-->Bananenrepublik Deutschland?
Korruption ist eine Wachstumsbranche. Allein in Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Verfahren innerhalb eines Jahres verdoppelt. Kriminalisten fordern mehr Personal und schärfere Maßnahmen gegen den Filz.
Von JÜRGEN STOCK
WIESBADEN. Deutsch sein. Das stand einmal für preußische Tugenden: Korrekt, ehrlich, unbestechlich. Doch die Skandale um die mit Politikerhilfe überteuert gebaute Müllverbrennungsanlage in Köln oder der Korruptionssumpf in der Wuppertaler Stadtverwaltung haben dieses Bild nachhaltig geändert. Im Jahr 2002 liegt die Bundesrepublik im Korruptions-Ranking der internationalen Anti-Bestechungs-Organisation Transparancy International nur noch auf Platz 18 - und damit schlechter als die meisten vergleichbaren Industrieländer. Geschätzter Schaden durch Korruption pro Jahr: rund fünf Milliarden Euro.
Deutschland auf dem Weg zur Bananenrepublik? Oder sind da nur wenige schwarze Schafe am Werk, die ehrbare Politiker und hart arbeitende Wirtschaftsleute in Verruf bringen?"Wo immer Autobahnen, Klärwerke oder Flughäfen gebaut werden, können wir davon ausgehen, dass Korruption im Spiel ist", meint Britta Bannenberg. Die Bielefelder Jura-Professorin hat 101 abgeschlossene Korruptionsverfahren in Deutschland ausgewertet. Das Ergebnis ihrer gestern auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden vorgestellten Studie lässt nur einen Schluss zu: Der Schimmelpilz aus Bestechung und Vorteilsannahme, der Filz zwischen Politik und Wirtschaft hat das gesamte Land befallen. In NRW etwa ist die Zahl der Korruptionsverfahren von 2000 auf 2001 von 68 auf 138 gestiegen.
Doch solche Zahlen sagen nicht viel aus. Zum einen, weil das Dunkelfeld riesig ist. Wolfgang Schaupensteiner, Oberstaatsanwalt in Frankfurt, schätzt, dass von 100 Korruptionsdelikten höchstens fünf bekannt werden. Zum anderen ist auch die Qualität der Ermittler entscheidend dafür, ob ein Korruptionsgeflecht überhaupt aufgedeckt und dann statistisch erfasst wird. Die Fälle Wuppertal und Köln zeugen eben auch von der über die Jahre gewachsenen Professionalität von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Rolf Jäger, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in NRW, glaubt, dass ähnliche Delikte auch in anderen Städten aufgedeckt werden könnten. Doch es gibt zu wenige qualifizierte Fahnder."Wir brauchen dringend ausgebildete Wirtschaftsprüfer, Bankkaufleute und Steuerberater als Kriminalisten", fordert Jäger. Doch in NRW - wie in den meisten anderen Bundesländern - müssen Polizisten erst Streife fahren oder den Castor bewachen, ehe sie sich spezialisieren können. Beste Voraussetzungen also für die"Wachstumsbranche Korruption", stellt Schaupensteiner fest.
Seine Behörde, die über Jahre hinweg Erfahrungen mit Bestechung und Betechlichkeit sammeln konnte, deckte in Frankfurt zwei Korruptionsringe mit insgesamt mehr als 300 Beteiligten auf. Ausgangspunkt waren Einzelermittlungen gegen zwei Beschuldigte. Ohne die systematischen Nachforschungen der Behörden wären die Netzwerke im Hintergrund unentdeckt geblieben.
Wer sind die Täter?"In der Regel Entscheidungsträger", antwortet die Kriminalistin Bannenberg."Zu 98 Prozent Männer, ehrgeizige Aufsteiger, die in ihren Behörden oft 14 Stunden am Tag arbeiten und meinen, dass sie deshalb das Recht hätten, genau so viel zu verdienen wie in der freien Wirtschaft. Das sind Leute, die Untergebene disziplinieren, wenn sie zehn Minuten zu spät kommen, selbst aber alle Regeln brechen."
Was kann man gegen den Filz tun? Schaupensteiner hat zehn Punkte zur Korruptionsbekämpfung zusammengestellt. Kernforderungen: Bundesweit müssten Firmen, die wegen Bestechungsdelikten auffallen, in einem Anti-Korruptionsregister erfasst und von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Unternehmen, die besondere Kontrollmechanismen einhalten, bekommen einen Ethik-Rabatt von fünf Prozent. Jedes Land richtet Anti-Korruptionsstellen mit Ermittlern von Polizei-, Finanz-, Justiz- und Kartell-Behörden ein. Im Unternehmensstrafrecht wird die wirtschaftliche"Todesstrafe" eingeführt. Kriminelle Firmen könnten dann von Rechts wegen liquidiert werden. Auch die Bestechung von Freiberuflern sollte strafbar sein. Weitere Forderungen: Kronzeugenregelung für Informanten, Anzeigepflicht für Rechnungsprüfungsämter und eine Fünf-Jahres-Sperre beim Wechsel vom öffentlichen Dienst zu einem Unternehmen, mit dem dienstliche Kontakte bestanden.
Doch die bisherigen Erfahrungen sind wenig ermutigend."Es mangelt am politischen Willen", stellt Britta Bannenberg fest. Und wenn sich nichts ändert? Dann, so befürchtet die Professorin, könnte sich sogar die organisierte Bandenkriminalität im korrupten Beziehungsgeflecht einnisten. Schon jetzt findet Staatsanwalt Schaupensteiner die Lage an der Korruptionsfront so dramatisch,"dass wir uns fragen müssen, ob Sizilien nicht nördlich der Alpen liegt." Heißt deutsch sein bald: korrupt sein?
man.
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