-->SPIEGEL ONLINE - 30. Dezember 2002, 13:17
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Nordkorea-Krise
Diktator zündet nächste Stufe
Die Nordkorea-Krise spitzt sich weiter zu: Diktator Kim Jong Il plant möglicherweise, den Atomwaffensperrvertrag zu kündigen. Dennoch halten sich die USA weiter zurück - und geraten damit politisch immer stärker unter Druck. Das stalinistische Regime droht zu einer weitaus größeren Bedrohung zu werden als Saddam Hussein.
Hamburg - Am Sonntagabend war US-Außenminister Colin Powell allgegenwärtig. In gleich fünf amerikanischen Sonntagstalkshows, von"Meet the Press" (NBC) bis"Late Edition" (CNN), trat der Chefdiplomat auf, um die Gemüter in Sachen Nordkorea zu beruhigen.
Statt Beruhigendem erzählte Powell jedoch eher Alarmierendes, bisweilen gar Absurdes. Nordkorea, so der Außenminister, könne nach der Wiedereröffnung des Nuklerarreaktors Yongbyon binnen der kommenden sechs Monate vermutlich vier neue Atombomben bauen.
Experten des US-Geheimdienstes CIA gehen sogar davon aus, dass Nordkorea genug Plutonium für jährlich 55 Bomben hätte, wenn es zwei weitere abgeschaltete Kraftwerke wieder in Betrieb nähme. Dass das Land über Trägersysteme verfügt, welche die Nuklearwaffen über weite Strecken befördern können, hat das stalinistische Land bereits unter Beweis gestellt.
Diplomatisches Absurdistan
Anlass zur Sorge besteht nach Powells Ansicht deshalb nicht:"Das ist noch keine Krise, die es notwendig macht, Nordkorea zu drohen. Ganz im Gegenteil." Auch eine Doktrin der Vorgängerregierung wischte Powell im Fernsehen kurzerhand vom Tisch: Der damalige Präsident Bill Clinton hatte Mitte der Neunziger erklärt, dass jedwede Aktivität in Yongbyon zu einem US-Angriff führen werde."Diese Politik verfolgen wir nicht", so Powell.
Mit der Entscheidung, sein seit 1994 eingemottetes Nuklearprogramm wieder aufzunehmen, hat der"liebe Führer" Kim Jong Il die Amerikaner kalt erwischt. Nicht nur, dass die Nordkorea-Krise der Bush-Regierung wegen eines immer wahrscheinlicher werdenden Kriegs gegen den Irak aus militärischen Erwägungen denkbar ungelegen kommt - sie offenbart auch die Machtlosigkeit der letzen verbleibenden Großmacht und deckt Widersprüchlichkeiten in der Irak-Politik George Bushs auf.
Washington will Kim mit wirtschaftlichem und diplomatischen Druck dazu zwingen, klein beizugeben - angesichts der Tatsache, dass Nordkorea nach amerikanischer Einschätzung bereits zwei Atombomben besitzt, bleibt den USA auch kaum etwas anderes übrig. Die Schuld an dieser Patt-Situation tragen die Vereinigten Staaten zu einem großen Teil selbst. Über Jahre hatten sie zugesehen, wie Nordkorea an eigenen Atombomben bastelte - und die dazu notwendige Technologie möglicherweise sogar an andere Atommächte in spe, darunter Pakistan, verkaufte.
Wo das Weiße Haus den wirtschaftlichen Hebel ansetzen will, bleibt allerdings unklar. Nordkoreas wichtigster Handelspartner ist China. Die Volksrepublik hält das Regime in Pjöngjang mit 200.000 Tonnen Getreide jährlich am Leben und deckt mit Exporten 70 Prozent des Rohölbedarfs. Nur wenn China mitzöge, könnten die USA nennenswerten Druck aufbauen. Experten halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass Peking den Genossen Kim fallen lässt. Von den anderen wichtigen Wirtschaftspartnern Nordkoreas hat bisher nur Japan angedeutet, dass es über ökonomische Sanktionen nachdenkt.
Argumentationsnotstand in Washington
Besonders widersinnig wirkt die Haltung der USA bezüglich Nordkorea, wenn man sie mit dem Vorgehen gegenüber dem Irak vergleicht. Saddam Hussein hat bisher keine Atomwaffen, aber ihm wird mit einem Militärschlag gedroht. Kim besitzt welche, hat aber schlimmstenfalls Wirtschaftssanktionen einiger zweitrangiger Handelspartner zu befürchten. Geht es um den Irak, erwecken die Amerikaner immer wieder den Eindruck, es gebe keine Zeit zu verlieren. Im Fall der mutmaßlichen Nuklearmacht Nordkorea sieht Powell hingegen überhaupt keine Veranlassung zur Eile:"Wir haben Monate Zeit, um zu schauen, wie sich das entwickelt, um zu sehen, was passiert".
Möglicherweise ist das eine grobe Fehleinschätzung. Denn Kim, der nach Ansicht vieler Beobachter durch seine Drohungen beim Westen weitere Millionen für sein sieches Regime locker machen will, könnte den Konflikt weiter eskalieren lassen und die Amerikaner damit zum handeln zwingen.
Erst am Sonntagabend zündete der Diktator die nächste Stufe. In einer Erklärung Pjöngjangs hieß es, die USA hätten mit der Einstellung von Energielieferungen an Nordkorea gegen eine Vereinbarung von 1994 verstoßen und den Sonderstatus des Landes damit in Frage gestellt. Aus südkoreanischen Regierungskreisen verlautete, diese Formulierung könne einen Rückzug vom Atomwaffensperrvertrag einleiten.
Kein Krieg, kein Dialog
Direkte Gespräche mit Nordkorea lehnen die USA weiter ab, weil sie damit, so die Logik, ihre Erpressbarkeit offenbaren würden. Stattdessen soll es - vielleicht - informelle Gespräche geben. Was der als unberechenbar geltende Kim tut, wenn ihn die USA weiterhin eisern ignorieren, weiß niemand. Kurzschlussreaktionen seitens Nordkoreas sind nicht auszuschließen.
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte vor einigen Tagen noch gepoltert, die USA könnten auch an zwei Schauplätzen gleichzeitig operativ tätig sein, sprich: Krieg sowohl gegen Saddam Hussein als auch gegen Kim Jong Il führen. Powell und wohl auch Bush lehnen eine militärische Lösung hingegen ab."Es ist zwar nicht so, dass wir keine militärischen Optionen hätten", so ein Bush-Berater gegenüber der"New York Times","aber wir haben keine guten".
Von Thomas Hillenbrand
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