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Es ist Zeit für Schwarz-Grün, stellt
der Grünenpolitiker Oswald
Metzger fest
Es ist Zeit für eine schwarz-grüne Koalition / Von Oswald
Metzger
Ich bekenne, schon für schwarz-grüne Allianzen geworben
zu haben, als Helmut Kohl noch Kanzler war. Als
Wiederholungstäter behaupte ich heute frecher denn je:
Schwarz-Grün ist nicht einfach eine politisch-strategische
Option, die uns Grüne aus den Klauen einer etatistischen SPD
samt allen orthodoxen Besitzstandswahrern in deren Dunstkreis
befreien kann. Schwarz-Grün symbolisiert das Aufbrechen von
Tabus, versinnbildlicht die Bereitschaft, im Interesse der
dringend notwendigen gesellschaftlichen Erneuerung aus den
eingefahrenen Pfaden des politischen Establishments
auszubrechen.
(Partei-)Politik samt ihrer medialen Vermittlung funktioniert bei
uns fast immer in Form von Abgrenzung. Kommt ein
Vorschlag von der falschen Seite, wird er grundsätzlich
abgelehnt. Der Abwehrreflex ist so verinnerlicht, auch in der
Wahrnehmung der Ã-ffentlichkeit, daß Politiker, die keine
Scheuklappen tragen und über Parteigrenzen hinweg
Problemlösungen debattieren wollen, Freund und Feind suspekt
sind. Ein Politiker hat sich gefälligst an die oberste Spielregel zu
halten: Die eigene Partei hat immer recht, auch wenn sie nicht
recht hat. Und die Konkurrenz hat immer unrecht, selbst wenn
sie recht hat. Die Folgen dieser parteipolitischen Untugend sind
auch an der Reformunfähigkeit unserer sozialen
Sicherungssysteme abzulesen - egal, wer in den vergangenen
Jahrzehnten in Bonn/Berlin regierte.
Journalisten aller Couleur spielen dieses fatale Abgrenzungsspiel
aus Blockade und Selbstblockade mit, ersparen sie sich doch
damit - genau wie Politiker - die fundierte Auseinandersetzung
mit den Inhalten von Vorschlägen. Wer raus aus den
gewohnten Bahnen will, muß Substanz haben, fachlich und
charakterlich.
Wenn man diese Maßstäbe an das Verhältnis der Grünen zur
Union legt, dann haben die Grünen weder Substanz noch
Charakter. Denn jedesmal, wenn die Diskussion hochkam, im
eigenen Beritt oder in jüngster Vergangenheit aus der Union,
hieß es aus der grünen Führung penetrant: Mit denen nicht! Die
schicken die Frauen wieder an den Herd, Ausländer am liebsten
nach Hause und bekriegen alles, was uns Grünen als Symbol
gesellschaftlicher Erneuerung gilt: modernes Abtreibungsrecht,
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften,
Zuwanderungsgesetz. Und wenn das nicht reichte, fielen
Namen: Helmut Kohl, Erwin Teufel, Edmund Stoiber, Roland
Koch.
Fast krampfhaft mußten sich die Grünen von der Union
abgrenzen, weil viele aus der grünen Gründungsgeneration aus
konservativen bürgerlichen Familien kamen, mit denen sie in
der jugendlichen Selbstfindung gebrochen hatten. Allerdings:
Die Grünen als Partei, erst recht aber ihre Gründerinnen und
Gründer, sind inzwischen erwachsen und könnten sich die
Souveränität leisten, die Union als potentiellen strategischen
Partner zu begreifen. Längst sind die meisten ja auch wieder in
den Schoß ihrer bürgerlichen Familien zurückgekehrt, leben
den Lebensstil, den sie in der antibürgerlichen Rebellion
verworfen hatten.
Unbegreiflich ist allerdings, wie sich die grüne Führungsriege
um Joseph Fischer in den letzten drei Monaten von der SPD
vorführen ließ, wenn es um die Zukunftsthemen Arbeitsmarkt,
Gesundheit und Rente ging. Die Wahlsieger des 22. September
backten so kleine Brötchen, daß eine Reihe aufrechter
Aufmüpfiger in der neuen Bundestagsfraktion zu Recht die
Sozialdemokratisierung der Grünen kritisierte, als Fischer &
Co. die Rentenbeitragserhöhung abnickten. Selbst beim letzten
Grünen-Parteitag in Hannover Anfang Dezember war der
Verlust des eigenen Profils, der sich hinter dem Vorwurf der
"Sozialdemokratisierung" verbirgt, das beherrschende
Meta-Thema.
Wenn man Joseph Fischer, der in Hannover selbst mit seinem
grünen Übervater-Image kokettierte, nicht nur für einen
populären, sondern auch einen intelligenten Politiker hält, dann
kann man sich nur schwer einen Reim darauf machen, warum
er nicht merkt, wie sich die Grünen durch ihre Nibelungentreue
zur SPD beständig ihrer politischen Gestaltungsfähigkeit
berauben. Man mag nicht glauben, daß der Außenminister das
grüne Projekt nur als Vehikel für seine europäischen
Karrierewünsche betrachtet. Aber das würde erklären, warum
die Grünen in Treue fest zum Etatismus der SPD stehen, nicht
einmal taktisch ihr Spielfeld in der politischen Arena erweitern
wollen.
Der Treppenwitz der grünen Sozialdemokratisierung ist in den
letzten vier Wochen zu beobachten. Gerhard Schröder besetzt
plötzlich wieder mit Papieren aus dem Kanzleramt die
Reformthemen, nachdem er den Grünen in den
Koalitionsverhandlungen nicht einmal bei den Minijobs
irgendein Zugeständnis machte. Wer sich auf Gerhard
Schröder verläßt, ist manchmal ganz schnell verlassen, lieber
Joseph Fischer! Doch die grünen Altvordern haben ihren Zenit
überschritten, müssen vielleicht schon im Februar nach den
Wahlen in Hessen und Niedersachsen am eigenen Leib spüren,
daß eine große Koalition in Berlin zumindest grüne
Ministerämter kostet.
Die Grünen haben als politisches Projekt zuviel Substanz, als
daß man sie - bei allen Verdiensten - nur dem Nutz und
Frommen ihres (un-)heimlichen Vorsitzenden überlassen kann.
Der ökologische Urgedanke der grünen Bewegung -"Wir
haben die Erde nur von unseren Kindern und Enkeln geborgt!"
- entspricht dem christlichen Memento des"Die Schöpfung
bewahren!". Übersetzt auf die gigantischen Probleme aller
hochentwickelten Industriegesellschaften, die durch die Bank in
die demographische Falle der Überalterung geraten, verbirgt
sich hinter beiden Metaphern der Wunsch nach einem
langfristig tragfähigen Lebensstil der Gattung Mensch in
unserer einen Welt und damit auch die Meta-Botschaft für alle
Reformkonzepte, die Sozialstaat und Eigenverantwortung neu
justieren.
Das Leben zu Lasten künftiger Generationen muß beendet
werden. Staatsverschuldung ist als Raubbau an unseren
Kindern und Enkeln zu diskreditieren. Ansprüche an den Staat
müssen massiv begrenzt werden, weil ansonsten immer weiter
steigende Steuern und Sozialabgaben die Leistungsfähigkeit von
Arbeitnehmern und Unternehmen erdrosseln. Nicht der
allmächtige Staat ist für das Glück seiner Bürgerinnen und
Bürger zuständig, sondern die Menschen selbst sind es.
Bürgergesellschaft heißt: so wenig Staat wie möglich, so viel
Staat wie nötig. Subsidiarität, nicht Vollkaskomentalität muß
Leitgedanke eines neuen solidarischen Gesellschaftsvertrages
sein. Hilfe zur Selbsthilfe in familiären, nachbarschaftlichen und
kommunitaristischen Strukturen ist nur möglich, wenn
staatliche Bevormundung solche Werte nicht zerschlägt, wie
das Negativbeispiel der Erbenschutzversicherung mit Namen
"Pflegeversicherung" zeigt.
Auf der Werteebene läßt sich ein schwarz-grüner
gesellschaftspolitischer Diskurs gut führen. Die
Anknüpfungspunkte beim Verständnis von der Rolle des
Staates und beim bürgerschaftlichen Engagement springen
einem förmlich ins Gesicht. Auch ein gewisser
Wachstumsskeptizismus ist Grünen wie Schwarzen gemein.
Objektiv verringern alternde Gesellschaften das
Wachstumspotential einer Volkswirtschaft. Denn Sparen für
das Alter heißt Konsumverzicht heute. Also müssen auch
nichtmaterielle Werte wieder ins Blickfeld rücken:
Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliches Engagement, Zeit für sich
selbst und die Familie."Weniger ist mehr!" als Metapher läßt
sich sowohl grün wie schwarz positiv beleuchten.
Wer in unserem vermachteten Parteienstaat Veränderungen
will, wem es um die Sache, nicht um taktische Sperenzchen
geht, für den birgt eine schwarz-grüne Allianz mehr Charme,
kreative Veränderung und gesellschaftliche Modernisierung als
alle anderen aktuellen politischen Farbkonzepte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.01.2003, Nr. 6 / Seite 33
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