Diebold ein, dass es auf Grund von Personalmangel nicht möglich sei, alle Bürger genau zu kontrollieren."Wir müssen uns auf die markanten Fälle konzentrieren."
Nicht nur die Finanzbeamten werden künftig tiefer wühlen. Es ist auch im Gespräch, die Kontrollmitteilungen an die Sozialversicherungsträger weiterzuleiten. Rentenversicherer, Sozial- und Arbeitsämter sowie Krankenkassen kämen damit einfacher als bisher dem Vermögen der Versicherten auf die Spur, was beispielsweise bei der Unterhaltspflicht von Kindern für ihre sozialhilfepflichtigen Eltern von Bedeutung ist. Beobachter fürchten ferner, dass die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge künftig auch von den Kapitalerträgen und Veräußerungsgewinnen abhängig gemacht werden könnte.
Erträglich ist aus Sicht vieler Kapitalmarktexperten hingegen Eichels Plan, Gewinne aus Wertpapier- und Immobiliengeschäften künftig unabhängig von der Haltedauer pauschal mit 15 Prozent zu besteuern. Bei Verkäufen von Aktien soll dabei das Halbeinkünfteverfahren gelten, sprich: Nur die Hälfte des Gewinns wird versteuert. Unterm Strich entspricht dies einer Besteuerung von 7,5 Prozent.
Komplizierter ist die Besteuerung von Fonds. Zinsen und Dividenden sollen nach dem augenblicklichen Diskussionsstand auf den Anleger umgelegt werden. Er muss diese Erträge mit seinem persönlichen Steuersatz versteuern. Das gilt auch für Veräußerungsgewinne, die der Fondsmanager erzielt. Wenn der Anleger seine Fondsanteile verkauft, werden bereits versteuerte Erträge abgezogen. Bei reinen Aktienfonds gilt das Halbeinkünfteverfahren, sonstige Gewinne aus der Veräußerung von Fondsanteilen, beispielsweise Anteile an Rentenfonds, sollen pauschal mit 15 Prozent besteuert werden.
Sowohl für Veräußerungen von Wertpapieren und Fonds als auch für Verkäufe von Immobilien wird eine Stichtagsregelung eingeführt: Bei Wertpapieren und Immobilien, die vor dem 21.2.2003 - wenn der Entwurf den Bundestag passieren wird - erworben wurden, soll beim Verkauf der gesamte Erlös mit 0,75 Prozent besteuert werden. Beispiel: Wer im Herbst 1999 Porsche-Aktien zu 150 Euro gekauft hat und sie nun zu 470 Euro abstößt, zahlt 0,75 Prozent Steuern auf die gesamten 470 Euro, also 3,5 Euro. Hat der Anleger nachweislich Verlust gemacht, zahlt er keine Steuern.
Zwar kündigte die Opposition bereits an, das Gesetz Mitte März im Bundesrat zu kippen. Über Verhandlungen im Vermittlungsausschuss könnte es aber - in abgeänderter Version - doch noch Wirklichkeit werden. Die Finanzmarktexperten kalkulieren jedenfalls mit der jetzigen Version - und finden zumindest für die Pauschalsteuer durchaus lobende Worte:"Damit liegen wir im internationalen Vergleich am unteren Ende der Skala", sagt Gertrud Traud, Chefstrategin der Bankgesellschaft Berlin. Ähnlich Franz-Josef Leven, Direktor des Deutschen Aktieninstitutes (DAI):"Gegenüber den bisherigen Plänen bedeutet das eine deutliche Verbesserung."
Kritik entzündet sich an der rückwirkenden Besteuerung:"Das ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Im Übrigen greifen die Regeln in die langfristig geplante Altersvorsorge vieler Bürger ein", wendet der Bundesverband deutscher Banken ein. Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), fordert steuerliche Ausnahmeregelungen für Altersvorsorge und Vermögenswirksame Leistungen.
Bleibt es auf Dauer bei der moderaten Pauschalsteuer? Fachleute wie Rüdiger Parsche vom Münchner Ifo-Institut (siehe Interview Seite 13) haben Zweifel. Auch Steuerexperte Fuchsgruber vom Bund der Kapitalanleger befürchtet:"Das ist ein Türöffner. Die Regierung kann diesen Satz künftig leicht heraufsetzen, je nach Höhe des Haushaltsdefizits." Allerdings sehen Steuerexperten im Bundesfinanzministerium den Spielraum für Erhöhungen begrenzt:"Will man die internationale Vergleichbarkeit beibehalten, sind einer Anhebung des Steuersatzes enge Grenzen gesetzt", heißt es dort. In jedem Fall dürfte Eichels Zugriff auf die privaten Depots und Kapitalerträge die Anleger sehr unterschiedlich treffen. Während Angestellte mit Hilfe der Kontrollmitteilungen künftig leicht erfasst werden können, dürften Selbstständige laut Fuchsgruber weiterhin"die Spielwiese abgrasen", um Schutz vor dem Steuerhunger Eichels zu finden. Fuchsgruber:"Die Kleinen wird man hängen, die Großen werden sich ihre Schlupflöcher suchen." Er befürchtet, dass gerade viele Normalbürger im Versuch, einen Teil ihres Vermögens vor dem Fiskus zu retten, in dubiose Steuer sparende Graumarktprodukte flüchten. Vermögende und Selbstständige könnten Gewinne leichter mit Verlusten aufrechnen. Oder ihr Kapital ins Ausland verfrachten.
In der Tat nehmen zahlreiche Finanzmarktexperten an, dass, ähnlich wie nach Einführung der Zinsabschlagsteuer 1993 nun erneut eine Steuerfluchtwelle entstehen dürfte. Damals flossen innerhalb weniger Monate rund 50 Milliarden Mark allein nach Luxemburg."Zusätzliche Kontrollen führen nicht zu mehr Steuerehrlichkeit, sondern provozieren eher Ausweichreaktionen", so Manfred Weber, Hauptgeschäftsführer des Vorstands des Bundesverbandes deutscher Banken.
Die Alternativen sind verlockend: Die Geldinstitute in Ã-sterreich, Liechtenstein, der Schweiz und Luxemburg locken mit strikter Verschwiegenheit, niedrigen Steuern sowie lukrativen Zinsen. Dort stellt man sich bereits auf zunehmenden Besuch deutscher Kundschaft ein. Ein Banker der Zürcher Kantonalbank:"Seit der Bundestagswahl haben schon viele Deutsche angefragt, wie sie ihr Vermögen am besten außer Landes bringen können." Arthur Klauser, Leiter des Privatkundengeschäfts der Hypo-Bank Kleinwalsertal, drückt sich vorsichtiger aus. Er rechnet mit"neuen Impulsen".
Jenseits der Grenzen wird der Kunde herzlich empfangen. Klauser serviert zwischen Skiabfahrt und Kontoeröffnung Essen und Getränke. Bei der Raiffeisenbank Kleinwalsertal wird der Anleger auf eine Massageliege gebettet. Tipps gibt es gratis dazu. Die Banker empfehlen, das Geld in Tranchen von maximal 15000 Euro über die Grenze zu bringen. Erwischen die Mobilen Einsatzgruppen des deutschen Zolls den Reisenden mit mehr Geld im Gepäck, ergeht automatisch eine Meldung ans Finanzamt.
Doch die Gefahr, auf dem Weg zur Bank in einem der Alpenstaaten aufgehalten und durchsucht zu werden, ist gering. Die Einsatzgruppen sind personell hoffnungslos unterbesetzt."Wir bräuchten Legionen von Beamten, wenn wir nur fünf Prozent aller Reisenden kontrollieren wollten", sagt Jürgen Spelten, Sprecher der Zollabteilung Freiburg. Im Übrigen seien viele kleine Grenzübergänge in die Schweiz nur sporadisch besetzt.
Wer statt der Flucht über die Grenzen die Flucht nach vorn antreten will, kann seine Steuersünden aus der Vergangenheit selbst anzeigen. Straffrei bleibt man nach Angaben der Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Barbara Hendricks, jedoch nur,"wenn die Tat noch nicht entdeckt und kein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden ist." (Das Interview mit Barbara Hendricks unter www.eurams.de). Leichtfertige Steuerhinterziehung kann mit bis zu 50000 Euro Strafe geahndet werden, vorsätzliche Hinterziehung mit Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren. Aber: Wie viele schweigsame Neue-Markt-Anleger tatsächlich satte Gewinne zu beichten haben, weiß niemand.
Quelle: Finanzen.net
<ul> ~ http://www.finanztreff.de/ftreff/news.htm?id=20333176&r=0&sektion=topthemen&awert=&u=0&p=0&k=0</ul>
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