-->Der Preis der EU-Erweiterung
Von Helmut Bünder
Der Basar von Kopenhagen ist zu Ende, das Rechnen geht
weiter. Gewonnen hat, soviel steht fest, die politische
Vernunft. An einigen hundert Millionen Euro, die zum Schluß
über Erfolg oder Mißerfolg des Gipfeltreffens entschieden,
durfte die Erweiterung der Europäischen Union nicht
scheitern. Fiskalisch fallen die gut vierzig Milliarden Euro,
welche die Aufnahme der zehn neuen Mitgliedstaaten in den
Jahren 2004 bis 2006 kosten soll, nicht besonders ins
Gewicht. Die Anlaufkosten für das größer werdende Europa
machen nicht einmal die Hälfte eines Jahresetats für die
heutige Fünfzehnergemeinschaft aus. Das ist wenig dafür,
daß die EU zum weltweit größten Binnenmarkt mit beinahe
500 Millionen Menschen heranwachsen kann und sich die
heutigen Mitgliedstaaten neue Absatzmärkte erschließen.
Auf einem anderen Blatt steht, daß der Kopenhagener
Kompromiß inhaltlich mit wirtschaftlicher Vernunft nicht viel
zu tun hat. Die EU schickt sich zwar an, ihre verfehlte
Subventionspolitik in ersten Ansätzen zu korrigieren. Doch
die künftigen Mitglieder können es kaum erwarten, die alten
Fehler neu zu begehen. EU-Agrarkommissar Franz Fischler
macht gute Miene zum bösen Spiel und preist den im Laufe
der Verhandlungen immer teurer gewordenen
Landwirtschaftskompromiß als"fair und zukunftsorientiert".
Dabei widerspricht die Agrarlösung teilweise diametral dem,
was Fischler aus gutem Grund für die Landwirtschaft in den
heutigen Mitgliedstaaten vorgeschlagen hat.
Hier sollen die Subventionen für die Bauern sinken, um
Spielräume für die regionale Wirtschaftsförderung zu
schaffen. In den künftigen EU-Ländern werden die für die
Regionalförderung eingeplanten Mittel dagegen gekürzt,
damit die Beihilfen für die Landwirte noch schneller steigen
können. Hier will Fischler Agrarsubventionen von der
Produktion abkoppeln, damit die Marktkräfte wieder wirken
können; dort wird der Landwirtschaft ein bürokratisches
System aus Garantiepreisen, Mengenregulierung und
Staatsintervention übergestülpt, das in seiner detailverliebten
Finesse mit der kommunistischen Planwirtschaft mithalten
kann.
Der polnische Ministerpräsident Leszek Miller hat für seine
Bauern - und nebenbei auch für die in den übrigen
Bewerberstaaten - herausgeholt, was herauszuholen war.
Jeder fünfte Pole ist noch immer in der Landwirtschaft
beschäftigt. Das Votum der skeptischen Landbevölkerung
wird über den Ausgang des Referendums über die
EU-Mitgliedschaft entscheiden. Für die Bauern zählt dabei
nur eine Zahl: der Prozentsatz an Direktbeihilfen, mit dem sie
nach dem Beitritt rechnen können. Jetzt winken ihnen schon
im ersten Jahr 55 Prozent des EU-Niveaus, mehr als das
Doppelte des ursprünglichen Angebots. Das ist viel Geld in
einem Land, in dem das mittlere Einkommen gerade 40
Prozent des EU-Durchschnitts beträgt. Zwar muß Polen
einen Teil der Subventionen aus eigener Schatulle
aufbringen. Aber die in letzter Minute zugestandenen
Budgethilfen der EU von jährlich rund 500 Millionen Euro
spülen auch dafür Geld genug in die leere Staatskasse.
Das in Polen bejubelte Verhandlungsergebnis sichert Miller
vielleicht die Zustimmung zum EU-Referendum und die
Fortführung der brüchigen Koalition mit der Bauernpartei.
Doch das Land zahlt dafür einen hohen Preis. Millers
politischer Erfolg wird sich wirtschaftlich als Pyrrhussieg
entpuppen. Welcher Landwirt mag sich jetzt noch von seiner
Scholle trennen? Der sichere Scheck aus Warschau, für den
das ferne Brüssel finanziell geradesteht, droht die
kleinbäuerlichen, völlig unrentablen Strukturen auf Jahre
hinaus zu zementieren.
Daß sich die EU-Neulinge bei den Verhandlungen über die
Brüsseler Finanzplanung für die Jahre bis 2013 das wieder
nehmen lassen, was sie jetzt mühsam erkämpft haben, ist
nach den Erfahrungen von Kopenhagen blanke Illusion. Auf
der einen Seite steigt der Reformdruck, da noch mehr
Überschüsse auf den Markt gelangen werden. Dafür sorgen
schon die jetzt versprochenen höheren Produktionsquoten für
die Mittelmeerländer. Auf der anderen Seite steht den
wenigen reformfreudigen Mitgliedern von 2004 an eine
wachsende Zahl von Ländern gegenüber, die von der
Subventionsmaschinerie profitieren. Es zeichnen sich neue
Koalitionen ab, welche die heutigen Nettoempfänger mit den
neuen Mitgliedern verbinden.
Untergegangen sind im Landwirtschaftsschacher die
Auswirkungen der Erweiterung auf die EU-Regionalpolitik.
Europa wird nicht nur größer, es wird im Durchschnitt auch
ärmer. Die Aufnahme der zehn Neulinge, hinter denen schon
Rumänien und Bulgarien auf einen Beitritt im Jahr 2007
warten, läßt das EU-Wohlstandsgefälle dramatisch
ansteigen. Viele Jahrzehnte wird es dauern, die
wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse zwischen
alten und neuen Mitgliedstaaten auch nur einigermaßen
anzugleichen. Schon im Kreis der Fünfzehn wendet die EU
dafür mehr als ein Drittel ihres Haushalts auf - Tendenz
steigend. Und im geltenden System hätten die Neulinge fast
flächendeckend Anspruch auf die höchste Förderstufe,
sobald Ende 2006 die Übergangsfristen abgelaufen sind.
Die EU hat sich stets als Solidargemeinschaft verstanden.
Dieser Anspruch wird durch die neuen Beitritte auf eine
harte Probe gestellt. Den Transfer zwischen reichen und
armen Ländern in einem Augenblick beschränken zu wollen,
in dem er in besonderer Weise gefordert ist, verbietet sich
von selbst. Aber schon heute läuft die einst für sechs
vergleichsweise homogene Länder geschaffene Maschinerie,
in der jeder Euro den Umweg über Brüssel nehmen muß,
nicht mehr rund. Die EU schiebt einen Milliardenberg an
ungenutzten Finanzierungszusagen vor sich her. Nicht selten
fehlt es den Empfängerländern schlicht am Geld für die
erforderliche nationale Mitfinanzierung der Programme;
häufig bleiben die Mittel auch einfach im Flaschenhals der
EU-Bürokratie stecken. Die Europäische Union muß rasch
handeln, damit das europäische Kernprinzip der Solidarität
nicht der Erweiterung zum Opfer fällt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2002, Nr. 292 / Seite 11
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