-->Hi,
obschon die Hinweise-Links bereits dankenswerterweise gegeben wurden, darf ich noch mit weiteren objektiven und jederzeit nachprüfbaren Zahlen zum Goldstandard (hier des Kaiserreichs) aufwarten, falls sich jemand dafür interessiert.
Es kann nicht angehen, dass es in diesem mit großer Ernsthaftigkeit betriebenen Forum zu einem Spill-over aus anderen Foren kommt, die von Leuten betrieben werden, die ihre Leser mit Heilslehren und Patentlösungen ködern und dabei mit Behauptungen aufwarten, die einer seriösen Überprüfung einfach nicht Stand halten.
Die Lebensverhältnisse unter dem Goldstandard (Beispiel Deutschland)
Allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Das Kaiserreich (1871 bis 1913) war eine Phase positiver wirtschaftlicher Entwicklung. Das Nettosozialprodukt (NIP) je Einwohner in konstanten Preisen von 1913 stieg nach einer kurzen Stagnationsphase zwischen 1874 und 1880 ununterbrochen an und verdoppelte sich insgesamt.
Die laufende Wachstumsrate lag bei 2,6 % für das NIP insgesamt, beim NIP pro Kopf bei 1,6 % p.a. Zum Vergleich: Ein ähnlicher Anstieg wurde in der BRD nur in den Jahren des Wiederaufbaus nach der Währungsreform (1948 bis 1965) erreicht. Seit der Wiedervereinigung (1990 bis 2002) haben die Nettolöhne und -gehälter, die als Vergleichsgröße herangezogen werden könne, nicht annähernd so positiv entwickelt. Laut letztem Bube-Monatsbericht (November) nahmen die Nettolöhne und -gehälter z.B. in den Jahren 1994, 1996 und 1997 ab. Die aktuelle Situation muss nicht eigens beschrieben werden.
Bevölkerung. Anstieg im Kaiserreich von 40,08 auf 66,9 Millionen. Zum Vergleich: Die BRD-Bevölkerung stagniert seit der Wiedervereinigung bei ca. 82 Millionen Einwohnern.
Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote lag im Kaiserreich (1887 bis 1913, frühere ahlen nicht verfügbar) nur in zwei Jahren kurzzeitig über 6 % (1892, 1901). Insgesamt lag die Arbeitslosenquote ansonsten bei ca. 2 %. Zum Vergleich: Die Arbeitslosenquote der BRD beträgt aktuell > 10 %.
Preisniveau allgemein. Die Tendenz der Preise war nach Gründung des Kaiserreichs bis Mitte der 1890er Jahre deutlich sinkend ("Depression der Bismarckzeit"), siehe Grafik im bereits gezeigten älteren Beitrag. Anschließend ergab sich ein leichter Aufwärtstrend der Preise. 1913 lagen die Preise (Großhandel) immer noch unter denen zu Beginn des Kaiserreichs.
Einzelne ausgewählte Preise: Jeweils Vergleich 1871 / 1913. Erzeugerpreise Weizen: 204 zu 198 (Mark pro Tonne); Zuckerrüben: 20 zu 20,8 (MpT); Fleisch: 74,5 zu 100 (Großhandelspreis-Index); Brennholz: 3,13 zu 4,55 Mark pro Festmeter; Seefisch 1883 211, 1913 250 (Mark pro Tonne); Bodenpreise 61,7 zu 100 (Index); Eisenpreise (Index): 114 zu 100; Kartoffeln: 6,6 zu 7 (Pfennige pro Kilo); Eier: 5,1 zu 9,0 Pfennig pro Stück; Bier: 28 zu 33 (Pfennig je Liter); Heizung und Beleuchtung: 1874: 130, 1913 100 (Index); Verkehr: 148 zu 100 (Index).
Zum Vergleich: In der BRD sind die entsprechenden Preise insgesamt seit 1948 um ca. 300 % gestiegen. Insgesamt hat die deutsche Währung seit der Währungsreform und inkl. Euro-Umstellung ca. 78 % an Kaufkraft verloren. Die Kaufkraft der Währung des Kaiserreichs (Goldwährung) blieb insgesamt etwa stabil.
Löhne. Über das Arbeitseinkommen einzelner Branchen fehlen zuverlässige Zahlen, da keine entsprechenden Statistiken geführt wurden. Das Arbeitseinkommen insgesamt stieg zwischen 1850 und 1913 mit einer Jahresrate von 3,13 %, von 1879 bis 1913 um 3,48 %. Das gesamte Arbeitseinkommen stieg von 1870/74 bis 1910/1913 von 9,7 auf 31,9 Millionen Mark.
Arbeitseinkommen insgesamt. Die durchschnittlichen jährlichen Arbeitseinkommen in Industrie und Handwerk stiegen zwischen 1870 und 1913 von 506 auf 1163 Mark, unter Berücksichtigung der Einkommen der Angestellten von 526 auf 1210 Mark.
Arbeitszeit. Diese lag 1825 (Silberstandard) im Schnitt bei 82,5 Wochenstunden.
Danach: 1860/70: 78 Stunden.
1885/90: 66 Stunden.
1910/14: 57 Stunden.
Eine Abnahme unter dem Goldstandard also um ca. 30%.
Eine ähnliche prozentuale Abnahme der Arbeitszeit hat die BRD leider nicht zu bieten: 1950: 48 Stunden, inzwischen (Sondermodelle wie VW ausgenommen) liegt sie bei 38,5 Stunden, lt. Tarif in den einzelnen Branchen verschieden.
Zinssätze. Der RB-Diskontsatz schwankte stark (Grund: Die RB musste selbst eine Geldsteuer zahlen, falls sie die Deckung nicht eingehalten hatte). Der ZB-Satz änderste sich daher u.a. mehrmals im Jahr, was aber letztlich bedeutete, dass ein fine tuning Statt fand, das Verwerfungen größeren Stils auf dem Geldmarkt von vorne herein verhinderte. Grosso modo pendelten Diskont- und Lombardsatz etwa um die 4 bzw. 5 % und dies in stetiger Relation zum Privatdiskontsatz bzw. dem Geldmarktsatz insgesamt.
Tagesgeld selbst lag zwischen 2 und 3 %, 1913 waren es 4,12, 1902 z.B. 2.12, usw. Das System ging also am straffen Zügel und etwaige credit bubbles konnten sich so gar nicht erst entwickeln und warn auch nirgends zu beobachten.
Die Rendite festverzinslicher Papiere lag in den 1870 Jahren knapp über 4 % und bis 1913 dann unter 4 %, mit einem Mittel von 3,5 %. Davon kann im Mittel in der BRD überhaupt keine Rede sein (Spitze 1974 mit 10,4, Rest lässt sich aus den bekannten Zins- bzw. Renditekurven leicht nachvollziehen). Im Schnitt lag das Zinssatz-Niveau der Rentenpapiere damals nur etwa halb so hoch wie heute.
Entscheidend war die Tatsache, dass die Aktienrendite permanent über der festverzinslicher Papiere lag - Ausdruck für die Tatsache, dass die Wirtschaft insgesamt über ein Vielfaches des EKs verfügte als es heute der Fall ist. Wenn irgendwas, dann war das Kaiserreich eher"unterschuldet" als so hoffnungslos überschuldet, wie es inzwischen allgemein bekannt und weltweit zu beobachten ist.
Die Entkapitalisierung und ergo Krisenanfälligkeit der Wirtschaft der BRD muss hier nicht eigens erwähnt werden, jeder kennt sie. Die mittlere Aktienrendite unter dem Goldstandard 1870/1913 lag bei knapp 5,2 % - das sind Zahlen, von denen heute nicht mals mehr in Träumen die Rede sein kann.
Die Spareinlagen (gesetzliche Kündigungsfrist) verzinsten sich (Zahlen ab 1900 verfügbar) im Schnitt mit ca. 3,25 % (1914 = 3,5), wovon heute ebenfalls keinerlei Rede ist, abgesehen davon, dass die Spareinlagen entsprechend wertstabiler waren als heute.
Staatsausgaben. Der Anteil der Staatsausgaben (Staatsquote) insgesamt am Nettosozialprodukt lag 1910/13 ohne Verteidigung bei 7,8 % (1905/09: 7,1 %), mit Verteidigung bei 10,8 %. Inzwischen hat die BRD knapp 50 % erreicht. Die Staatsquote stieg im Kaiserreich (Goldstandard) um ca. 80 %, in der BRD um ca. 250 %.
Statsverschuldung. Diese lag (alle öffentlichen Körperschaften) 1913 bei 26,7 Mrd M und lag ziemlich genau bei 50 % des Netto(!)sozialprodukts zu kostanten Marktpreisen, während es heute (ohne -! - Einrechnung der nicht gebuchten Staatsverpflichtungen wie Renten usw.) bei über 60 % des BIPs liegt bzw. bei Anrechnung des Nettosozialprodukts entsprechend entsprechend höher, da der Anstieg der Staatsverschuldung als"Zuwachs" des Sozialprodukts entsprechend herausgerechnet werden müsste.
Beurteilung. Im Kaiserreich herrschte beim Vergleich 1871 / 1913 insgesamt in etwa Preisstabilität, in der BRD ununterbrochene Inflation. Die Löhne stiegen im Kaiserreich langsamer als in der BRD. Die Löhne nahmen im Kaiserreich real ununterbrochen zu, in der BRD zehrten die laufend steigenden Preise einen großen Teil der Lohnzuwächse wieder auf. Im Kaiserreich herrschte fast durchgehend Vollbeschäftigung, in der BRD hat die Zahl der Arbeitslosen in Schüben immer weiter zugenommen. Die Zinsen waren niedriger, die Arbeitszeit sank erheblich schneller. Es gibt praktisch keine gesamtwirtschaftlich relevante Größe, die einen Nachteil des Goldstandards offenbaren würde.
Die Lebensverhältnisse im Kaiserreich waren insgesamt stabiler als in der BRD.
Soziale Aufstiegschancen (nur noch nebenbei erwähnt):
Der Adel war aufgrund der historischen Grundlagen sowie der verfassungsrechtlichen Konstruktion des Kaiserreichs zweifellos die bestimmende Schicht. Er teilte sich in die Angehörigen regierender Häuser, die Standesherren als ehemals regierende Häuser, den eingesessenen Hochadel, der durch Fürstungen (z.B. Bismarck, Stolberg) verbreitert wurde, der Kleinadel, und die von den regierenden Monarchen geadelten Bürger (z.B. von Finck in Bayern).
Der Adel hatte fast ausschließlich Grundbesitz als Existenzbasis und stieg nur zu großem Reichtum auf, wo sich Bodenschätze fanden, vor allem in Oberschlesien. Die dortigen sog."Magnaten" erscheinen in der ersten Millionärsliste des Kaiserreichs an oberster Stelle: Fürst Henckel von Donnersmarck, Fürst Hohenlohe-Oehringen, Fürst Pless, Graf Schaffgotsch, Graf Thiele-Winkler, Graf Ballestrem, also 6 unter den reichsten 12 Deutschen. Dazu zwei Großindustrielle (Krupp, Thyssen) sowie drei Bankiers und ein adeliger Großgrundbesitzer in Westfalen (Herzog von Arenberg).
Der Adel stellt das Offizierskorps, zivile Militärs, die in Generalsränge aufsteigen, werden geadelt (z.B. von Hindenburg, der Oberbefehlshaber im 1. Weltkrieg und spätere Reichspräsident).
In der Politik werden in höchste Reichsämter Adelige berufen, nach Bismarck Graf Caprivi oder später von Bethmann-Hollweg. In der herstellenden Industrie und im Handel sind weder Adelige noch ehemalige Militärs tätig.
Politik und Militär waren wegen der Nähe zum Kaiser Erbhöfe des Adels. Dennoch war es auch Menschen aus einfachen Verhältnissen möglich, zu höchsten Ehren und großer Anerkennung aufzusteigen. Die Familie Krupp besaß die Waffenschmiede des Reiches. Fritz Thyssen (Stahlkonzern) hatte als Laufbursche begonnen. Henschel (Lokomotiven, Platz 13 der Reichsten-Liste)) war zuerst Arbeiter und stieg auf zum Kommerzienrat. Dieser Titel wurde an verdiente Unternehmer verliehen. Ähnliches gilt für die Unternehmer Ziese (Werft), Haniel (Schwerindustrie, Handel), Stumm-Halberg (Montanindustrie) Siemens & Halske (Elektro), und sogar für Zeitungsunternehmer, wie Rudolf Mosse in Berlin, usw. usw.
Beurteilung. Die Stellung von Adel und Militär war zwar privilegiert. Dennoch war es möglich, an diesen Schichten vorbei einen enormen sozialen Aufstieg zu schaffen.
Literatur:
Bundesbank, Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 - 1975
Grumbach-Hesse sowie Hoffmann, diverse Langfristberechnungen, vor allem das Standardwerk"Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts" (einschließlich dort angeführter Literatur)
Mitchell, General Statistics, das Standardwerk von 1992.
Martin, Jahrbuch der Millionäre 1912
Summa:
Den Goldstandard als das Schrecknis der Weltgeschichte schlechthin zu bezeichnen, zeugt von mangelhaftem Willen, sich mit den konkret vorliegenden Daten zu befassen. Der GS hatte zweifellos seine Schwächen, aber ihn in Bausch und Bogen als Ursache aller Übel der Geschichte hinzustellen, ist grober Unfug.
Der Goldstandard starb bekanntlich im Spätsommer 1914 und die folgenden"Währungssysteme" (Gold-Devisen-Standards o.ä.) haben mit dem Goldstandard in der klassisch applizierten Form überhaupt nichts zu tun.
Der unbefangene Leser soll in in krudes und undurchdachtes"Geldsystem" gelockt werden (kostenlose Pro-Kopf-Ausgabe von Geld bei gleichzeitiger Abschaffung des"Zinses"), was ihm das Paradies auf Erden verheißt. Er merkt die Absicht und ist verstimmt.
Gruß!
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