-->Lieber Jochen,
komme zu Deiner Anfrage, die ich zu beantworten versuche.
Beginnen wir mit dem Aristoteles-Fragment (Athenaion politeia), in dem er Herkunft und Verwendung des Geldes nicht aus binnenwirtschaftlichen, sondern außenwirtschaftlichen Erfordernissen erklärt. Der zentrale Ausdruck ist nomisma (von nomos = Recht, Gesetz), womit wir zwei obrigkeitliche Paten des Geldes haben:
- Die Landesgrenze (sonst kein Außenhandel)
- Das Gesetz, welches etwas zum Geld erklärt.
Von einer privatwirtschaftlichen Schöpfung, die der öffentlich-rechtlichen (chartalen von mir aus) vorausgegangen wäre, ist demnach keine Rede. Privatwirtschaftlich haben wir es bei Aristoteles mit Hauswirtschaften (oikos-Wirtschaft) zu tun, die zunächst keinen Handel mit Hilfe von Geld untereinander treiben.
Die außenwirtschaftlichen und hoheitlichen Geldformen sind genormt (siehe die ox hide Cu-Barren aus Zypern, die auch auf ägyptischen Bildern erscheinen und die inzwischen häufiger gefunden wurden, zuletzt in Schiffswracks an der türkischen Küste), dann die genormten Cu-Steuern, etwa die Steueräxte mit präzise 2 kg der Hethither in Hatuscha, die festen Metallrelationen, die öffentlich gemacht wurden (z.B. die Cu/Ar-usw.-Relationen, die aus Assyrien überliefert sind), und später die Münzen, mit ihrer Vorform der"Ringe" (Hamurabbi), die die bedeutende Numsimatikerin Elisabeth Nau schon 1972 so beschrieb:
"Münzgeld... entsteht da, wo Kriege mit Söldnern geführt werden... Münzgeld entsteht primär nicht aus den Bedürfnissen des Handels... Der Krieg ist auch der Vater des Münzgeldes."
Das nur nebenbei. Gehen wir vor das Münzgeld zurück, und suchen wir nach dem Gleichklang von Geld und Zins, wie er nach HS unabdingbar ist (der Zins ist Ausgleich für die Eigentumsprämie, die verloren geht, sobald jemand sein Eigentum belastet um den die Belastung dokumentierenden Titel als mit dem Eigentum besichertes Geld anzubieten, womit Geld und Zins uno actu entstehen), so haben wir beim Eigentum einen weiteren Tatbestand, der (was hier im Forum bekanntlich strittig ist), der eine öffentliche Rechtlichkeit voraussetzt (Urbare, Klagmöglichkeit auf Herausgabe, Vollstreckung usw.).
Demgegenüber bin ich der Ansicht, dass wir in der Gelderklärung bei dem beginnen müssen, was nach Eintritt des bewaffneten Zwangs aufgrund waffentechnischen und vor allem metallurgischen Fortschritts (u.a. Bronze!) zwangsläufig entstanden ist: die Abforderung von bereits erstelltem BIP ("Beute") bzw. zusätzlichen zu erstellendem dauernden Surplus zu Abgabenzwecken ("Tribut"), weshalb noch in Rom die - mehrmals (u.a. nach großen Eroberungen) ausgesetzte - Kopfsteuer"tributum" hieß.
Die laufende Abgabe setzt Kenntnis über die Zahl der Verpflichteten plus Termin voraus ("census"), zu dem die Abgabe zu erfolgen hat. Dies ist der ursprüngliche"Zins", gegen den Heinsohn schon in der Festschrift Riese so vehement zu Felde gezogen ist.
Wir haben beim census indes genau das, was wir auch beim HS'schen Kontraktgeld auch finden: Einen Gläubiger (hier: die Obrigkeit) und den oder die Schuldner (Abgabenverpflichteten). Allerdings verbindet beide nicht ein freiwilliger Vertrag (das Konstrukt des"Gesellschaftsvertrages" halte ich für völlig unhistorisch, um nicht zu sagen kindisch), sondern nur ein Schuldverhältnis, wobei der eine (oben) fordern kann und der andere (unten) leisten muss.
Schon in den aller ältesten mesopotamischen Urkunden, noch in Bilderschrift (ähnliches gilt für die Siegelungen etwa in Ägypten und im Industal), finden wir Sanktionen bei Nichtlieferung des census. Darüber hinaus lässt sich aus den Urkunden (ausführliches Material bei Nissen usw.) erkennen, dass jene, welche die Sanktion der Obrigkeit vermeiden wollten, sich ihrerseits den census bei anderen beschaffen mussten und beschafften.
Da das Abgabengut census nur zum Abgabentermin Kurs 100 haben kann (vorher hat es einen Disagio, der sich nach Zeitablauf auf 100 füllt), muss derjenige, der sich zu seinem Termin census beschafft, die Differenz ersetzen, die sich ergibt hin zu dem Termin, da der Fremd-census zur Verfügung Stellende seinerseits seiner census-Verpflichtung nachkommen muss und im Risiko steht, diese ebenfalls nicht erfüllen zu können.
Dies lässt sich anhand jener zahlreichen Urkunden belegen, in denen für eine bestimmte Zeit zinsfrei zur Verfügung gestellt wird und das"wächst zu" erst ab einem bestimmten Termin einsetzt.
Dieses"wächst zu" ist der von mir zunächst als"usura" bezeichnete (von utere = es - in der Zwischenzeit, jedenfalls zeitlich begrenzt - nutzen)"Zins", auf den HS und die Ã-konomie letztlich überhaupt abheben."Usura" ist zunächst der zeitlich begrenzte Gebrauch selbst und entwickelt sich dann immer weiter bis hin zum"Wucher".
Usura ist also zunächst noch nicht"Zins", sondern nur die Nutzung von etwas, das man selbst nicht hat, wiewohl man es zu census-Zwecken benötigt, dies direkt oder auch indirekt (Arbitrage): man sieht einem census-Gut nicht an, wofür es letztlich genutzt werden wird (utere).
Das - per Privatkontrakt und zwar innerhalb der"Gemeinde" der census-Verpflichteten jetzt - zur Verfügung gestellt census-Gut wird vom Nehmer in der Regel (da sein Termin gekommen ist) zu 100 gefordert, vom Geber (dessen Termin noch nicht gekommen ist) zu 100 minus x % gegeben. Der Zinssatz sind letztlich die x %, die den zeitlichen Unterschied in den jeweiligen Zahlungsverpflichtungen ausmachen.
Das zu verstehen hat mit der allgemeinen Schwierigkeit zu tun, etwas, das nicht benötigt wird (census wird nur zu census-Zwecken und zu sonst nichts benötigt) bereits vor dem Benötigungstermin als"wertvoll" anzusehen, was indes nur eine optische Täuschung ist. Denn entfiele der census-Zwang in Form der Ablieferung des konkreten census-Gutes zum Census-Termin würde der Kurs des census-Gutes automatisch fallen - entweder (bei zu"sonstigen Zwecken", wie Schmuck usw.) auf dessen Wert/Preis (ausgedrückt in anderen Waren) oder auf null, wie bei heutigem Papiergeld, das für zu census-Zwecken nicht mehr brauchbar erklärt wird (= es ist kein"legal tender" mehr).
Ich wiederhole gern:"Geld" als"solches" kann nur als"geldwertig" angesehen werden, wenn es Zahlungen gibt bzw. solche verlangt werden können. Und zwar in ihm, dem"money thing" wie es Wray bei seinem"taxes-drive-money"-Ansatz nennt (Understanding Modern Money, 2001).
Nun hast Du den Ausdruck"fenus" zusätzlich eingeführt, das sich in den verfügbaren Textstellen immer im Zusammenhang mit bereits existierendem Geld findet, z.B."alicui pecuniam sine fenore credere" usw. Dieses fenus ist zweifelsfrei ein privatwirtschaftlich und per Privatkontrakt vereinbarter Zins. Die pecunia oder auch versura (Anleihe), auf die er stets zielt, kann mit census zu tun haben und wäre dann mit usura gleich zu setzen.
Fenus kann aber auch sich auf völlig private Leihvorgänge beziehen und wäre dann der klassisch privatwirtschaftliche Zins, der geboten wird, um private Aktivitäten zu finanzieren, die mit census nur noch ganz entfernt zusammenhängen: Die Privaten versuchen, ihren - stets aufgrund von Ur- und Erstabgabenschuld vorhandenen - Schuldnerstatus zu verbessern, indem sie mit Hilfe produktiverer Formen der Erstellung von BIP versuchen, die real"fühlbare" Belastung durch census zu mindern. Oder:"No income without taxes" (Myth of Ownership, hier ausführlich besprochen).
Als Beispiele: Es werden 10 Zentner Getreide als census gefordert und ich investiere in meinen Acker, um die 10 Zentner mit der Hälfte der aufgewendeten Arbeit zu produzieren. Oder: Wird Metall abgefordert, versuche ich mit Hilfe von zusätzlicher Produktion von Metall (Erschließung von Bergwerken usw.) die Zeit, die zur geforderten Metall-census-Erstellung benötigt wurde, zu verringern.
Der Dissens zu HS ist also offenkundig. Mein Haupteinwand geht dahin, dass die berühmte"Notlage" mit der sie immer arbeiten und die einen Produzierenden zwingt, sich etwas zu"leihen" und aufgrund derer dann der nicht in Not Befindliche durch Nostro-Belastung (!)"Geld" als ein nicht näher bewertbares Aktivum (X-Fläche von Y-Land) schafft, das er dann dem Ersten"leiht", halte ich für historisch nicht verifizierbar. Die von den frühen griechischen Reformern (Solon, Lykurg, inkl. dann auch Plato) monierte immens verschlechterte Landverteilung wäre bei solchen"Ausgleichsmaßnahmen" nicht erklärbar. Jene"in Not" hätten ohnehin mangels eigener Sicherheiten (Illiquidität plus Insolvenz!) niemals"Ausgeliehenes" in die Hand bekommen.
Zur von HS so monierten Ethymologie darf ich noch nachtragen:
1. Das Wort "Pfennig" (ein Ding, das einem anderen"zu Handen gestellt" - B'Handing) wurde schon 1845 von Schuegraf anhand von 129 verschiedenen urkundlichen Erwähnungen untersucht (von Ablasspfenning bis Zugpfenning), wobei sich eindeutig ergibt, dass der Pfennig sich aus der Abgabe herleitet.
2. Der "Zins" leitet sich bis ins 19. Jh. ebenfalls von der Abgabe her (Urkunden en masse, vgl. als nur ein Beispiel den Zins, den die Klöster nach Rom entrichten mussten. Jordan, Zur päpstlichen Finanzgeschichte im 11. und 12. Jh., 1933/34, hier"census Beati Petri" usw.).
3. Das "Geld" war zunächst ebenfalls die Abgabe, vgl. u.a."Recorded gelds (sic) paid to the Vikings in France" im 9. Jh. und weitere Aufstellungen bei Jonsson 1993, wobei es beim Dane- und beim Heregeld um riesige Gewichtsmengen gegangen war, z.B. 991 bis 1018 allein ca. 110 Tonnen (!) Silber, was die"gelds" als schließlich eindeutige"regular tax" ausweist.
Zu den Fragen noch konkret:
H/S schreiben in"E, Z u. G" auf S. 136 über andere Geldtheorien:
"Was der Fürst als ´Amtmann Gottes´ den Untertanen abverlangt, wird als Urfomr des Zinses gesehen. Dieser werde zum ´Geldzins´, wenn die
´ständespezifische Naturalsteuer´ zu einer ´allgemeinen, hoheitlich erworbenen Geldsteuer wird´. Aus der ganz unstrittigen Verwandschaft des
Wortes Zins mit dem lateinischen Wort census rechtfertigen [die Geldhistoriker]..ihren Verzicht auf eine ökonomische Zinstheorie zugunsten seiner
sprachhistorischen Erklärung."
Eine Zinstheorie kann durchaus"Ã-konomisches" leisten, wenn sie ihres Freiwilligkeitscharakters entkleidet und dorthin gesetzt wird, wo sie hingehört, nämlich in den die"Ã-konomie" in massivster Form beeinflussenden Bereich des von außen / oben an sie herangetragenen bewaffneten Zwangs. Diesem historisch unübersehbaren Phänomen weichen sowohl die orthodoxen als auch die heterodoxen Geldtheoretiker immer wieder aus.
Und weiter:"..., betrifft fenus eher den Gewinn des Gläubigers, während usura auf die Abgabe des Schuldners zielt. Das deutsche Wort Zins ist also
nur etymologisch, nicht jedoch in der Sache mit dem lateinischen census verwandt."
Wird, siehe oben, bestritten. Der erste Gläubiger - und dies aus eigener Kraft und aus eigenem, nämlich seinem Recht - ist die den census fordernde Macht. Ihr Gewinn ist die Abgabe (census), usura und fenus sind census-Derivate.
Diese Aussagen sind nach der Zwangs-/Machttheorie wohl nicht mehr haltbar?
Meiner Meinung nach nicht mehr haltbar.
Nur: wie passen die Wörter census, fenus, usura eigentlich zusammen? Gehört census zu usura, und ist fenus sozusagen der privatrechtliche census?
Ich hoffe, es einigermaßen nachvollziehbar erklärt zu haben.
Schönen Sonntag und herzlichen Gruß!
|